1.6.18

 

Zum Irischen Referendum

Ein „mea culpa“ ist erforderlich!

Ein Gastkommentar zum Irischen Referendum von Markus Büning, Nottuln (Deutschland)
Es war Papst Hadrian VI., der im Jahr 1523 angesichts der aufkommenden reformatorischen Wirren des sechzehnten Jahrhunderts den Mut hatte, ein großes Schuldbekenntnis zu sprechen. Schwer hängen noch heute seine Worte über der Kuppel des Petersdomes, die nur gebaut werden konnte, weil die Kirche mit dem Frevel des Ablasshandels die Höllenangst vieler einfacher Menschen ausnutzte und ihnen das Geld abpresste. Dort heißt es: „Wir alle, Prälaten und Geistliche, sind vom Weg des Rechtes abgewichen, und es gab schon lange keinen einzigen, der Gutes tat. Deshalb müssen wir alle Gott die Ehre geben und uns vor ihm demütigen; ein jeder von uns soll betrachten, weshalb er gefallen, und sich lieber selbst richten, als dass er von Gott am Tage seines Zornes gerichtet werde. Deshalb sollst Du in unserem Namen versprechen, dass wir allen Fleiß anwenden wollen, damit zuerst der Römische Hof, von welchem vielleicht alle die Übel ihren Anfang genommen, gebessert werde; dann wird, wie von hier die Krankheit ausgegangen ist, auch von hier die Gesundung beginnen.“
Wenn ich mir das deutliche Ergebnis des Abtreibungsreferendums anschaue, kommen mir diese Worte des großen Hadrian, den damals und scheinbar auch heute keiner wirklich ernsthaft hören will, in den Sinn: Wir, die Kirche, sind vom Weg des Rechts abgewichen! Und weil das so ist, hören die Menschen auf, in der Kirche ihre Mutter zu sehen. Sie entledigen sich durch ihr Abstimmungsverhalten der Autorität der Kirche, die sie nur noch als eine in sich verlogene und unglaubwürdige Institution empfinden. Und darum verweigern die Menschen offenkundig ihr die Gefolgschaft. Die vielen Skandale sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, gerade auch in Irland, waren dann das I-Tüpfelchen in dieser geradezu schlimmen Geschichte verlogener Moral. Gerade in Irland sind Dinge in der Vergangenheit passiert, die uns heute geradezu wütend machen. Der Umgang mit den Frauen, die unehelich ein Kind zu Welt brachten, ist eine Geschichte des Grauens. Ich möchte hier einen Bericht von Martin Alioth im Deutschlandfunk aus dem Jahr 2017 wiedergeben, der sehr anschaulich diese Missstände wie folgt schildert:
„‘Der katholische Priester klopfte an die Haustür meines Großvaters‘, erzählte der 77-jährige Peter Mulryan letzte Woche am irischen Fernsehen. Die Tochter des Hauses verursache einen Skandal und müsse weg. Noch in derselben Nacht brachte der Priester die Frau, im siebten Monat schwanger, auf der Lenkstange seines Fahrrades in ein 30 Kilometer entferntes Heim. Das Jahr war 1940, Peter Mulryan überlebte und verbrachte die ersten viereinhalb Jahre seines Lebens im Heim des Bon-Secours-Ordens in Tuam, in der Grafschaft Galway.
‚Wir stahlen ihre Kinder‘, so der irische Premierminister Enda Kenny letzte Woche im Parlament, ‚wir verschenkten sie, wir verkauften sie, wir handelten mit ihnen, wir hungerten sie aus, wir vernachlässigten oder verleugneten sie – bis sie verschwanden. Und warum willigten die von Kirche und Staat genötigten Eltern in diesen Verrat ein? Wegen unseres perversen, ja morbiden Verhältnisses zu sogenannter Respektabilität‘, erklärte Kenny. ‚Schwangere Frauen, aber auch andere junge Frauen, die der Verführung verdächtigt wurden, mussten ausgestoßen werden, weil von ihnen angeblich eine Ansteckungsgefahr ausging‘, sagt Susan Lohan. Sie wurde selbst zwangsweise adoptiert, weil ihre Mutter nicht verheiratet war. Sie