8.11.15

 

Ahmad Mansour über die "Generation Allah"

Im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken

Ahmad Mansour war selbst Islamist. Inzwischen hilft er jungen Extremisten, sich zu deradikalisieren. Geboren in Israel, lebt der Psychologe seit gut zehn Jahren in Berlin. Jetzt hat er sein erstes Buch geschrieben. Der Titel: "Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen."

Teilweise sind die Jugendlichen nicht mal religiös. Sie beten nicht mal, sie wissen nicht so viel über ihre Religion, aber ihre Religion ist ihnen sehr, sehr wichtig. Die Religion ist zu einem Tabu geworden, wo sie nicht hinterfragen wollen, wo sie keine kritischen Fragen stellen wollen, wo sie bestimmte Werte und Ideologien in sich tragen, die hoch problematisch sind. Das sind sehr problematische Geschlechterrollen natürlich. Das sehen wir auch immer wieder in den Schulen, wenn es um Schwimmunterricht geht, wenn es um Lehrerinnen geht, die Probleme haben, Respekt zu bekommen. Das sehen wir bei antisemitischen Einstellungen, Verschwörungstheorien, die weit verbreitet sind – besonders im Internet, aber nicht nur im Internet. Es sind Jugendliche, die an einen bestrafenden Gott glauben, der sehr ähnlich wie der patriarchale Vater agiert und funktioniert: mit klaren Regeln, mit Bestrafung, er lässt mit sich nicht reden, er ist zornig und so weiter und so fort. Aber das ist auch eine Generation, die eine ganz klare Feind- und Opferrolle in sich trägt. Und dann kommen die Islamisten und müssen nur diese Inhalte überspitzen. Sie haben nichts Neues erfunden. Sie haben nur die Inhalte, die bei dieser Generation alle schon bekannt und verbreitet sind, einfach überspitzt und radikalisiert. Und deshalb hat Salafismus in Deutschland heute so einen Zulauf.

Und die Mehrheitsgesellschaft reagiert darauf mit Verharmlosung oder Panikmache.

Wenn wir Themen in der Mehrheitsgesellschaft, in der Mitte der Gesellschaft tabuisieren, nicht darüber sprechen, dann tun das die Radikalen.

Es gibt zwei typische Reaktionen, die mich manchmal auch verletzen und die überhaupt nicht sachlich sind. Die eine kommt natürlich von der islamistischen Ecke: Das ist ein Verräter, das ist jemand, der seine Religion verlassen hat.  

Aber auf der anderen Seite merke ich, dass manche politische Richtung in diesem Land nur bereit ist, uns, die Muslime, als Opfer wahrzunehmen. Wenn wir die Verantwortung übernehmen, wenn wir Missstände in unserer eigenen Community ansprechen, dann passen wir nicht in dieses Bild und werden ganz schnell entweder nicht wahrgenommen oder auch diffamiert auf eine sehr politische korrekte Art und Weise, natürlich nicht vergleichbar mit dem, was ich von der islamistischen Ecke bekomme, aber das ist für mich auch eine Art von Rassismus. Wer uns alles als Kuscheltier bezeichnen will, der geht davon aus, dass wir nicht gleichberechtigt sind. Und das darf natürlich nicht passieren.

Sie fordern ja eben auch eine innerislamische selbstkritische Debatte, und aus Ihrer Sicht sind extremer Islam und gemäßigter Islam längst nicht so weit auseinander, wie oft vermutet.

Wenn wir das Islamverständnis von "Mustafa-normaler-Moslem" in Deutschland anschauen, dann merken wir, dass viele Vereine, Verbände eigentlich bestimmte Inhalte verbreiten, die eigentlich auch unter Islamisten als Schwerpunkt gelten. Zum Beispiel Buchstabenglaube: also, an einen Gott zu glauben, der eigentlich nicht mit sich diskutieren lässt, wo Zweifel nicht vorhanden ist und nicht vorhanden sein darf, wo kritische Fragen nicht erlaubt sind, wo Angstpädagogik, also die Angst vor Gott, die Angst vor der Hölle eine riesengroße Rolle spielt. Patriarchale Strukturen, aber auch die Tabuisierung der Sexualität, dass Männer und Frauen keinen gesunden Umgang miteinander haben dürfen. Die Islamisten tun das nur auf eine überspitzte Art und Weise, aber das Islamverständnis, das hier in Deutschland verbreitet ist, hat diese Inhalte in sich und verbreitet sie auf ihre Art und Weise. Aber auch Opfer- und Feindbilder, antisemitische Einstellungen, dieser Exklusivitätsanspruch – also nur wir haben die wahre Religion, nur wir die Wahrheit, die exklusive Wahrheit. Gott sitzt in seinem siebten Himmel und schaut nach unten und sieht die Muslime und sagt: Das sind diejenigen, die mir folgen, die das tun, was ich eigentlich für richtig halte, und alles andere ist falsch. Das ist natürlich Abwertung, das ist natürlich Ungleichheit zwischen der Religion. Das führt dann in den Schulen, im Alltag zu ganz großen Konflikten zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens. Und das darf nicht toleriert werden.

Viele, viele Eltern berichten, dass ihre Kinder auf einmal glücklich geworden sind, seitdem sie sich in islamistischen Kreisen bewegen. Sie sind glücklich, sie reden von Befreiung, von Angekommen-Sein, von Wiedergeburt. Das sind eigentlich Themen, die zeigen, wie groß vorher die Last, wie groß die psychologische Belastung ist, die diese Jugendlichen in sich tragen. Weil sie nicht in dieser Gesellschaft angekommen sind, oder aufgrund von Problemen in der Familie, aufgrund von depressiver Stimmung und, und, und. Bei mir waren alle diese Inhalte dabei. Und auf einmal kommt jemand und sagt, du gehörst zu uns. Du findest da Freunde und du gehörst zu einer Elite, die irgendwann die Welt beherrscht. Ich war fasziniert davon. Und ich glaube, viele Jugendliche sind fasziniert. Sie bekommen Aufgaben, sie bekommen Orientierung und Halt, sie bekommen Regeln. Ihr Alltag war vorher chaotisch, sie konnten mit ihrem Alltag nichts anfangen. Ihre depressive Stimmung, diese Suche nach Sinn: Was bin ich, was will ich, was will ich in diesem Leben erreichen? Auf einmal hat er eine ganz klare Antwort. Und leider sind die Islamisten heute diejenigen, die präsent sind und solche Antworten geben. Wir als Zivilgesellschaft versagen immer wieder, diese Jugendlichen zu erkennen erst einmal, also diese Last zu erkennen und da auch Angebote zu machen, die auch ankommen.

Ich habe Tel Aviv entdeckt und zwar die westliche Kultur, dieses Spaß-Haben, dieses Feiern, dieses einfach nicht verklemmt sein, nicht immer alles mit sündhaftem Verhalten in Zusammenhang zu bringen. Das waren Inhalte, die mich auch faszinierten, die mich neugierig gemacht haben und die dazu geführt haben, dass ich unbedingt ausprobieren wollte – und zwar alles Mögliche. Und auf einmal stand ich da - und musste eine Entscheidung treffen: Bin ich auf der Seite meiner Ideologie? Bleibe ich da? Kämpfe ich gegen die Neugier, die in mir groß geworden ist? Oder versuche ich, dieser Neugier nicht nachzugeben?  

Auch die Tatsache, dass meine Imame auf einmal sehr doppelmoralisch mir erschienen, hat mich dazu bewegt, einfach zu sagen, ich will es nicht mehr.

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