13.3.18

 

Den Armen drohen


Michael Chalupka, evangelisch-lutherischer Pfarrer und Direktor der Diakonie über den Umgang mit Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind.



"Geh hackln!", ist noch die freundlichste Aufforderung, die Menschen, die auf Unterstützung durch den Sozialstaat angewiesen sind, zu hören bekommen. Sie müssen sich - auch von höchster Stelle - als Durchschummler, Sozialschmarotzer oder Tachinierer beschimpfen lassen.
Abwertungen wie "Du kriegst ja gar nichts auf die Reihe", oder "Stell dich nicht so an, anderen geht es noch schlechter als Dir" sind an der Tagesordnung. Bei der 11. Armutskonferenz, die diese Woche in Salzburg stattgefunden hat, haben Menschen, die Armut und Ausgrenzung am eigenen Leib erfahren, ihre Geschichten erzählt. "Sichtbar-Werden", so nennen sie ihr Projekt, mit dem sie sich zu Wort melden und ihre Probleme und Anliegen, ihre Leistungen und Forderungen öffentlich zu Gehör bringen.
Armut ist auch das große Thema der Bibel. Die Welt ist ungerecht. Das fängt bei der Geburt an. Es ist Zufall, wo man geboren wird und in welcher Familie man das Licht der Welt erblickt. Es gibt Arme und Reiche von Anfang an. Die Bibel weiß darum. Sie ist kein Buch für Naive. So steht im Buch der Sprüche: "Mit Reichtum muss mancher sein Leben erkaufen; aber ein Armer bekommt keine Drohung zu hören." Dieser Satz geht von einer Welt aus, die weiß, wie ungleich der Reichtum verteilt ist und dass die Armen nicht selbst schuld sind an ihrem Elend. Warum sollte man denen, die ohnehin schon benachteiligt sind, auch noch drohen?
Die Welt hat sich gewandelt seit biblischen Zeiten. Heute werden die Armen zu Schuldigen gemacht, die zu faul sind, sich einen Arbeitsplatz zu ergattern - auch wenn es zehn Mal mehr Arbeitsuchende gibt als offene Stellen. Wer erbt, gilt hingegen als fleißig.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind, sanktioniert werden. Wenn sie nicht alle Regeln und Vorschriften erfüllen können - oder wollen, wie ihnen unterstellt wird -, wird ihnen Grundsicherung gekürzt oder ganz gestrichen.

Sanktionen, was für ein Wort. Sanktionen kennen wir aus dem Völkerrecht. Sanktionen gibt es sonst gegen Russland, Nordkorea oder den Iran. Sanktionen im Völkerrecht richten sich gegen Übeltäter, die das Recht verletzen. Sanktionen, Strafandrohungen erscheinen aber auch als probates Mittel, um Arme zur Räson zu bringen. Der biblische Satz: "Ein Armer bekommt keine Drohung zu hören!" gilt nicht mehr. Im Gegenteil, die Drohung, die Abwertung wird zur Methode.
Vorreiter dieser Beschämung und Bedrohung der Armen ist England. Ruth Patrick von der University of Liverpool, Referentin bei der Armutskonferenz, sagt: "Es gibt eine Anti-Sozialstaats-Maschine, die wie ein Panzer alle anderen Lebensrealitäten niederwalzt. Die Kürzungen im Sozialsystem funktionieren nicht. Die Auswirkungen sind schlimm: mehr Kinderarmut, viele können sich Heizen nicht mehr leisten, die Zahl der Sozialmärkte und Tafeln steigt sprunghaft an und Familien mit geringem Einkommen sind mit massiver Verschlechterung ihrer Gesundheit konfrontiert."
Die davon Betroffenen werden noch dazu abgewertet, vorgeführt und beschimpft. "Diese Abwertungen haben System. Mit Stigmatisierung wird regiert. Das schlechte Reden über Menschen, die wenig haben, wird gezielt eingesetzt", sagt Ruth Patrick.
Sie berichtet von Neidkampagnen gegen Menschen, die sich angeblich in Sozialmärkten die Bäuche vollschlagen - sie werden sanktioniert, indem sie nur mehr drei Mal im Monat in einen Sozialmarkt kommen dürfen. Sie berichtet auch von den Konsequenzen der Beschämungsstrategien am Arbeitsmarkt. Es entstehen ganz neue Jobs. Menschen, die ihr geringes Einkommen durch Sozialhilfe aufbessern müssen, werden gezwungen, für diese Aufbesserung zusätzlich zu ihrer schlecht bezahlten Arbeit gemeinnützige Jobs anzunehmen. Und es gibt immer mehr sogenannte Null-Stunden-Jobs. Einen Null-Stunden Job zu haben, bedeutet, viele Stunden am Tag rumzusitzen und darauf zu warten, dass der Arbeitgeber anruft, weil er einen gerade braucht. Menschen, die einen Null-Stunden-Job haben, haben keine Arbeitsverträge mit einer bestimmten Wochenarbeitszeit. Sie arbeiten nicht fixe Stunden, sondern müssen den ganzen Tag auf Abruf zur Verfügung stehen und bekommen nur für die Stunden bezahlt, die sie tatsächlich arbeiten (dürfen).
So werden arme Frauen und Männer bedroht und beschämt. Der Markt freut sich über billige, leicht ausbeutbare Arbeitskräfte. Und der Kreislauf schließt sich. Sie haben einen Job, von dem man nicht leben kann, arbeiten auf Abruf und leben weiter in Armut. Durch Drohung gefügig gemacht, wird ihnen dann ihre Armut wieder vorgeworfen.

 

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