25.9.11

 

KLANG DES UNENDLICHEN

Der Übergang zur Gotik bezeichnet einen Wandel im Verhältnis des Menschen zum Mysterium. Mit den technischen Möglichkeiten und gestalterischen Mitteln des neuen Zeitalters greift man nach dem Unbegreifbaren, versucht das schlechthin Unfassbare, dessen Nicht-Verfügbarkeit die Alten als selbstverständlich hingenommen haben, sinnlicher Erfahrung zugänglich zu machen. Man sucht die Materialisation des Geistigen, jene umfassende, alle Bereiche der Wissenschaft und Kunst einschließende Triebkraft hinter der Entwicklung des Abendlandes im zweiten Jahrtausend.

Nun bricht man die schweren Tonnengewölbe der von den Alten ererbten Kirchenräume auf. Die aufstrebenden Pfeiler und Spitzbögen verweisen auf den physischen Himmel, der nun den metaphysischen repräsentiert. In dem himmlischen Licht, das den neuen Kirchenraum durchflutet, sucht man das göttliche Licht – sei es um den Preis, dass man auf diese Weise allenfalls einen fahlen Abglanz des wahren, unzugänglichen Lichtes erhascht.

In der Organaltechnik der Notre-Dame-Schule wird der von den Vätern ererbte Gregorianische Choral nicht als statisches Faktum begriffen. Jeder Ton ist vielmehr eine je eigene Welt, die einen gewissen, jeweils anderen Aspekt des Ganzen darstellt – eine Welt, der mannigfache Figuren innewohnen, die von innerer Bewegung, von Tanz erfüllt ist. Jeder einzelne Ton des cantus firmus kann einen unendlichen Raum einnehmen. Seine lange zeitliche Ausdehnung gleicht einer mikroskopischen Darstellung, die sein – schon immer vorhandenes, aber bislang verborgenes – Innenleben erfahrbar werden lässt. Jeder neue Ton im cantus firmus bringt eine neue Farbe zum Vorschein, eine neue Facette, einen neuen Aspekt, hervorgerufen durch eine Modulation des Lichteinfalls.


FASZINATION GOTIK
Musik des Mittelalters

So, 02.10.2011, 20:00 - Maria am Gestade
Passauer Platz/ Salvatorgasse 12, 1010 Wien

Gregorianik
Leonin von Notre-Dame
Perotin von Notre-Dame
Hildegard von Bingen
Guillaume Dufay
u.a.

Vokalensemble Vox Gotica

Eintritt frei – Spenden erbeten

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