23.9.14

 

Wer kämpft gegen wen in Syrien?

In Syrien kämpfen eine Vielzahl sunnitisch extremistischer Gruppen. Deren gemeinsames Ziel ist ein islamischer Gottesstaat. ARD-Korrespondent Blaschke erklärt gegenüber tagesschau.de, wer gegen wen kämpft und warum die Extremisten so stark geworden sind. 

tagesschau.de: Derzeit schauen alle auf den Islamischen Staat (IS). Die Lage scheint aber komplexer. Welche Gruppen kämpfen in Syrien tatsächlich derzeit gegeneinander?

Björn Blaschke: Wir haben es mit einer Vielzahl von Gruppen zu tun, die alle gegeneinander kämpfen. Da ist zuerst der IS, derzeit wohl die stärkste Untergrundfront in Syrien. Dann haben wir noch die Al-Nusra-Front - ein offiziell von Al-Kaida-Chef Sawahiri anerkannter Ableger für Syrien.

tagesschau.de: Wie unterscheiden sich die beiden Gruppierungen?
Blaschke: Die IS ist hervorgegangen aus einer Terrorgruppe, die von dem Jordanier Abu Musab al Zarkawi nach dem Beginn der US-Angriffe im Irak gegründet wurde. Die Terroristen rund um Zarkawi begannen damals, Ausländer zu entführen, sie zu enthaupten und diese Videos ins Netz zu stellen. Damals dachte man in der Al-Kaida-Führungsebene, Zarkawi könne Osama bin Laden den Rang ablaufen, weil er sich durch noch extremere Gewalt hervortat. Wohl um ihn einzubinden, hat Bin Laden Zarkawi dann offiziell zum Al-Kaida-Führer im Irak gemacht. Aus dieser Gruppierung ist die IS hervorgegangen, die sich mehr und mehr auch in Syrien ausgebreitet hat.
Es gab von Anfang an eine große Konkurrenz zur Al-Nusra-Front, die viele Experten als die gemäßigtere Gruppierung sehen. Beide Gruppierungen bekämpfen sich, so stark sogar, dass der heutige Al-Kaida-Chef Sawahiri, versucht hat, ein Machtwort zu sprechen: Er wollte, dass IS allein im Irak tätig ist und die Al-Nusra-Front in Syrien. In den letzten Monaten hatte man den Eindruck, IS und Nusra hätten sich auf eine Art Duldung geeinigt, wohl auch weil IS heute so stark geworden ist. Nachdem die IS im Juli in Mossul den Kalifatsstaat ausgerufen hat, soll in Syrien der Führer der Dschabhat al Nusra, Abu Muhammed al Golani, das Gleiche erklärt haben: Nun sei die Zeit gekommen, einen islamischen Gottesstaat zu errichten. Beide Terrorgruppen haben die gleichen Ziele und scheinen inzwischen zumindest gelegentlich zu kooperieren.

Je mehr Geld und Erfolg, desto mehr Kämpfer

tagesschau.de: Gibt es noch andere sunnitische Gruppen, die gegen Assad kämpfen?
Blaschke: Es gibt noch eine große dritte Kraft sunnitischer Extremisten: ein Zusammenschluss von mehr als vierzig sunnitischen Untergruppen unter dem Dach der Islamischen Front. Die Islamische Front hat jüngst eine Warnung in Richtung IS und Al-Nusra-Front ausgestoßen: Man werde das Kalifat nicht anerkennen. Die Islamische Front ist in ihrem Vokabular aber kaum zu unterscheiden von den Al-Kaida-Gruppen. Sie ist nicht minder radikal. Auch sie verdammt die Schiiten und will einen islamischen Gottesstaat errichten. Der Unterschied ist, dass die Islamische Front dies erst einmal nur in Syrien umsetzen will. Außerdem sind sich ihre verschiedenen Anhänger längst nicht grün in der Frage, wie dieser Gottesstaat im Einzelnen aussehen soll.
tagesschau.de: Wie stark sind diese drei Gruppen?
Blaschke: Die Islamische Front spricht davon, dass sie 70.000 Kämpfer habe. Beobachter sprechen von mindestens 50.000 Kämpfern der IS. Die Al-Nusra-Front ist wohl kleiner als IS und Islamische Front. Für alle drei Gruppen gilt der Sog des Erfolges. Je stärker sie sind, je mehr Geld sie haben, desto mehr Kämpfer laufen ihnen zu. Viele Kämpfer sind keine Dschihadisten, sondern so eine Art Söldner. Sie werden bezahlt und überlegen, bei welcher Gruppierung sie ihre Familie besser durchbringen können.

IS und Al-Nusra-Front verfügen über viel Geld

tagesschau.de: Woher bekommen die Terrorgruppen ihr Geld?
Blaschke: Katar hat gestern deutlich gemacht: Sie unterstützen die IS und Al-Nusra-Front entgegen aller Gerüchte nicht. Sie haben aber wohl gute Kontakte zur Nusra. Das wird von Experten bestätigt. Anders sieht es mit Saudi Arabien aus. Das Land soll gezielt die Islamische Front aufgebaut haben - als Opposition zur Al Kaida. Das würde heißen: Entgegen anders lautender Gerüchte unterstützt Saudi Arabien nicht die IS, sondern die Islamische Front.
Sowohl IS als auch die Al-Nusra-Front haben reiche private Finanziers. Und beide Gruppen haben durch Geiselnahmen unglaublich viel Geld eingenommen. Denn es wurden ja im Irak und in Syrien in den vergangenen zehn Jahren viele Ausländer und auch viele Iraker und Syrier zu Geiseln genommen, die dann für teures Geld freigekauft wurden. Die IS hat in Mossul unlängst noch mal viel Geld gemacht durch die Plünderung der irakischen Nationalbank. Eine halbe Milliarde Dollar soll dies in die Kriegskasse gespült haben.  

"Die Freie syrische Armee ist ins Hintertreffen geraten"

tagesschau.de: Lange galt die Freie Syrische Armee, der sich auch westlich orientierte Oppositionelle angehörten, als stärkste Oppositionskraft in Syrien. Was ist aus ihr geworden?
Blaschke: In dem Maß, in dem der Westen damals eine Unterstützung der Freien Syrischen Armee verweigerte oder nur eingeschränkt half, wurde diese Kraft geschwächt. Die Terrororganisationen konnten auch dadurch erst stark werden. Die Freie Syrische Armee kämpft gegen die Islamisten. Mittlerweile ist sie komplett ins Hintertreffen geraten.


 



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