engagiert sich heute für die Rechte von Adoptierten. Der Staat sei tief beunruhigt, denn seit 1922, seit der Gründung Irlands, seien 90.000 bis 100.000 Kinder zwangsweise adoptiert worden, sagt sie. Allein aufgrund des Umstandes, dass ihre biologischen Eltern unverheiratet waren. Kirche und Staat betrieben mehr als ein Dutzend so genannter Mother-and-Baby-Homes. Dorthin wurden schwangere Frauen zur Entbindung geschickt. Ein bis zwei Jahre nach der Geburt wurden die Frauen in andere Institutionen verschickt, die Kinder blieben. Susan Lohan nennt zwei Heime in Tipperary und Cork. ‚Dank ihrer Nähe zum Flughafen Shannon waren diese beiden Heime ideal für einen gewinnträchtigen Handel mit Babys zur Adoption in den Vereinigten Staaten‘, erzählt sie. Susan Lohan hegt einen beunruhigenden Verdacht: Was geschah mit Kindern, die eine körperliche oder geistige Behinderung aufwiesen? Die seien in den Heimen geblieben, weil die reichen Amerikaner keine defekten ‚Produkte‘ wollten. ‚Diese Kinder‘, befürchtet Lohan, ‚wurden vernachlässigt, was vielleicht zu ihrem Tod beitrug.‘ – In der Tat ist die Sterblichkeitsrate von Kindern in diesen Heimen bis zu fünfmal höher als in der damaligen irischen Gesellschaft. Claire McGettrick, ihrerseits adoptiert, untersucht seit Jahren die Schicksale von Frauen, die in den sogenannten Magdalen Laundries eingekerkert worden waren: Von Nonnen betriebene, kommerzielle Wäschereien, deren letzte 1996 ihre Tore schloss. Manche Frauen wurden von der Justiz dorthin geschickt, manche von eifrigen katholischen Laien-Organisationen, manche kamen aus anderen Institutionen, namentlich den genannten Heimen für uneheliche Kinder. Claire McGettrick berichtet von einer Frau namens Margaret, die zu zwei Jahren Zwangsarbeit in der Wäscherei verurteilt wurde. 46 Jahre später starb sie, noch immer in der Wäscherei in Cork. Ihr Grab liegt hinter vier Meter hohen Mauern, die mit Stacheldraht gespickt sind; selbst im Tode ausgegrenzt. ‚Alle, die dem idealen Irland widersprachen‘, fasst McGettrick zusammen, ‚wurden eingesperrt.‘ Arbeitsheime, Kinderheime, Wäschereien, psychiatrische Anstalten: Der irische Staat bezahlte katholische Orden als Gefängniswärter und scherte sich nicht um seine Bürgerinnen. Die Komplizenschaft von Kirche und Staat hat die Katholische Kirche seither ruiniert und der Staat bleibt den Beweis seiner Reue noch weitgehend schuldig – trotz der erhabenen Worte des Premierministers. ‚Gaben wir diese Kinder auf, um ihnen den Klatsch zu ersparen, zwinkernde Anspielungen der Rechtschaffenen, in einer Sprache, die den Scheinheiligen besonders vertraut ist?‘ (Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/irland-die-kinder-die-nicht-sein-durften.886.de.html?dram:article_id=381198)
Soweit dieser erschütternde Bericht! Ein Staat, der auf der einen Seite meinte, das ungeborene Leben strikt zu schützen, aber auf der anderen Seite dann Kinder und deren Mütter, die nicht dem Reglement entsprachen, derart entwürdigte, und dies alles in Komplizenschaft mit der Kirche, gibt sich der Lächerlichkeit preis. Das klar berechtigte Anliegen des unbedingten Lebensschutzes wurde offenkundig durch diese perfide Moralvorstellung derart pervertiert, dass die Menschen heute eben nicht mehr bereit sind, solche Lebensschutzgesetze zu akzeptieren.
