28.12.15

 

Heloïsa und Abaelard

Ein  Leben  zwischen  Vernunft  und  Liebe:


Heloïsa: Eine der gebildetsten Frauen der Epoche, Geliebte, heimliche Ehefrau, von ihrem Mann ins Kloster verbannt, schließlich Gründungsäbtissin eines Frauenordens...

Peter Abaelard: Umstrittener Philosoph und Theologe des 12. Jahrhunderts, zunächst gefeiert, dann wegen seines Hochmuts gehasst und um der Liebe willen durch Entmannung bestraft, wegen seiner Lehren von Bernhard v. Clairvaux und dem orthodoxen Klerus verfolgt, schließlich vom Papst zu dauernder Klosterhaft und ewigem Schweigen verurteilt...

Beide: Nach kurzem gemeinsamem Glück ein Leben lang getrennt und dennoch ein Herz und eine Seele, bis über den leiblichen Tod hinaus. Ein Paar von einer derartigen Intensität der Gedanken und Gefühle, dass ihm kein zweites je gleichkam...

Nur Fachwissenschaftler beschäftigen sich in unserer Zeit etwas intensiver mit Heloïsa und Peter Abaelard. In der breiten Öffentlichkeit weiß dagegen kaum jemand um die Schicksale dieser Schwellenmenschen und die Aufbruchstimmung im 12. Jahrhundert, das nicht ganz zu Unrecht auch Renaissance des Mittelalters genannt wird.

Ist es heute allgemein bekannt, dass es die originäre Leistung Peter Abaelards war, Theologie als wissenschaftliches Arbeitsprogramm aufzufassen? Sind die unzähligen Akademiker in aller Welt darüber informiert, dass er als Mitbegründer der freien Universität gelten darf? Kennt man die bahnbrechende Gesinnungsethik des Paares, welche die individuelle Gewissensentscheidung über alle starre Dogmatik stellte? Hat man Kenntnis vom dialogisch entwickelten Modell des Miteinanders der Geschlechter und Generationen, in einem Leben hin zu Gott? Wer kennt schon Abaelards Utopie des friedlichen Miteinanders der Religionen im Ringen um den wahren Glauben, entwickelt noch vor den Glaubenskriegen, den Judenpogromen und der Inquisition? 

Beide - Heloïsa und Peter Abaelard - dachten voraus. Aktiv und kritisch setzten sie sich mit ihrer Zeit und den sie bewegenden geisteswissenschaftlichen Strömungen auseinander. Gemeinsam entwickelten sie in Philosophie und Theologie Ansätze und Ideen, die zum Teil erst Jahrhunderte später - zum Beispiel von Kant oder Leibnitz - zu Ende gedacht wurden. Peter Abaelard baute den Großteil seines Lehrgebäudes auf diesen Modellen auf. 

Im realen Leben jedoch scheiterte er: So schillernd sein Lebenslauf wirkt, im Grunde genommen ist er nichts anderes als eine ununterbrochene Abfolge von Katastrophen und Niederlagen. Die meisten Zeitgenossen verstanden Peter Abaelard nicht; einige machten ihn am Ende mundtot. So blieben seine Lehren allzeit in einer ungerechten Anonymität: Namhafte Theologen und Philosophen - selbst so berühmte wie Petrus Lombardus oder Thomas von Aquin - haben seine Methodik und Lehren übernommen, aber keiner von ihnen hat ihn je zitiert.

Heloïsa wurde bis in jüngste Zeit hinein eher als amouröser Zierat Abaelards gehandelt - ohne eigenes Profil. Wer sich aber etwas näher mit den Gedanken und der Lebensleistung dieser Frau auseinandersetzt, wird erkennen, wie Unrecht man ihr damit tut. Das Werk des Philosophen und Theologen Peter Abaelard hätte bei weitem nicht den unschätzbaren Wert, wenn es nicht so faszinierend mit seiner tragischen Liebesbeziehung zu Heloïsa verwoben wäre: Heloïsa und Abaelard lebten die meiste Zeit ihres Lebens getrennt. Nichtsdestotrotz band sie eine höhere Bestimmung bis zu ihrem Ende aneinander. Was als bloße Leidenschaft begann, mündete schließlich in eine reife Liebesbeziehung, die selbst der Tod nicht zerstören konnte. 

Abaelards Autobiographie liest sich wie ein Kriminalroman, eine Handvoll persönlicher Briefe ermöglichen einen faszinierenden Einblick in die Gefühlswelt dieser liebenden Protagonisten der europäischen Geistesgeschichte. Generationen von gebildeten Lesern ließen sich seit dem 17. Jahrhundert durch sie in den Bann schlagen. Also am Ende doch nichts anderes als eine herzrührende Romanze? Weit gefehltl! Erst aus der Kenntnis des tragischen Prinzips, der Vollendung der Liebe im Verzicht, lassen sich die epochalen Theoreme des Philosophen Abaelard auch von ihrer psychologischen Dimension her verstehen. Nur aus der Verbindung von Geist und Seele - animus und anima - heraus konnte so Großes entstehen!
Diesen Schatz zu heben und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, ist das Ziel der vorliegenden Seiten. Sie erfahren eine Weiterentwicklung, soweit es Zeit, Mittel und Quellenlage gestatten. Ein gewerblicher Einsatz ist selbstverständlich untersagt. Jedoch mag sie jeder Interessent - im Sinne Abaelardscher Gedankenfreiheit - zu privaten Zwecken frei benutzen. Die Inhalte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Wissenschaftlichkeit. Eingearbeitet wurden Veröffentlichungen aus früherer, aber auch aus jüngerer Zeit. Der Einfachheit halber blieben manche Texte und Zitate ohne Quellenangabe oder Literaturvermerk; ein Plagiat war nicht beabsichtigt. Man mag verzeihen, wenn die eine oder andere Jahreszahl und so manche Aussage umstritten bleibt. Noch immer sind nicht alle biographischen Fakten geklärt. Es bleiben viele Ungereimtheiten, Widersprüche und offene Fragen. Um das Dunkel stellenweise etwas zu lichten, wurden eigene Recherchen unternommen und Analysen gewagt. Sie erbrachten nicht selten überraschende Ergebnisse. Vereinzelt finden sich auch Beiträge in englischer oder französischer Sprache. Alles in allem handelt es sich um eine recht subjektive Auswahl an Dokumenten - Primärquellen, Übersetzungen, Aufsätzen, Bildern, Büchern und Bibliographien.

Mag diese lose und keineswegs vollständige Sammlung die Erinnerung an Heloïsa und Peter Abaelard wiederbeleben und dabei einen möglichst großen Leserkreis ansprechen. Kritik, Information und Anregungen sind jederzeit willkommen. 

Nachlesen


war ein umstrittener und streitbarer Philosoph des Mittelalters und bedeutender Vertreter der Frühscholastik. Er lehrte unter anderem in Paris Theologie, Logik und Dialektik. In Anspielung auf seine Herkunft und sein Metier gab ihm sein Zeitgenosse Johann von Salisbury den Beinamen Peripateticus palatinus „der Peripatetiker aus Le Pallet“.
Abaelardus und Heloïse in einer Handschrift des Roman de la Rose, Chantilly, musée Condé (14. Jh.)
Abaelard vertrat viele Jahrhunderte vor der Aufklärung den Vorrang der Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen. Durch diese und andere kontroverse Lehren, aber auch wegen der Liebesaffäre mit seiner Schülerin Heloisa, geriet er in zahlreiche Konflikte. Neben dem umfangreichen Briefwechsel sind seine theologischen Dispute unter anderem mit Bernhard von Clairvaux bis heute interessant.



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