5.7.07

 

Wie männlich ist der Gott der Bibel? (Othmar Kehl in der NZZ )



Othmar Keel ist emeritierter Professor für Altes Testament der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Freiburg i. Ü. sowie Präsident der Stiftung Bibel und Orient.

"Die im Herbst 2006 erschienene «Bibel in gerechter Sprache» hat heftige Kontroversen ausgelöst. Ein Streitpunkt war die Wiedergabe des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe. In den meisten Übersetzungen, auch in der neuen Zürcher Bibel, wird der Name mit «der Herr» wiedergegeben. Das ist von jenen, die die Bibel gerecht zu übersetzen versuchten - unter ihnen mehrheitlich Frauen -, mit Recht als Problem empfunden worden. "

Da das Hebräische ursprünglich keine Vokale geschrieben hat, wissen wir nicht mit Sicherheit, wie die vier Konsonanten JHWH (das Tetragramm) ausgesprochen wurden. Viele schreiben deshalb konsequent nur die Konsonanten JHWH und lassen die Lesung offen. Griechische Wiedergaben legen eine Lesung «Jahwe» nahe. Der Name stammt, wie altägyptische Texte vermuten lassen, aus dem nordwestlichen Arabien und bedeutet wahrscheinlich «Er weht» (von der Wurzel hawah). Im Buche Exodus, Kapitel 3, wird er von der sehr ähnlichen Wurzel hajah her verstanden und als «Er ist da» gedeutet. In diesem Kapitel wird erzählt, Mose habe die Gottheit, die ihm im brennenden Dornbusch erschien und die ihm unbekannt war, nach ihrem Namen gefragt. Die erschienene Gottheit selbst habe ihm ihren Namen, Jahwe, verraten und ihm aufgetragen, man solle sie für alle Zeiten bei diesem Namen nennen und sie mit diesem Namen anrufen.

EIN EIGENNAME UND SEINE ERSETZUNG
Mindestens zwei Dinge macht dieses Kapitel deutlich. Erstens: «Jahwe» ist ein Eigenname. Der Moses dieser Erzählung lebt in einer polytheistischen Welt. Wenn einem da eine Gottheit erscheint, ist es nicht einfach Gott, der eine und einzige seiner Gattung, sondern eine Gottheit, die durch einen Eigennamen von anderen unterschieden werden muss. Jahwe hiess der Hauptgott Israels, wie der Hauptgott der östlichen Nachbarn Israels, der Moabiter, Kemosch hiess, der der Edomiter Qos usw. Zweitens hat man diesen Namen benützt, ob man diese Gottheit im Gebet anrief oder ob man in dritter Person über sie sprach. Das hat sich erst im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. zu ändern begonnen, wie ein Blick auf die sehr unterschiedlichen hebräischen und später auch griechischen Handschriften lehrt.
Warum hat man von einem bestimmten Zeitpunkt an vermieden, den Gott Israels - gegen die Vorschrift von Exodus 3, 15 - mit seinem Eigennamen anzurufen? Aus der Zeit, als der Umschwung einsetzte, sind uns keine Zeugnisse bekannt, die über den Grund oder die Gründe Auskunft geben würden. Als sich die Praxis bereits durchgesetzt hatte, begründete man sie mit der besonderen Heiligkeit und Unaussprechlichkeit dieses Namens. Aber das ist eine nachgeschobene Erklärung, die nicht erklärt, warum der Gebrauch des Namens jahrhundertelang kein Problem war. Naheliegend und viel wahrscheinlicher ist die Erklärung, dass der Eigenname in dem Moment obsolet geworden ist, als sich zuerst im Judentum und dann im Christentum die Überzeugung durchzusetzen begann, es gebe nur einen einzigen Gott. Ein Eigenname ist nur dort sinnvoll und notwendig, wo es viele Exemplare einer Gattung gibt. Zu Hause, wo es nur eine Mama gibt, genügt die Gattungsbezeichnung. Im Geschäft, wo viele Mamas tätig sind, sind Eigennamen nötig. Nachdem Jahwe für seine Gemeinden der Einzige seiner Gattung geworden war, erinnerte der Eigenname peinlich an die Zeit, da er einer von vielen gewesen war. Man musste ihn ersetzen. Man diente nicht mehr einem Gott unter vielen, sondern dem einen und einzigen.
Wie der Aufsatz «The Names of God» von Kristin de Troyer in der Internet-Zeitschrift «Lectio difficilior» der theologischen Fakultät der Universität Bern (www.lectio.unibe.ch) eindrücklich zeigt, gab es viele Versuche, «Jahwe» zu ersetzen. Es herrschte ein ziemlicher Wirrwarr. Man ersetzte den Eigennamen durch «Gott», «Herr», «Allherr (Pantokrator)», «der Name», «der Ort», durch vier Punkte, die die Lesung offenliessen, und anderes mehr. Dies alles sind keine Übersetzungen, sondern Ersetzungen, Interpretationen des Eigennamens Jahwe. Das erinnert auffällig an die Praxis der «Bibel in gerechter Sprache», die eine Auswahl von Ersetzungen zur Verfügung stellt. Das hat nichts mit «theologischem Bankrott» zu tun, wie Kritiker meinten, sondern ist typisch für eine suchende Zeit, die ein Problem eben erst entdeckt und noch keine für alle akzeptable Lösung hat. In der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, die die frühe Christenheit des Mittelmeerraumes benützte, hat sich nach einiger Zeit das Substitut kyrios, «Herr», durchgesetzt. Es findet sich, wie gesagt, noch in vielen modernen Übersetzungen.

