Jeder weiß spätestens seit Beginn der Eurokrise, dass Portugal
dringend auf ausländische Investoren angewiesen ist. Aber wussten Sie,
dass einer der Hauptkreditgeber für Portugal angolanische Banken sind?
Die größte private Bank Portugals, die Millenium Banco Commercial
Portuges, war im Juli 2012 bereits zu 14% im Besitz von Sonagoil, der
staatlichen angolanischen Ölgesellschaft. Seitdem hat sich der Anteil
auf 20% erhöht.
Die angolanischen Investitionen in Portugal stiegen von 1,6 Millionen
€ im Jahr 2002 auf 116 Millionen € im Jahr 2009 und sind seitdem
kontinuierlich weiter gewachsen. Portugiesische Minister und
Staatssekretäre geben sich in Luanda bereits die Klinke in die Hand.
Jährlich verlassen tausende Portugiesen das Land in Richtung Angola.
2014 waren es bereits 100 000. Die Dunkelziffer wird auf das Zwei- bis
Dreifache geschätzt. Die Angolanische Regierung denkt bereits über
Einreisebeschränkungen für gering qualifizierte Portugiesen nach. An der
Peripherie Europas beginnen sich die Verhältnisse zu drehen.
Weitgehend unbemerkt von den Europäern, die Afrika als einen
abgehängten Kontinent betrachten, der dankbar für europäische Almosen
sein muss, die in Form von Entwicklungshilfe gewährt wird, haben sich
die Verhältnisse , besonders seit dem Fall der Mauer in Afrika
grundlegend geändert.
Afrika hat sich von europäischer Gängelung weitgehend unabhängig
gemacht. Es nimmt zwar noch Entwicklungshilfe an, aber nicht mehr zu den
europäischen Bedingungen.
Afrika boomt. Es ist zum Schauplatz eines im Entstehen begriffenen
neuen politischen und wirtschaftlichen Machtgefüges geworden,
neuartiger, globaler Kooperationen und Interessengemeinschaften. Der
Treiber dieser Entwicklung ist nicht die Politik, sondern die
Wirtschaft. Europa spielt dabei kaum noch eine Rolle.
In weiten Teilen Afrikas, wo es zu Beginn des Jahrtausends nicht
einmal Telefone gab, herrscht heute die Mobilkommunikation. Jeder, der
lesen und schreiben kann und Zugang zu einer Steckdose hat, besitzt
heute ein Handy. Für alle, die weit weg von einer steckdose wohnen,
wurde ein Gerät erfunden, mit dem man Handys per Handkurbel aufladen
kann. Die Zahl der Handynutzer stieg rasant: 1989: 4000, ausschließlich
Oberschicht, 2006 mehr als 100 000 000, 2010 330 000 000, , 2012 633000
000, davon ein Fünftel Smartphones. Grenzüberschreitendes telefonieren
zum Ortstarif gab es hier schon, als Europa noch davon träumte. Der
Mobilfunk schweißt Afrika zusammen, wie keine andere Technologie es je
getan hat.
Mobiles Banking und Finanztransaktionen per Einheitenübertragung sind
den Afrikanern vertrauter, als den Europäern. Die Entwicklung eines
Bankfilialnetzes und von Festnetzanschlüssen wurde einfach übersprungen.
Kommunikation, Nachrichten und Debatten per SMS und Facebook nutzen die
Menschen in Afrika mehr als herkömmliche Medien. Die urbane Jugend
Afrikas ist Teil der Globalen Community.
Noch 1950 gab es in Afrika südlich der Sahara keine einzige
Millionenstadt. Heute sind es 35. Kinshasa (Kongo) zählte damals 160 000
Einwohner, heute sind es 10 Millionen. Die Großstädte wachsen doppelt
so schnell wie die Gesamtbevölkerung.
Afrika wird zum Akteur der Globalisierung, seine Integration in die
Weltwirtschaft ist so gut wie vollzogen. Die zunehmende ökonomische
Verflechtung hat zur Herausbildung einer selbstbewussten,
kosmopolitischen afrikanischen Mittelschicht geführt, die dabei ist, die
Geschicke der Gesellschaft in die eigenen Hände zu nehmen. Der Staat
spielt dabei keine Rolle. Wo er handlungsfähig ist, setzt er die
Rahmenbedingungen, aber ist nicht Hauptakteur der Entwicklung. Das ist
der entscheidende Unterschied zu den europäischen Aufbauplänen nach der
Entkolonialisierung, vor allem der Entwicklungspolitik, die sich
ausschließlich an staatliche Strukturen wandte und dabei mehr zur
Bereicherung der herrschenden Politiker und zum Komfort der
Entwicklungshelfer, als zum Aufbau der Länder beigetragen hat.
