7.2.22
Metaverse – eine virtuelle Hölle auf Erden?
Die nächste Stufe in der Cyber-Revolution ist das sogenannte Metaverse (Englisch für „Metaversum“, von „Universum“), eine leistungsstarke Computerplattform, die alles Vorangegangene übertreffen können soll. Es wird als das „next-generation-internet“ vermarktet, soll intensive Erlebnisse ermöglichen und neue Märkte eröffnen. Manche befürchten, dass dieses Metaverse die gegenwärtige Abhängigkeit von Sozialen Medien verschlimmern wird, manche sehen darin ein enorm schädliches Mittel zur Ablenkung, besonders für junge Leute.
Doch niemand bedenkt die moralischen Auswirkungen dieses Projektss. Das Metaverse wird Seelen schaden. Tragischerweise sehen die meisten keinen Grund, Gott und Moral in technologsiche Erfindungen miteinzubeziehen, die augenscheinlich erst mal nichts mit der privaten Angelegenheit der Religion zu tun haben. Schlimm ist ganz besonders auch, dass der Klerus das Problem nicht einmal auf dem Radar hat, geschweige denn Anstalten machen würde, es aufzudecken und zur Sprache zu bringen.
Doch das Problem existiert. Das Metaverse ist ein metaphysischer Angriff auf die Weltanschauung der katholischen Kirche. Es verdrängt die Natur eines von Gott geschaffenen Universums und ermöglicht auf eine neue Art unmoralische Handlungen, die Gott zutiefst beleidigen.
Ein Prozess des Vorstellens und der Zerstörung
Das Metaverse muss im Kontext des andauernden Bestrebens der modernen Welt gesehen werden, in der nicht mehr Gott, sondern der Menschen ins Zentrum aller Dinge gerückt wird.
Tatsächlich ist die moderne Welt versessen darauf, sich neue Welten ohne Gott vorzustellen. Die Aufklärung hat Möglichkeiten eingeleitet, die Realität durch das Entwickeln von Technologien, Philosophien und Lebensführungen an ihre Grenzen zu treiben.
In der Neuzeit wurde die Verherrlichung des Individuums eingeleitet. Die Gesellschaft wurde zu einem Kollektiv von Personen. Hobbes nannte sie einen Haufen von Individuen, die alle von einem egoistischen Eigeninteresse getrieben und von einer starken Rechtsordnung im Zaum gehalten werden, welche sich in Hobbes‘ „Leviathan“ manifestierte.
Der Individualismus der Neuzeit wollte also externe Strukturen wie Tradition, Sitte und Gemeinschaft, die dieses Eigeninteresse behinderten, vernichten. Mit ihm wurden gewisse moralische Mechanismen zerstört, die die Ausübung der Tugend in der Gemeinschaft erleichtert haben. Er hat eine schnelllebige Ordnung geschaffen, in der der Mensch zum Mittelpunkt aller Dinge wurde und Religion als Privatsache abgetan und verdrängt wurde.
Die Postmoderne zerrüttet die Gesellschaft
Die neue Ordnung der Moderne wurde wiederum von der Postmoderne der 60er Jahre erschüttert, in welcher die Fantasie vermeintlich befreit und jegliche moralische Einschränkung beseitigt werden sollte. Die Postmoderne trieb den Individualismus durch das Aufkommen neuer Technologien, Philosophien und Lebensführungen auf die Spitze, und die Gesellschaft wurde durch Drogen, Rockmusik und die sexuelle Revolution auf den Kopf gestellt.
Mit derselben Einstellung, mit der die Moderne das Eigeninteresse vergöttert hat, machen die Individualisten der Postmoderne das „Recht“ auf Selbsterfüllung zum einzigen absoluten Recht – auch dann, wenn ein solches Verhalten selbstzerstörerisch sein sollte. Der postmoderne Individualist will innere Strukturen wie Logik, Identität oder Einheit, also alles, was eine sofortige Befriedigung behindert, zerstören. Das “dekonstruierte” Narrativ der Postmoderne hat Individuen noch einmal mehr isoliert und vereinsamen lassen und brachte sie dazu, außerhalb Gottes und Seiner Moral ihre eigenen Realitäten aufzubauen.
Dennoch waren die Moderne und die Postmoderne noch irgendwie in einer externen Realität verankert, welcher man schlichtweg nicht ganz entkommen konnte. Es gab physische und ontologische Grenzen, die auch die Fantasie in Schach hielten. Der Mensch mochte sich zwar als etwas identifizieren, das er gar nicht war, doch dieses Verlangen änderte die Realität nicht. Außerdem waren seine Fantasien nur für ihn, nicht aber für die Menschen in seinem Umfeld wahrnehmbar.
