10.4.25

 

Gefängnis ohne Mauern

Europaweit sind die Gefängnisse überfüllt und personell unterbesetzt. Hohe Rückfallquoten lassen Zweifel am bestehenden System aufkommen. Welche Alternativen bieten offene Gefängnisse? Nach einer Haftstrafe im klassischen Gefängnis ändert sich für viele Straftäter oft nichts. Sie können sich nicht in die Gesellschaft integrieren und werden rückfällig. Doch es gibt Ansätze, wie Gefängnisse auch funktionieren können. Im Seehaus Leonberg in der Nähe von Stuttgart sind straffällig gewordene Jugendliche untergebracht. Vollzug in freien Formen nennt sich der Gedanke. Die jungen Männer wohnen in WGs mit jeweils einer jungen Familie. Ein straff durchorganisierter Tag mit Sporteinheiten, putzen, kochen, Ausbildung und festgelegten Ruhe- und Lesezeiten versucht, Struktur in das Leben der jugendlichen Straftäter zu bringen. Irmela Abrell gehört zum Gründungsteam des Seehauses, und sie hat dort eine weitere Neuerung ins Leben gerufen. Opfer und Täter im Gespräch, nennen sich die Veranstaltungen, in denen eine Gruppe an Tätern in Austausch mit Opfern ähnlicher Straftaten gebracht wird. Cihan Arslan sitzt eine mehrjährige Haftstrafe im Seehaus ab, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Er nimmt an so einem Gespräch teil und erzählt seine Geschichte. Finnland praktiziert ebenfalls eine interessante Alternative zum geschlossenen Vollzug. 33 Prozent ihrer Gefängnisse sind offen und funktionieren ohne Mauern, Zäune und Schlösser. Im Gegensatz zu Deutschland, wo der offene Vollzug als Stufe der Wiedereingliederung eingesetzt wird, können Straffällige in Finnland ihre gesamte Haftzeit in einem offenen Gefängnis verbringen. Zentral dabei ist der Fokus auf die Rückführung in ein geregeltes, gesellschaftliches Leben. Aki Saarinen ist Gefängnisleiter des offenen Gefängnisses "Käyrä" nördlich von Turku. 50 Männer leben derzeit auf dem ehemaligen Schulgelände, darunter auch Mörder und Vergewaltiger. Die Insassen gehen arbeiten, kaufen im Ort ein, haben ein eigenes Bankkonto und ein Mobiltelefon. Dafür müssen sie sich an die Regeln des offenen Vollzugs halten: keine Gewalt oder Drogen und pünktlich zurück auf dem Gelände sein. Dieses Konzept zeigt Erfolg. 85 Prozent der Insassen bleiben nach ihrer Gefängniszeit straffrei.

ZDF


9.4.25

 

Nächtliche Gehirnwäsche - wie sich das Gehirn im Schlaf selbst reinigt

Nachts wird das Gehirn „durchgespült“ und dabei von allen möglichen Abfallstoffen, von Proteinresten bis hin zu Botenstoffen, gereinigt. Ohne die nächtliche Gehirnwäsche würde der Müll die Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer begünstigen. 

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2.3.25

 

Sprachpolizei

 

2021 häuften sich im deutschsprachigen Raum erregte Zeitungsartikel, nachdem bekannt geworden war, dass der Herausgeber der Lustigen Taschenbücher, der Egmont-Ehapa-Verlag, die weltberühmten Figuren rund um Donald Duck in der deutschen Übersetzung nicht mehr so reden ließ, wie ihnen der Schnabel gewachsen war: „Die Sprachpolizei operiert in Entenhausen“, hieß es etwa, weil „Zwergindianer“ und „Bleichgesichter“ oder religiös konnotierte Ausdrücke wie „Beim Barte des Propheten!“ nicht mehr vorkommen durften. Auch ein rundliches rosa Schweinchen – im Original Porcmuscle J. Hamfat – wurde umgetauft: von Fridolin Freudenfett in Fridolin Freundlich.

Auch Achim Hölter, Privatdozent an der Abteilung für vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Wien, gefiel das nicht: „Als Philologe sage ich, dass man ein Dokument niemals verändern darf, das ist die erste Regel, weil es Misstrauen schürt, das kollektive Gedächtnis verändert und Geschichtsschreibung unmöglich macht“, so Hölter damals zur Kleinen Zeitung.

Mittlerweile ist das, was als „Sensitivity Reading“ bezeichnet wird, ein eigenes Geschäftsmodell geworden. Die Text-Prüferin Victoria Linnea und ihre Kolleg:innen von sensitivity-reading.de beschreiben ihre Aufgabe so: „Sensitivity Reader:innen prüfen Texte, aber auch Filme auf verletzende oder missverständliche Darstellungen und Ausdrucksweisen. Es geht dabei nicht darum, Themen zu verbieten oder gar zu zensieren, sondern darum, Autor:innen zu helfen, die richtigen Worte zu finden für das, was sie eigentlich ausdrücken möchten. Es geht um Authentizität und den sensiblen Umgang mit Marginalisierung und Diskriminierung."

Was aber ist authentisch und was sind die richtigen Worte?