In den letzten Jahren setzte die westliche Hilfsindustrie jährlich
120 Milliarden um. Aber diese Hilfsindustrie ist ein geschlossenes
System, mit nur wenigen Schnittstellen nach außen. Geschlossene Systeme
sterben gewöhnlich ab, aber 3 Faktoren verhindern das: Erstens das
europäische Bild der armen Länder Afrikas. Zweitens die Entkoppelung der
Hilfsindustrie von der Realität in den Empfängerländern und Drittens
ein geschlossenes Wissenssystem. Entwicklungshelfer studiert man, danach
wird man Teil des Systems. Von der Projektplanung, Vergabe von Studien,
über die Evaluierung und Mittelabflusszwang bis zum Abschlußbericht
verbleibt man im System, das eine der letzten Domänen vollkommener
Planwirtschaft ist. Der Gedanke an Investitionen kommt in dieser Welt
nicht vor, dafür aber das alles beherrschende Planziel des „Totalumbaus
der Gesellschaften“. Kein Wunder, dass die Afrikaner damit nichts am Hut
haben. Sie haben es satt, sich von ihren ehemaligen Kolonialherren
Vorschriften machen zu lassen. Bevölkerten zu beginn des Milleniums die
Europäer noch die Luxushotels des Kontinents, sind sie heute kaum noch
darin zu finden. Die Betten werden von Chinesen, Indern, Brasilianern
und zunehmend Afrikanern belegt. Zwar ist die Hilfsindustrie heute so
groß, wie nie zuvor und unsere Kanzlerin hat beim letzten UNO- Gipfel
versprochen, nicht 0,7, sondern 0,10% unseres Haushalts an die
Hilfsindustrie zu verschwenden, das kann aber deren stetig sinkenden
Einfluss nicht aufhalten.
Afrika hat entdeckt, dass Geschäftsbeziehungen, bei denen die Partner
gegenseitig ihre Interessen verfolgen, wichtiger sind, als alle
Almosen.
Dass die Europäer Almosengeber bleiben wollen, statt Geschäftspartner
zu werden, hat mit ihrer unaufgearbeiteten kolonialen Vergangenheit zu
tun. Zwar hat sich die damalige Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-
Zeul bei den ehemaligen deutschen Kolonien für die deutsche
Kolonialherrschaft entschuldigt. Das hat aber nicht dazu geführt, dass
man den Afrikanern auf Augenhöhe begegnen wollte. Das Bild Afrikas als
Betreuungsfall blieb intakt.
Es waren ironischerweise die kommunistischen Chinesen, die Afrika als
Partner ernst nahmen. Die chinesische Regierung hatte bereits in den
1980er Jahren begriffen, dass bei wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf
Augenhöhe beide Partner Vorteile haben. Darauf hat sie ihre
Außenwirtschaftspolitik aufgebaut.
Der Einstieg der Chinesen in Afrika erfolgte zur Sicherung der
eigenen Rohstoffversorgung und als Zugang zu neuen Märkten. Dafür bauten
sie für die Afrikaner eine Infrastruktur, die diesen Namen verdient.
Legendär sind die chinesischen staatlichen Bauunternehmen, die für ihre
Arbeit in Afrika nicht nur das gesamte Personal aus China mitbrachten,
sondern auch sämtliche Materialien, sowie Wohncontainer, Küchen, Köche,
ja sogar Bordelle mit chinesischen Frauen.
Heute sind private chinesische Unternehmen längst in der Überzahl.
Weit über eine Millionen Chinesen sollen in Afrika heute wirtschaftlich
tätig sein. China brachte seine frischen Erfahrungen aus der
Industrialisierung und Modernisierung der eigenen Wirtschaft mit, ohne
alle Ambitionen, die Welt verbessern zu wollen.
China blieb nicht allein. Es folgten Indien, Brasilien, die Türkei
und andere nichteuropäische Länder. Beim Aufschwung der letzten zwei
Jahrzehnte spielten diese Wirtschaftsbeziehungen eine Rolle, den Part
der Entwicklungshilfe kann man vernachlässigen. Die Idee der
Leistungsgesellschaft hat die afrikanische Realität verändert.
Europa muss hinnehmen, dass andere Staaten die globalen Spielregeln
bestimmen. Dabei geht auch von Bord, was die Europäer positiv in die
gemeinsame globale Zukunft einbringen könnten: Freie Zivilgesellschaft,
Marktwirtschaft, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und friedliche
Konfliktlösungen. Mit dem Erfolg der chinesischen Wirtschaft steigt auch
die Attraktivität des Staatskapitalismus- Modells, das, wie China
zeigt, nicht unbedingt mit Freiheit und Rechtsstaatlichkeit verbunden
sein muss.