Der Einstieg in eine neue Sphähre der Realitätswahrnehmung
Das Einführen des Metaversums nimmt jetzt Einfluss auf diese Schwierigkeit, die Realität auch tatsächlich zu verändern. Von Futuristen wird dies oft die „vierte industrielle Revolution” genannt. Der nächste Schritt, ganz in den Fußstapfen der Moderne und Postmoderne, ist die Vorstellung des Selbst außerhalb der Realität. Die Hindernisse, die jetzt noch im Weg stehen, ist die gegenwärtige Art und Weise, die Natur, die Existenz und das Sein wahrzunehmen.
Diese nächste Welle der Innovation und Technologie wird es dem Einzelnen ermöglichen, sich selbst in eine eigens kreierte Welt abzutauchen. Leute werden zu Avataren, also Cyber-Spiegelbilder von Männern, Frauen, Tieren oder Dingen, die in der Cybersphäre „leben“. Sie werden sein können, wo sie wollen – auf dem Mond, auf den Dächern von Wolkenkratzern oder auch in einem Feld voller Einhörner. Diese Sphäre kann von Außerirdischen bewohnt werden, von Engeln, Dämonen oder allem anderen, was die Fantasie eingibt.
Menschen werden übermenschliche Taten begehen, die augenscheinlich keine Konsequenzen haben. Während sich nichts von dem, was wirklich existiert, verändert, so entsteht doch der täuschende Eindruck, dass die eigenen Fantasievorstellungen realer sind als die Realität.
Diese gigantische virtuelle Plattform ist viel mehr als eine Erweiterung des Internets, das es uns ja ermöglicht, in das „World Wide Web“ zu blicken. Diese neue Sphäre soll „das Internet verkörpern, indem es den Menschen mitten in sich hineinnimmt“. In dieser neuen Welt regiert die Vorstellungskraft.
Eine Illusionswelt mit Handlungen ohne Konsequenzen
Mit dem Metaverse gehen primär drei Probleme einher:
Erstens führt es Menschen durch das Kreieren einer wahnhaften Welt ohne Konsequenzen und ohne Bedeutung dazu, sich von der Realität loszulösen. Sie können die Natur leugnen, indem sie unmögliche Dinge tun wie etwa auf dem Mond gehen oder ein Fußballspiel vom Tor aus anschauen. Die absurdesten Dinge werden möglich in einer imaginären, von der Realität losgelösten Welt.
Man ist auch nicht mehr an die Zeit gebunden und kann in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen. Sogar der Tod will mit Avataren und Algorithmen überwunden werden – verstorbene Verwandte oder historische Persönlichkeiten können sozusagen für einen Tratsch oder irgendeine Interaktion zurück ins Leben gerufen werden.
Man kann anderen Menschen – ob sie nun wirklich existieren oder nicht – auch etwas antun, könnte ihnen gar den Arm abhacken, ohne dass das Folgen nach sich zieht. Jede Fantasie, auch die makaberste, kann im Metaverse Realität werden. Damit werden sich finstere Räume eröffnen, die sündhafte Akte oder Simulationen derselben ermöglichen.
Eine solche einsame Welt, losgelöst von der Wirklichkeit und der einfachen Natur der Dinge, kann die wilden Leidenschaften nähren, die jegliche moralische Einschränkung hassen. Ein Raum wie dieser kann sich schnell von Alice’s Wunderland in ein Irrenhaus verwandeln. Bereits jetzt verursacht die frenetische Unbändigkeit des gegenwärtigen Internets und der Sozialen Medien psychologische und soziale Probleme. Wie viel mehr noch wird das Metaverse Menschen in Wahn und Depression stürzen?
Die Zerstörung der Identität
Der zweite Grund zur Sorge ist, dass das Metaverse „Identität“ mit „Entscheidung“ gleichsetzt. Das postmoderne Paradigma ermöglicht es jedem, sich als etwas anderes zu identifizieren als er ist. Diese Identifikation existiert jedoch nur im Kopf der getäuschten Person. Nach außen hin ist im Allgemeinen erkennbar, dass es nur eine Illusion ist.
Doch das Metaverse verändert diese Wahrnehmung. Die Person wird zum idealen Modell dessen, was verlangt wird und doch nicht sein kann. Eine Person muss nicht mehr Person sein, sondern kann auch Tier, Pflanze oder Ding sein; sie muss nicht mehr ein einzelnes Wesen sein, sondern kann in der Fantasiewelt auch zu einer ganzen Kakophonie an Wesen werden.
Diese Lüge der freien Selbstidentifizierung wird durch das Metaverse möglich gemacht. Der existentialistische Philosoph Jean-Paul Sartre sagte einst, dass „der Mensch Freiheit ist“, was den Menschen im Grunde grenzenlos macht. In seinem Buch „Das Sein und das Nichts“ schreibt er, dass Freiheit nichts anderes sei als eine Entscheidung, die sich selbst ihre eigenen möglichen Ausgänge schafft.
Das Metaverse ist die Verwirklichung dieser verzerrten, sich gegen die kontingente Natur des Menschen auflehnenden Vorstellung von Freiheit, und soll Individuen zu Göttern ihrer Fantasie machen.
Das Leugnen der Metaphysik
Der letzte und gefährlichste Aspekt des Metaverse ist jedoch das Leugnen der metaphysischen Sicht des Lebens, die die Seele zum Schöpfer führt.