THEOLOGISCH FRAGWÜRDIG
Die Praxis, Jahwe konsequent durch «Herr» zu ersetzen, führte zu einer Art Persönlichkeitsveränderung. Eigennamen sind offene Bezeichnungen. «Tanja» oder «Johannes» verraten vorerst nicht viel mehr als das Geschlecht der Trägerin bzw. des Trägers. Französische Namen wie Claude oder Dominique nicht einmal das.
Wenn 6800-mal - so oft kommt «Jahwe» im sogenannten Alten Testament vor - statt von «Johannes» von «der Herr Direktor» die Rede ist, bedeutet das eine ungeheure Verengung. Während «Johannes» viele Möglichkeiten in sich birgt und am Schluss «der ist, der er ist» (vgl. Exodus 3, 14), bezeichnet «der Herr Direktor» eine ganz enge und bestimmte Rolle. Jahwe erscheint in den biblischen Texten in sehr vielen Rollen. Zwar sind es hauptsächlich männliche wie Vater, Bruder, Hirte, Krieger, König, Töpfer, Richter, Arzt. Er kann aber auch in weiblichen, z. B. als Mutter und Hebamme, erscheinen. Männlich und weiblich ist dabei im Sinne von gender, nicht von sex zu verstehen. Der Phallus Jahwes wird im Gegensatz zu dem des obersten kanaanäischen Gottes El nie erwähnt. Der Prophet Hosea (11, 9) lässt Jahwe sagen: «Ich bin Gott, kein Mann!»
Die Ersetzung von Jahwe durch «der Herr» hat die offene Persönlichkeit Jahwes auf eine bestimmte enge, männliche Rolle eingeschränkt und seine schillernde, reiche Persönlichkeit verarmen lassen. Der Aspektreichtum des Geheimnisses, das Undefinierbare («Ich bin, der ich bin»), das der Eigenname Jahwe evozierte, ging dabei weitgehend verloren. Verloren gingen vor allem die weiblichen Aspekte.
Im ersten Kapitel der Bibel steht der berühmte Satz «Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, nach unserem Bild und als unser Gleichnis . . . Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, männlich und weiblich schuf er sie.» Der Text schwankt zwischen Einzahl und Mehrzahl. Nur Mann und Frau (Mehrzahl) machen den ganzen Menschen (Einzahl) und das vollständige Bild Gottes aus. Es sind zwar Bände über die Lehre von der Imago Dei verfasst worden. Über die Frage aber, welche Konsequenzen die Gottebenbildlichkeit der Frau für das Gottesbild haben könnte, darüber verlieren die gängigen von Männern geschriebenen Kommentare zur Genesis nicht einen einzigen Satz. Auf das gravierende theologische Problem, das sich in der Gottebenbildlichkeit des Mannes und der Frau versteckt, hat erst die feministische theologische Forschung mit Nachdruck hingewiesen.

