19.4.17

 

Schuld und Sühne

Das Unbewusste ist dem ICH immer 1,5 Sekunden voraus, der freie Wille eine Chimäre. Das sagen uns Neurologen, Psychoanalytiker und erst recht Vertreter der neuesten Hirnforschung. Dem gegenüber steht der Kant'sche Satz, wonach der Mensch ein freies Wesen sei und sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien habe. "Als mündiges Subjekt ist er schuldfähig: Er muss einstehen für das, was er getan hat," schreibt Konrad Paul Liessmann anlässlich eines Philosophicum Lech.
Der Philosoph diskutiert mit Wissenschaftern die ethische und gesellschaftliche Dimension dieser, seit geraumer Zeit ins Wanken geratenen These, denn je mehr die moderne Wissenschaft den Menschen als ein durch Gene, Umwelt, das Unbewusste und durch Hirnfunktionen bedingtes und bestimmtes Wesen erkennt, desto fragwürdiger wird die These, dass der Mensch für all sein Tun verantwortlich sei.
"Und auch wenn wir bereit sind, Verantwortung zu tragen, fragt es sich in einer komplexen Gesellschaft, in der fast niemand mehr die Folgen seines Tuns überblickt, wer letztlich für menschengemachte Ereignisse und Katastrophen, die viele betreffen, die Verantwortung trägt: Von Reaktorunfällen über Finanz- und Wirtschaftskrisen bis zum Klimakollaps zeichnen sich Szenarien ab, in denen die Zuschreibung von eindeutiger Verantwortung kaum mehr möglich erscheint.
Gleichzeitig, und dies ist paradox, wird der Ruf lauter, dass der Einzelne mehr Verantwortung übernehmen müsse: für sich und seine Gesundheit, für seine Bildung und die seiner Kinder, für sein Alter und sein Sterben." Elisabeth J. Nöstlinger geht nun der Frage nach, wie es nun unter diesen Bedingungen um die Freiheit des Menschen, seine Verantwortung für andere und seine Selbstverantwortung steht. Sie fragt nach, ob wir angesichts der zunehmenden gesellschaftspolitischen Verantwortungslosigkeit noch nach Schuld und Sühne fragen können.

Ö1
 

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