Die Realwirtschaft ist der einzige Bereich, in dem Europa noch
Standards setzen kann, doch beschränkt sich das auf die mittelständische
Wirtschaft im deutschen Sprachraum mit ihren etwa 1300 Hidden
Champions, Weltmarktführer der Mittelklasse. Diesen Unternehmen ist
gemeinsam, dass sie absolut kundenorientiert sind und über ein
wertschätzendes Management verfügen, Qualitäten, die Europa beim Umgang
mit Afrika vermissen lässt. Wertschätzende Unternehmenskulturen erlauben
offene Kommunikation, setzen auf selbst organisierte Einheiten und
bringen Kunden und Mitarbeitern Wertschätzung entgegen. Dazu gehört auch
das Verständnis für Menschen anderer Kulturen. Diese Unternehmen haben
die koloniale Attitüde gegenüber ihren Geschäftspartnern längst
überwunden und sind deshalb auf dem globalen Markt erfolgreich. Überall
dort, wo Menschen der Armut entkommen sind, waren es Unternehmen, die
Werte für Kunden, Mitarbeiter und die anderen Stakeholder geschaffen
haben.
Bei den europäischen Eliten herrscht im Weltbild aber ein
undifferenziertes Unternehmens- und Konzern- Bashing vor. Ein Weltbild,
das ihnen die Sicht darauf verstellt, dass das Zusammenspiel von
Realwirtschaft und Gesellschaft in der nichtwestlichen Welt so gut wie
noch nie funktioniert. Ihr Weltbild besagt, dass die Welt immer
ungerechter und schlechter wird. Denn wenn man nicht aufhören darf,
gegen eine ungerechte Welt zu kämpfen, rechtfertigt das den Kampf gegen
Veränderungen im eigenen Beritt. Europa hält an seinem Afrikabild fest,
um sich nicht selbst verändern zu müssen. Ohnehin hat es mit jeder Menge
selbstverursachter Krisen zu kämpfen. Die Zukunft der
Wirtschaftsbeziehungen entscheiden demnächst asiatische, afrikanische
und latainamerikanische Player, Europa wird nicht dabei sein, wenn es
weiter macht, wie bisher.
Was hat Afrika zu bieten?
Airtel Afrika bietet hochinnovative Lösungen und setzt mittlerweile 5
Milliarden Euro um. Im November 2012 hat es sein „One Network“- System,
das den Kunden ermöglicht, innerhalb von 17 afrikanischen Ländern zum
Ortstarif zu telefonieren und Daten zu transferieren auf Indien,
Bangladesh und Sri Lanka ausgeweitet.
Europäische Telefonanbieter könnten von Bharti Airtel einiges lernen,
vor allem für die von Roaminggebühren geplagten europäischen Kunden.
Mit seiner Unternehmensphilosophie, mobile Kommunikation für alle
erschwinglich zu machen, hätte Bharti Airtel das Potential im
deutschsprachigen Raum bisher erfolgreiche Mobilfunkanbieter zu
verdrängen, vor allem die , die WiFi nur in Verbindung mit einem
veralteten Festnetzanschluss anbieten, wie die Telekom.
Wichtig für die afrikanische Entwicklung ist, dass die postkolonialen
„big men“, das heißt die Generation der Befreiungsführer gegen den
Kolonialismus heute der Vergangenheit angehören.
Afrikas zweite Befreiung ist im Gange, eine Befreiung von den
Befreiern mit ihrer Fixierung auf den alten Widerpart des
Kolonialisatoren. Es entwickelt sich eine Rückbesinnung auf Afrika
selbst, seinen Erfindungsreichtum und auf seine gesellschaftliche Kraft.
Mit seiner militärischen Aktion zur Befreiung Ugandas im Februar 1979
hob Tansanias Präsident ein neues Prinzip aus der Taufe: Wir Afrikaner
kümmern uns umeinander. Wenn beim Nachbarn die Hütte brennt, löschen wir
gemeinsam. Seitdem hat sich dieses neue Politikverständnis immer mehr
ausgebreitet, zum Wohle Afrikas. Es gelang, die von der Ost-West-
Konstellation verursachten Stellvertreterkriege in Afrika weitgehend zu
überwinden. Dabei wurden auch die postkoloniale Staatenstruktur und die
postkoloniale Wirtschaftsstruktur überwunden. Damit gewannen Afrikas
Akteure ungeahnte neue Spielräume für die Revitalisierung Afrikas.