JAHWE IN WEIBLICHEN ROLLEN
Wenn die Frau genau gleich wie der Mann Abbild Gottes ist, warum wird dann das Vorbild, Gott, beharrlich nur als Mann dargestellt? Einzig das jahrtausendealte Monopol der Männer, normativ über Gott zu reden, ist die Ursache dafür, dass Gott ausschliesslich als Mann vorgestellt wurde. Nachdem die Frauen ihre Gottebenbildlichkeit entdeckt haben, dürfte die Zeit dieses Privilegs abgelaufen sein. Gewohnheit und Tradition sind keine hinreichenden Gründe dafür, es beizubehalten. Es war auch eine jahrhundertealte Tradition, Gott mit «Jahwe» anzureden, bis diese Anrede obsolet und durch «Herr» ersetzt wurde. Heute haben die gesellschaftliche Entwicklung (Emanzipation der Frau) und die theologische (Teilnahme der Frauen am theologischen Diskurs) die ausschliessliche Interpretation von Jahwe durch «Herr» obsolet gemacht. Die Frauen reklamieren aufgrund ihrer von Genesis 1, 27 verbürgten Gottebenbildlichkeit mit Recht, sich Gott auch weiblich vorstellen zu dürfen. Die «Bibel in gerechter Sprache» hat das begriffen und versucht, diesem legitimen Anliegen gerecht zu werden. Wie beim Vorgang, den Eigennamen Jahwe durch eine Gattungsbezeichnung zu ersetzen, wird es lange dauern, bis sich die Ablösung von «Herr» durch einen oder mehrere andere Begriffe etablieren wird.
Theologisch rechtfertigen nebst der bisher ignorierten Gottebenbildlichkeit der Frau weitere Gründe diese Ablösung. Jahwe, der Gott Israels, ist bei weitem nicht so männlich, wie das 6800-fache «Herr» suggeriert. Im Gegensatz zum Monotheismus des ägyptischen Pharaos Echnaton, der exklusiv die Sonnenscheibe bzw. das Sonnenlicht als Gottheit gelten liess, hat der inklusive, integrative biblische Monotheismus Jahwe die Rollen vieler Götter und Göttinnen übernehmen lassen. So sind etwa in ägyptischen Darstellungen stets eine weibliche und eine männliche Gottheit an der Erschaffung des Menschen beteiligt. Ägyptische Tempel-Reliefs zeigen den männlichen Chnum beim Töpfern des menschlichen Leibes. Die Göttin Hathor steuert den Lebenshauch (Henkelkreuz) bei. In der Bibel spielt Jahwe die männliche Rolle des Chnum und die weibliche der Hathor. Er «töpfert» wie Chnum den Körper und gibt wie Hathor den Lebensodem in die Nase ein.
Beim Lesen der Sintflut-Geschichte ist schon immer aufgefallen, dass Jahwe etwas inkohärent wirkt. Erst verkündet er, dass es ihn reue, die Menschen gemacht zu haben, weil ihr ganzes Denken böse sei. Zuletzt beschliesst er aufgrund der gleichen Feststellung, nie mehr eine Sintflut auszulösen. Woher rührt diese Inkonsequenz? Man kann sie psychologisch deuten. Jahwe ist lernfähig. Zuerst aber hat sie einen traditionsgeschichtlichen Grund. In der älteren mesopotamischen polytheistischen Sintflut-Überlieferung, die die Bibel bearbeitet hat, beschliesst der Herr, Enlil, die lästig gewordenen Menschen durch eine Sintflut zu vernichten. Der Gott der Weisheit, Ea, fordert ihn auf, zwischen Guten (Noah) und Bösen zu unterscheiden. Die Göttin der Geburt verwendet sich für die Gesamtheit der Menschen, die sie geboren hat. Sie setzt sich aber nicht durch. Nach der Sintflut schwört sie, es nie mehr so weit kommen zu lassen.
Die Inkohärenz der biblischen Sintflut-Geschichte rührt daher, dass in der biblischen Version Jahwe alle drei Rollen spielt, die Enlils, die Eas und die der Muttergöttin. Den Schwur der Göttin der Geburt zitiert Jahwe als seinen eigenen: «Wie ich in den Tagen Noahs geschworen habe, dass die Wasser Noahs die Erde nie mehr überfluten sollen, so schwöre ich, nie mehr gegen dich (Jerusalem) zu zürnen.» (Jesaja 54, 9) Mütterliches Mitfühlen und Erbarmen sind wichtige Elemente des biblischen und des Gottesbildes des Korans. Die einschlägigen Begriffe - hebräisch: rachum, rachamim; arabisch: rachmani, rachimi - sind mit rechem, «Mutterschoss», verwandt.

