5.7.16

 

Sucht euch doch ein neues Volk!

Europas politische Klasse verachtet zunehmend ihre Wähler.


"Das Problem", meinte der deutsche Bundesspräsident Joachim Gauck im Vorlauf zur Brexit-Volksabstimmung in der ARD, seien derzeit "nicht die Eliten, sondern die Wähler". Das Problem, lernen wir aus diesem entwaffnend ehrlichen Satz, ist vor allem die unfassbar anmaßende, überhebliche und respektbefreite Haltung, in der seit einiger Zeit angestellte Spitzenfunktionäre des Staates, aber auch große Teile des polit-medialen Komplexes in Westeuropa dem Souverän entgegentreten. Wann immer dieser Souverän in einem demokratischen Entscheid nicht so votiert, wie es den Eliten gefällt, wird dieser Souverän zum imbezilen Vollidioten erklärt, der zu blöd ist, an der richtigen Stelle sein Kreuz zu machen. Wobei die richtige Stelle natürlich die ist, die von den herrschenden Eliten für richtig gehalten wird.
So auch bei der jüngsten Volksabstimmung in Großbritannien, wo schnell der Schuldige am unbotmäßigen Ergebnis gefunden ward. Ältere, weniger gebildete und sozial schlechter Gestellte auf dem Lande hätten die Mehrheit für den Austritt herbeigeführt und dabei Urbane, Gebildete und vor allem Jüngere um ihre Zukunft gebracht. Dunkelengland, sozusagen.
Unterschlagen wird in dieser mittlerweile Allgemeingut gewordenen Analyse, dass die Jungen unter 24 Jahren mit einer Wahlbeteiligung von bloß 36 Prozent weitgehend auf ihr Stimmrecht verzichteten, von dem in der Generation 55 plus weit mehr als 80 Prozent Gebrauch gemacht haben. Heißt: Nicht hinterwäldlerische alte Deppen haben die intelligente, urbane Jugend um ihre Zukunft gebracht. Sondern die hat ihre eigene Zukunft schlicht und einfach durch Nichtwählen verschlafen. Hätten mehr gebildete, kosmopolitische und urbane Junge ihren Hintern zur Urne bewegt, gäbe es keinen Brexit. Aber das passt halt nicht so gut in die Erzählung von den alten, nationalistischen Idioten, die alles vermasselt haben.
Europas Eliten - in der Politik wie in den Medien - neigen dazu, dem Souverän, wenn er sich in ihren Augen verwählt hat, mit pädagogischen Maßnahmen zu begegnen. "Der Deserteur wird nicht mit offenen Armen empfangen", drohte EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker den Briten vor dem Votum. "Das steht für die Haltung der Kommission ebenso wie für die Einstellung anderer Regierungen." Nur zur Erinnerung: Der Deserteur gilt in jeder Armee der Welt als Verbrecher, mit dem im Krieg meist eher kurzer Prozess gemacht wird. Eine demokratische Abstimmung damit zu vergleichen, zeugt von einem interessanten demokratiepolitischen Verständnis des obersten EU-Funktionärs. Und genau diese Mentalität ist das Problem.
Es stimmt zweifellos, dass immer mehr Wähler immer weniger imstande sind, informierte Entscheidungen zu treffen, die für das Funktionieren von Demokratie notwendig sind. Es ist dies im Großen und Ganzen freilich keine frei gewählte Unmündigkeit, sondern nicht zuletzt einer von den politischen Eliten zu verantwortenden Degeneration der Demokratie und zu einem Teil des Unterhaltungsgeschäftes geschuldet. Dem Wähler das vorzuhalten, bedeutet frei nach Erich Kästner, ihn zu zwingen, von dem Kakao, durch den man ihn gezogen hat, auch noch zu trinken.


Kommentare:
tja, so ist das leben fuer die ungebildeten, sprich der propaganda nicht ungefragt folgenden teil der gesellschaft. wer sich als nichtwinker und selbstdenker zu erkennen gibt, muss auch bereit sein, nachteile zu ertragen. was wurden wir doch von den eliten ( politiker und medien?) in den letzten monaten nicht alles genannt, problem-gauck, mob- gabriel, ungebildet/aengstliche, zurueckgebliebene/ zukurzgekommene/ dunkler teil usw usf. alles nachzulesen und zu hoeren. aber: das neue volk, welches da gebraucht wird, ist ohnehin bereits auf der 'reise' und wird demnaechst in unseren laendern einen sehr grossen anteil der bevoelkerung stellen. und der wird dann, gemeinsam mit unseren willkommenskulturlern, unsere 'eliten' begeistert beklatschen, verehren, sie nicht kritisieren und ihnen brav und problemlos dienen, ihr schafft das,i ihr bessergebildeten, ihr eliten, ihr weitsichtler. ich wuensch es euch. denn sollte da was danebengehen, dann ? reset?

Wenn man im aussereuropaeischem Ausland lebt und arbeitet, bekommt man recht deutlich die Meinung von Europa zu hören. Man lacht nur mehr über die EU oder man sieht nur noch Kopfschütteln oder man laesst sie links liegen. Wenn unsere Politiker und vor allem die EU Politiker nur noch die Vertreter sind dieser 'sogenannten' Elite' sind, am Gaengelband haengen vom Weltpolizisten, ausgelacht werden vom Herrscher am Bosphorus oder aus dem Kreml, dann haben eben diese total versagt. Und dann noch das 'ordinaere' Volk zu links liegen zu lassen als unkompetent zu deklarieren, weil gegenteilige Ansichten nicht gewünscht werden, dann ist es nicht weit her mit dem Demokratieverstaendniss dieser Heuchler. Das System braucht einen Neuanfang und der kann nur gelingen, wenn die scheinheiligen Politiker wie Merkel, Junkers, Tusk, Timmermans etc. ausgetauscht werden. Ansonsten wird die Siegerin heissen Victoria Nuhland (fuck the EU), der Sultan und der Zar. Europa ist dann weg vom Fenster.

M.E.haben die sog. politischen Eliten das Verständnis für die nicht so Gebildeten aufzubringen verlernt, und so alles darzustellen,dass auch für Alle klar ist worauf es an kommt.In Österr.erleben wir dasselbe. Da habe ich stets den Eindruck es wird mit Absicht das "gewöhnliche " Volk hinter-und übergangen. Aber es kann nicht nur Eliten geben, wovon würden wir uns ernähren hätten wir nicht unsere fleißigen Bauern,Gemüseanbauer etc.etc.,die Handwerker die für unsere Behausungen sorgen. Die sog.Eliten die sich selbst dazu erhoben haben sind großteils Theoretiker und darauf bedacht das für sie selbst plus Anhang das Beste raus zu holen.Es waren nunmal demokratische Wahlen in GB und wenn das Ergebnis den "Eliten" nicht gefällt lässt das für mich " tief blicken",das Volk ist hier und dort allen völlig wurscht.Wählen sollen wir aber so wie "Die da Oben" es wollen. Glücklicherweise gibt es immer mehr Wählerinnen die eigenständig sind in ihrer Meinung und ankreuzen wo sie selbst entscheiden.

Die Brexit-Gegner waren offenbar nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass das geringe Votum für den Verbleib seitens der jungen Wähler_innen von der Desillusionierung der älteren Generation über die Politik der letzten drei Jahrzehnte geprägt gewesen sein könnte.
  

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