Der Sommer 1994, der die Überwindung von Apartheid in Südafrika und
Genozid in Ruanda brachte, ist die entscheidende Gründungsstunde des
neuen Afrika, ein Afrika, das nach eigenen Rezepten und nicht nach
fremden Modellen gebaut wird. Es entstand eine neues Denken, das Stolz
und Selbstbewusstsein betont und jede Art von Abhängigkeit und
Bittstellerei ablehnt.
Der Westen ließ Afrika bei der Überwindung von Apartheit allein, zog
sich nach einer fehlgeschlagenen Intervention aus Somalia zurück,
reagierte weder auf den Völkermord in Ruanda, noch auf die Kriege im
Kongo und im Afrika der großen Seen. Deshalb werden heute alle Versuche
der westlichen Einflussnahme, wie die Verurteilung des ruandischen
Präsidenten Kagame zurückgewiesen.
Das positive am neuen Denken ist, dass die einfachen Menschen nicht
wie früher ignoriert werden. Sie werden für den Aufbau gebraucht.
Afrikas Elite ist stolz auf ihre „Unsung Hereos“, Menschen, die sich
um den Aufschwung Afrikas verdient gemacht haben, wie Miko Rwayitare,
der Erfinder des Mobiltelefons in Afrika. Er führte 1986 das erste
afrikanische Handygespräch und baute das erste Mobilfunknetz auf dem
Kontinent aus. Rwayitare war ruandischstämmiger Tutsi, der mit seine
Eltern ins Exil musste, ein Ingenieursstudium in Karlsruhe absolvierte,
nach Afrika zurückkehrte, in verschiedenen niedergehenden
Staatsbetrieben arbeitete und schließlich erkannte, dass die Zukunft
Afrikas in der Mobilfunktechnik liegt. Seine ersten Mobiltelefone waren
noch schwer wie Ziegelsteine und den oberen 3000 in Zaire vorbehalten.
Seine Firma Telecel expandierte in der Folge in viele Länder, wurde von
ihm 2000 für 413 Millionen Dollar an Osracom Telecom verkauft, die heute
außer in Afrika der größte Anbieter in der arabischen Welt ist.
Rwayitares Telecel war nur das erste der erfolgreichen afrikanischen
Unternehmen auf dem boomenden Telekommunikationsmarkt.
Die von Südafrika ausgehende Politik des „Black Empowerment“
befördert die Entstehung immer neuer afrikanischer Unternehmen. Deren
Kooperation wird immer mehr ausgeweitet. Aktuell entsteht ein Netzwerk
afrikanischer Ölraffinerien. Anders als früher sollen die afrikanischen
Ressourcen nicht mehr von multinationalen Konzernen kontrolliert werden.
An manchen Stellen ist der afrikanische Unternehmergeist den Westlern
direkt unheimlich, weil er im ungestümen Tempo und ohne die üblichen
westlichen Regeln aus dem Boden schießt. Ein extremes Beispiel dafür ist
die Piraterie vor den Küsten Somalias, durch die sich mit Gewalt vom
boomenden Überseehandel vor Ostafrika das nötige Startkapital für die
eigenen Unternehmungen besorgt wird. Akteure sind junge Leute, die nur
Krieg und kein Gesetz kennen. Natürlich haben die empörten Europäer
vergessen, dass in einem Stadium ihrer Entwicklung, sie es nicht anders
gehalten haben. Berühmt ist Francis Drake, der Königin Elisabeth I mit
dem nötigen Kleingeld versorgte.
Die internationale Klage, mit kongolesischen Rohstoffen und
somalischer Piraterie werde Bürgerkrieg finanziert, ist berechtigt.
Andererseits werden durch solche Aktivitäten beträchtliche Geldsummen in
Konfliktgebiete abgeleitet, die zum Teil auch der Bevölkerung zugute
kommen. Interessanterweise hat sich in den zwanzig Jahren Bürgerkrieg
und Staatszerfall in Somalia eine Fähigkeit entwickelt, ausschließlich
mit informeller Wirtschaft zu überleben, die sich nicht auf
Institutionen eines Rechtsstaats verlässt, sondern aus der eigenen Kraft
ihrer Unternehmer schöpft, die sich freiwillig an einige Basisregeln
halten, um agieren zu können. Somalia fand so schneller Anschluss an
globale Hochtechnologie und an globale Finanznetzwerke, als manches
andere, stabilere Land in Afrika. Oft gedeihen private wirtschaftliche
Aktivitäten dort am besten, wo die postkolonialen Staatswesen am
umfassensten gescheitert sind. Vielleicht ist uns Afrika auch auf dem
Weg zum Minimalstaat einige Schritte voraus.
Literatur: Hans Stoisser: Der schwarze Tiger, München, 2015
Dominic Johnson: Afrika vor dem großen Sprung, Berlin, 2013