Jeder, ja bereits Kinder beschäftigen sich mit dem Übernatürlichen. Die menschliche Natur und besonders die Seele verlangen nach einem rationalen Verständnis ihrer selbst und des Universums. Daher ist eine klassische Definition der “Metaphysik” eine philosophische Fragestellung nach den ultimativen Prinzipien und Ursachen. Wenn sich der Mensch damit befasst, macht er die Natur der existierenden Dinge ausfindig und kann das Gefundene zu einem kohärenten Bild zusammenfügen.
Eine klare, aufrichtige Sicht der Dinge macht die unvollkommene Endlichkeit jedes Menschen schmerzhaft deutlich. Durch das Verstehen der Schöpfung können wir jedoch erkennen, dass das eigentliche Ziel jeglicher Existenz die physischen und sozialen Grenzen wieder übersteigt. Dies ist der Weg hin zum Schöpfer, der sich in der Natur widerspiegelt. Dieser Prozess, Gott, das ultimative Ziel der Seele, anzustreben, verleiht dem Leben Sinn und Zweck.
Die transhumanistische Revolution
Die Philosophien, die dem Metaverse zugrunde liegen, sind konträr zu dieser klassischen metaphysischen Sicht. Da wird nicht das Verständnis der Natur der Dinge angestrebt, sondern nur das unlimitierte Erleben von irgendwelchen Ereignissen. Diese „transhumanistische“ Wahrnehmung der Welt versteht die Menschheit als ein Prozess in ständiger Evolution. Klaus Schwab, der Vater des „Great Reset“, beschreibt diesen nächsten Schritt als die „Fusion der digitalen, biologischen und physischen Welten“.
Die Idee des Metaversums geht Hand in Hand mit den Ausblicken des Bestseller-Autors der New York Times Yuval Noah Harari. Er schreibt häufig zu diesen Themen und sieht ganz offen eine Zukunft ohne Seele, freien Willen, eigenständiges Selbst oder Gott voraus. Seine Welt ist eine algorithmische, eine der zufälligen Erfahrungen, wo man ist, was auch immer man nun mal wird. Er glaubt, dass es keine Religionen, sondern nur machtvolle Fiktion gibt, wie etwa das Metaverse, mit der die Menschen komplette virtuelle Welten inklusive Höllen und Himmeln schaffen werden.
Dieser Autor ist bei Weitem nicht der Einzige, der diese unheimliche Prognose aufstellt: Er spricht für eine ganz Gruppe an „fortschrittlichen“ Wissenschaftlern und Geschäftsleuten von Big Data und Silicon Valley, die sich allesamt der Aufgabe, die menschliche Natur und die Realität durch Tricks wie das Metaversum zu verändern, annehmen wollen. Sie machen keinen Hehl aus ihrer Ablehnung von Gottes Schöpfung und der moralischen Ordnung.
Zurückweisung ist dringend nötig!
All das sind ernste Bedenken angesichts des unweigerlich auf uns zukommenden Metaverse. Nicht in allen Anwendungen wird die volle Dosis an Gefahren dieser zerstörerischen Pläne für die Menschheit enthalten sein. Doch es geht grundsätzlich eindeutig in die Richtung “schöne neue Welt” ohne Gott. Und solche Schlüsse kommen nicht etwa von Verschwörungstheoretikern, sondern von Metaverse-Vertretern selbst.
Das Metaverse muss also entschieden zurückgewiesen werden, weil seine Weltanschauung im Widerspruch zu jener der Kirche steht. Es ist besorgniserregend, dass ein derart gewaltiges Phänomen in der Ferne aufscheinen kann, ohne dass sich Seelenhirten groß dazu äußern. In der heutigen gottlosen Gesellschaft wird der Abfall von der Glaubenspraxis nicht mehr hauptsächlich direkt durch abstrakte theologische Streitigkeiten verursacht, sondern vielmehr durch technische Erfindungen wie dieser.
Gleichermaßen besorgniserregend und verstörend ist, dass die Menschen gar nicht wissen wollen, wohin uns all das führen wird. Die Geschichte zeigt, dass es immer in nihilistischer Verzweiflung endet, wenn man den menschlichen Leidenschaften einfach freien Lauf lässt. Das maßlose Erfahren der Metaverse-Vergnügungen wird schlussendlich die noch intensiveren Gefühle von existentialistischem Schmerz fordern. So wird der Verfallsprozess der Moderne also vom Eigeninteresse über die Selbstbefriedigung und Selbsttäuschung bis hin zur Selbstauslöschung vollen Lauf nehmen.
Eine Welt, die von Wahn und Täuschung, von Absurditäten und der Leugnung des Seins und von Sinn und Zweck dominiert wird und wo bizarre Fantasien regieren, muss eigentlich anders benannt werden. Was die gottlosen Visionäre des Metaverse erstellen, ist der Grundriss für eine virtuelle Hölle auf Erden.