23.8.15

 

Das radikal Böse

Wie werden aus ganz normalen jungen Männern Massenmörder? 
Warum töten ehrbare Familienväter Frauen und Kinder? 
Warum verweigerten so wenige den Befehl, obwohl es ihnen freigestellt war? 
Wie konnten systematische Erschießungen jüdischer Zivilisten 
durch deutsche Einsatzgruppen in Osteuropa möglich sein? 
 
Das preisgekrönte Nonfiction-Drama von Stefan Ruzowitzky 
sucht die Ursache des Bösen in einer stilistisch innovativen Herangehensweise. 
 
Der vergessene Holocaust: 
Rund zwei Millionen jüdische Zivilisten sind von den sogenannten Einsatzgruppen 
und Polizeibataillonen ab 1941 ermordet worden. Dies geschah am helllichten Tag, 
öffentlich, zum Teil vor Zuschauern, mit Gewehren und Pistolen, 
von Angesicht zu Angesicht. 
Bis heute verbinden die meisten Menschen mit dem Holocaust 
vor allem Gaskammern und Konzentrationslager, 
die grauenhaften "Neuerungen" der Nazimörder. 
Dass dem ein konventioneller, 
aber um nichts weniger grausamer Genozid vorangegangen war, 
mit unglaublichen zwei Millionen Opfern, 
ist kaum ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. 
 
Ein Grund für die geringe Bekanntheit dieser Verbrechen 
war die Gründlichkeit der Mörder. 
In dem kleinen Städtchen Bibrka, 
das Stefan Ruzowitzky und sein Team als einen beispielhaften Ort besuchten, 
sagte der ehemalige Bürgermeister auf die Frage, 
wie viele Juden von den Nazis ermordet worden seien: 
"Genau so viele, wie laut Aufzeichnungen hier gelebt hatten." 
Keine Überlebenden, keine Zeugen, niemand der der Opfer gedenkt. 
In "Das radikal Böse" kommen zwei Männer zu Wort, 
die sich um das Erinnern dieser Verbrechen 
beziehungsweise der Opfer besonders verdient gemacht haben. 
Benjamin Ferencz, der als junger Jurist durch Zufall 
auf die "Ereignismeldungen", die grauenhaften Auflistungen der Massenmorde 
gestoßen war. 
Er hat gegen alle Widerstände noch einen Prozess in Nürnberg durchgesetzt. 
 
Und der französische Priester und Holocaustforscher Père Desbois, 
der mit seiner Organisation Yahad-In Unum 
in detektivischer Kleinarbeit die Massenexekutionen der Nazis 
in Osteuropa untersucht, 
die letzten Zeitzeugen interviewt, 
Massengräber aufgespürt 
und die Namen der Opfer vor dem Vergessen bewahrt hat. 
Während später in den Konzentrationslagern das Morden 
durch ein perfides System gleichsam abstrahiert war, 
standen bei den "Sonderaktionen" Soldaten und Hilfspolizisten 
ihren Opfern noch von Angesicht zu Angesicht gegenüber. 
Sie schossen auf Frauen, Kinder, Babys. 
Wie war das möglich? 
Wie konnten liebevolle Familienväter, 
nette, junge Männer, brave Bürger 
zu mitleidlosen Massenmördern werden? 
Wieso haben sie nicht verweigert, 
da, wie wir hören, doch schlimmstenfalls Rügen, Schimpfworte 
und zusätzliches Wacheschieben drohte? 
Welcher Mix aus politischen, soziologischen und psychologischen Faktoren 
macht einen Genozid möglich? 
Was bringt normale Menschen zu solch unvorstellbaren Grausamkeiten? 
Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Gerichtsprotokolle erlauben uns, 
einen Eindruck von der Gedankenwelt der Mörder zu gewinnen. 
Schauspieler wie Volker Bruch, Alexander Fehling, Benno Fürmann, Hanno Koffler, 
Lenn Kudrjawizki, Andreas Schmidt, Simon Schwarz, Devid Striesow, 
Arndt Schwering-Sohnrey, Sebastian Urzendowsky und Nicolette Krebitz 
lassen uns durch ihre Interpretation miterleben, 
wie ein Moment der Feigheit, sich zu exponieren, 
sich zu verweigern, sich außerhalb der Gruppe zu stellen, 
die Soldaten in einen mörderischen Abgrund reißt. 
Wie sie beim ersten Massaker angewidert und traumatisiert sind, 
sich aber bald an das tägliche Morden gewöhnen. 
Sogar Spaß daran finden, sich bereichern 
und bei alledem sich immer noch einreden, richtig und gerecht zu handeln. 
Dazu die Gesichter einfacher Soldaten in Großaufnahmen. 
Ganz normale, junge Männer, die uns erahnen lassen, 
dass die Täter wohl tatsächlich keine Monster im Sinne Primo Levis waren, 
sondern eben normale Menschen. 
Sie waren bemüht sich anzupassen, nicht aufzufallen, 
sich selbst an den größten Schrecken, an die eigenen Verbrechen zu gewöhnen. 
"Ich hatte nie etwas anderes gelernt, als gegebenen Befehlen zu gehorchen", 
meint einer der Täter. 
Der normale Mensch als das eigentliche Monster. 
Eine Reihe von führenden Wissenschaftlern - Historiker, Juristen, Militärs, 
Theologen, Psychiater - sucht im Gespräch nach Antworten. 
 
So wie der Film sich davor hütet, 
allzu eindeutige und eindimensionale Erklärungsmuster zu präsentieren, 
so geht es ihm und seinen Machern nicht vorrangig 
um die Dokumentation des historisch Gewesenen, 
sondern auch zukunftsorientiert darum, 
was nachfolgende Generationen und vor allem junge Menschen daraus lernen können. 
Wie sie verhindern können, 
dass aus psychologischen Mechanismen 
in speziellen gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen 
immer wieder neues Leid und Verbrechen entstehen.
 
3sat Doku
 

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