So manche Verlage verlassen sich schon gar nicht mehr auf die Empfehlungen ihrer Lektor:innen, sondern lassen Texte zusätzlich auf so genannte Mikroagressionen und das Risiko möglicher "Re-Traumatisierungen“ unter die Lupe nehmen. Dieses Risiko tummelt sich in vielen gesellschaftlichen Räumen, die, wenn es nach den Verfechtern der sensiblen Lektüre geht, allesamt zu Schutzräumen werden müssen: Die literarische Darstellung von Religion, LGBTQIA+, Gewalt und Sexismus, Behinderung, Krankheiten, Hautfarbe, Sitten und Gebräuchen muss demnach stets so ausfallen, dass Betroffene sich damit wohlfühlen und in ihren Gefühlen nicht verletzt werden.

So lesen sich für den Lektor und Literaturkritiker Andreas Wirthensohn die Triggerwarnungen in manchen Büchern schon wie „literarische Beipackzettel“. Eine Entwicklung, die er für problematisch hält, wie Wirthensohn in einem Essay für die Wiener Zeitung schrieb: „Ob sich hier tatsächlich ein veränderter Anspruch an das Lesen von Literatur abzeichnet oder ob lediglich in vielen Verlagen die Angst vor irgendwelchen Shitstorms im Netz umgeht (nicht zu vergessen die für die Vermarktung immer wichtiger werdenden Lese-Community-Plattformen im Internet wie etwa LovelyBooks) – das lässt sich so eindeutig nicht beantworten“, so Wirthensohn, der befürchtet, dass auf diese Weise nur „Wohlfühl-Literatur“ geschrieben und publiziert wird.

„Denn wo, wenn nicht im Roman, im Theater, im großen Freiraum der Kultur lassen sich all diese identitären, weltanschaulichen, sprachlichen Kategorisierungen in Frage stellen und auflösen? Nur: Welchen Sinn hat Literatur noch, wenn sie sich erst einmal seitenlang für das eigene Tun entschuldigt? Oder wenn alles Anstößige lieber gleich in einer Art vorauseilendem Gehorsam aus den Texten getilgt wird?“

Erika Thomalla vom Zentrum für Buchwissenschaft an der Universität München hat sich intensiv mit der Arbeit von Sensitivity Readern befasst: "Die Inanspruchnahme der Literatur für Politik, Ethik oder Weltanschauung, die vermeintlich zulasten ästhetischer Komplexität und Vieldeutigkeit geht, stellt für viele Kritikerinnen und Kritiker das Hauptproblem von Sensitivity Reading dar. Die „sensible Lektüre“ sei „die moderne und im Zeichen der Diversität aktualisierte Variante einer Praxis, die es – etwa im Feuilletonroman oder bei anderen populären Formaten – schon sehr lange gibt."

Alles schon mal dagewesen also? Natürlich haben Verlage Manuskripte schon immer intern herumgereicht, bekrittelt, gekürzt, auf Marktgängigkeit abgeklopft, Missliebiges umgeschrieben oder gleich in der Schublade verschwinden lassen. Gibt es aber eine Leserschaft, die tatsächlich umfassend von der gedanklichen Sprengkraft eines Buches durch Warnhinweise "geschützt“ werden muss? Wie nähern sich Autorinnen und Autoren einem Thema eingedenk der möglichen Prüfung durch Sensitivity reader? 

Ö1


10.2.25

 

Der Mensch ist im Grunde gut

Der Mensch ist im Grunde gut, hilfsbereit, empathisch, kooperativ. 

Für den 1988 geborenen Bregman ist die Menschheit nicht durch das „survival of the fittest“ weitergekommen, sondern mit Rousseau durch das „survival of the friendliest“ und er gibt zahlreiche historisch belegte Beispiele dafür.

Ö1


29.1.25

 

Wirtschaftspolitik - Entscheidung statt Sachzwang

 

In den Jahren nach der Finanzkrise war „Sachzwang“ ein viel verwendeter Begriff; zu vielen politischen Entscheidungen gebe es keine Alternative, wurde argumentiert. Dagegen hat die dreifache Krise der letzten Jahre – die Pandemie gefolgt von Inflation und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine und den Westen – die Dringlichkeit von Wirtschaftspolitik als bewusster Gestaltung und Entscheidung deutlich gemacht.

Diese Entwicklung der letzten Jahre scheint allerdings auch manche Themen der Jahre davor wie weggewischt zu haben: Die Diskrepanz zwischen „Norden“ und „Süden“ auch innerhalb der EU und damit die Frage einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik in der Eurozone, die Vereinbarkeit von Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik, die Rolle der Finanzmärkte und ihre Dominanz über die Realwirtschaft.

Mit diesen ungelösten Fragen beschäftigt sich der Ökonom Kurt Bayer. Er war leitender Beamter im Bundesministerium für Finanzen, danach von 2002-2004 Mitglied des Direktoriums der Weltbank und 2008-2012 der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. In den letzten 15 Jahren hat Bayer rund eintausend Blogbeiträge verfasst, in denen er aktuelle Ereignisse mit Grundsatzfragen der Ökonomie und Wirtschaftspolitik verbindet. Ausgewählte Texte sind jetzt als Buch erschienen: „Wirtschaftspolitik. Kunst mit Wissen“ – denn Wirtschaftspolitik, meint Bayer, habe einen kreativen Anteil, brauche aber auch handwerkliches Können, Wissen und Erfahrung. Nicht zuletzt müsse darüber aber auch offen kommuniziert werden, im Dialog mit Öffentlichkeit und Bevölkerung.

Ö1

 Blog von Dr. Kurt Bayer


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