Was ist passiert in Irland? Die Menschen haben genau damit, mit dieser verlogenen Moral, offenkundig abgerechnet. Aber um welch einen hohen Preis!? „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So heißt es in Art. 1 unserer Verfassung. Und genau dies ist zutiefst der Grund dafür, dass das menschliche Leben vom ersten bis zum letzten Moment seiner Existenz an schützenswert, ja seitens des Staates auch schutzpflichtig ist. Das ist eine Sichtweise, die nicht nur Katholiken vertreten. Und jetzt kommen wir zum springenden Punkt: Vor diesem Hintergrund ist diese Art und Weise der Vergangenheitsbewältigung der Iren auch eine Form der Doppelmoral. Ein an sich gutes moralisches Ziel, der Lebensschutz, wird aufgegeben, um sich für die Sünden der Kirche und des irischen Staates zu rächen. Das alles ist höchst verhängnisvoll.
Was ist zu tun? Meines Erachtens hilft es nicht, wenn nun wieder ausgerechnet die Kirche es ist, die auf moralisierende Weise reflexartig den Abstimmungsentscheid rügt, ohne das eigene Versagen klar und deutlich herauszustellen und auf Knien, in wahrer Bußhaltung gegenüber Gott und den Opfern, ihr eigenes sündhaftes Handeln reuevoll einzugestehen. Leider sagte jetzt auf ganz empörende Weise ein irischer Bischof sofort folgendes: „Katholiken, die beim irischen Referendum für die Freigabe der Abtreibung entschieden haben, haben gesündigt und sollen zur Beichte gehen.“ Ja, das mag objektiv ja richtig sein, aber eine solche Rede vermag überhaupt nicht mehr die Herzen vieler Menschen zu erreichen, weil sie es offensichtlich satt haben, von der Kirche bevormundet zu werden. Auch die Bischöfe, bis hinauf zum Papst, haben sich für das große Unrecht, was sie den Müttern im Konflikt, insbesondere den unehelichen Kindern angetan haben, auch zu entschuldigen. Denn nur so kann es gelingen, wieder neu von den Menschen gehört zu werden.
Und noch eine Anmerkung: Die vielen Reaktionen, die ich nun im Netz gerade von Seiten einiger Pro-live-Aktivisten lesen muss, sind aus meiner Sicht noch kontraproduktiver wie der oben zitierte bischöfliche Moralhinweis. Da wird in selbstgerechter Manie darüber spekuliert, dass Gott jetzt wohl das irische Volk strafen werde. Von Verdammung, Hölle und Exkommunikation ist die Rede. Nein, auch diese Reaktionen helfen nicht weiter, dem berechtigten Anliegen des Lebensschutzes zu dienen. Auch die Protestmärsche, das Verteilen von Plastikembrionen und sonstige dergleichen Aktivitäten erreichen die heutigen Menschen offensichtlich nicht mehr.
Wir alle haben gesündigt! Auch wir Lebensschützer, die oft sehr selbstgerecht mit dem Finger auf andere zeigen und dabei nicht mehr merken, wie viele Finger auf uns gerichtet sind. Wir müssen alle glaubwürdiger für den Lebensschutz eintreten. Welche Wege sind zu gehen? Gebet und Sühne in unseren Kirchen, besonders in der Anbetung vor dem Altarsakrament! Dann sollen wir alle auf Maria, die Mutter der schönen Liebe schauen und sie bitten, die richtigen Wege im Lebensschutz zu gehen. Und vor allem müssen wir aufhören, mit unsensiblen Urteilen Frauen in Konfliktlagen zu verurteilen und in selbstgerechter Haltung über diese den Stab zu brechen. Schwangere Frauen in Not müssen auch in unseren Kirchengemeinden Anlaufstellen finden, die auch mit Geld und Rat schnell und unkompliziert helfen. Noch gestern sagte mir ein Pfarrer, dass dies alles sehr schwierig sei und in seiner Diözese, trotz vorhandener Stiftung, nicht gut laufe. Hier muss viel, viel mehr für das ungeborene Leben getan werden.
Wir haben alle gesündigt! Ja, das ist der bittere Nachgeschmack nach dem irischen Referendum. Wir alle sollten überlegen, ob wir in dieser Frage nicht einmal den Beichtstuhl aufsuchen müssen, insbesondere wegen unserer bigotten Selbstgerechtigkeit. Ja, wir alle, auch ich.


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