ASCHERA UND FRAU WEISHEIT
Die «Weiblichkeit» Jahwes ist nicht nur durch die stillschweigende Übernahme weiblicher Rollen realisiert. Göttlichkeit erscheint im biblischen Raum gelegentlich auch in einer zweiten, dem eher männlich aufgefassten Jahwe beigesellten weiblichen Person. 1975 entdeckte der israelische Archäologe Ze'ev Meschel mitten in der Wüste auf halbem Weg zwischen Gaza und Eilat die Reste einer Karawanserei aus der Zeit um 750 v. Chr. Die Ruine trug den Namen «Kuntillet Adschrud». Unter den Inschriften auf Vorratskrügen und an den Wänden fand sich als Sensation eine Segensformel, in der durch Jahwe und Aschera gesegnet wird. Bis anhin hatte man Aschera nur als Partnerin Baals gekannt, des Gegenspielers Jahwes, als Göttin, deren Bild zeitweilig verbotenerweise im Jahwe-Tempel in Jerusalem stand und bei der Reform des Königs Joschija 622 v. Chr. samt den Dienerinnen der Göttin aus dem Tempel geworfen wurde.
Die Entdeckung der Inschriften entfachte eine weltweite Diskussion darüber, ob Jahwe einmal «verheiratet» war oder ob es sich bei Aschera um ein Jahwe beigeselltes Segenssymbol, etwa einen heiligen Baum, handle. Da im 8./7. Jahrhundert v. Chr. in Judäa, auch in Jerusalem selbst, in jedem zweiten Haus Figuren einer weiblichen Gottheit mit stark betonten Brüsten standen, nehmen immer mehr Fachleute aus Archäologie und Bibelwissenschaft an, es handle sich bei diesen Figuren um Darstellungen der in der Segensformel genannten Aschera, die bis 622 v. Chr. zusammen mit Jahwe im Tempel von Jerusalem verehrt wurde. Die Entfernung der Aschera und ihrer Dienerinnen aus dem Tempel (2. Könige 23, 6f.) war nur ein Aspekt des Versuchs einflussreicher Kreise in Israel, Glaube und Kult eines einzigen Gottes durchzusetzen.
Das Weibliche ist aber ein zu wesentliches Element, um dauerhaft aus unseren Vorstellungen vom Göttlichen eliminiert zu werden. Im Buch der Sprüche aufersteht nach dem babylonischen Exil die alte Aschera wieder in der Gestalt der Weisheit. Die scherzende Weisheit, die im Buch der Sprüche (Kap. 8) den Schöpfergott als lachende Partnerin animiert und bei Schöpferlaune hält, wird von patriarchalen und klerikalen Auslegern gegen alle motivgeschichtliche und philologische Evidenz zwar zum Kleinkind bagatellisiert. Im erotisch gefärbten Scherzen der Weisheit wird aber der Überzeugung Ausdruck verliehen, der Welt liege nicht nur der strenge zielgerichtete Wille eines Schöpfers und Herrn zugrunde, sondern ebenso sehr die heitere Lebenslust eines weiblichen Gegenübers. Im «Buch der Weisheit» aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. erscheint diese gar als Beisitzerin auf dem Thron Gottes.
In der Bibel ist das Göttliche also keineswegs so exklusiv männlich, wie die Ersetzung von «Jahwe» durch «Herr» suggeriert. Die Ablösung des Begriffs «Herr» ist heute ebenso geboten wie vor 2000 Jahren das Ersetzen des Eigennamens durch eine Gattungsbezeichnung. Der Satz des Paulus von den vielen Herren, die es gibt, und dem einen, der allein letzte Autorität beanspruchen kann (1. Korintherbrief 8, 5f.), hat dem Titel zwar ein unabdingbares kritisches Potenzial verliehen. Das kann aber auch anders als auf die traditionelle Weise gewahrt bleiben. Es können an der «Bibel in gerechter Sprache» mit guten Gründen zahlreiche Details kritisiert werden - was reichlich geschehen ist. Es muss ihr aber zugutegehalten werden, dass sie die Lösung eines dringenden Problems in Angriff genommen hat.

(Aus dem Newsletter der evang. Kirche Wien)

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