25.1.17
Ein Blick in den Call-Center-Schrecken von Argentinien
Wer sich
als Call-Center-Mitarbeiter outet, der wird häufig mit einem mitleidigen Blick
bedacht. Im Allgemeinen wird der Job in einem Call-Center nicht sonderlich
spannend, herausfordernd oder angenehm erachtet. Doch wer einmal einen Blick in
die Call-Center in Argentinien wirft, der wird sich in hiesigen Call-Centern
wie ein König vorkommen.
Der
Regisseur Alejandro Cohen Arazi präsentiert einen Film über argentinische
Call-Center, bei dem es jedem normalen Arbeitnehmer kalt den Rücken
hinunterläuft. Der Film thematisiert vor allem die schlimmen Bedingungen in den
Call-Centern: Von psychischem Terror durch Vorgesetzte, miserable Arbeitszeiten
und natürlich einem unterirdischen Verdienst.
In
Argentinien gibt es keine geregelten Arbeitsbedingungen, der jeweilige
Arbeitgeber sorgt für das Equipment und die Räumlichkeiten nach seinem eigenen
Gusto. Vielfach leiden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Unterdrückung
durch ihre Arbeitgeber und einem Leistungsdruck, der kaum schaffbar ist. Arazi,
dessen Film im September 2014 erstmal anlief, arbeitete selbst im Telemarketing
und beschrieb seine Arbeit als eine Aufgabe, die „dich verrückt oder taub
machen kann“. Fehlende Beschäftigungsverordnungen sorgen dafür, dass
Unternehmen sich weder an Arbeitszeiten noch an irgendwelche Tarifverträge
halten müssen – es gibt einfach keine Regelung dafür in Argentinien.
Call-Center-Agents
in Argentinien arbeiten in kleinen Telefonboxen in Großraumbüros. Hier bekommen
die Mitarbeiter den vollen Frust und Hass der Anrufenden ab, denn nicht selten
handelt es sich um Servicehotlines für verschiedenste Branchen. Von der Bank
über Bauunternehmen hin zu Telekommunikationsanbietern. Vor allem, wenn es
darum geht, dass der Kunde weder SMS verschicken kann noch ins Internet kommt,
mischt sich Hysterie und Panik in das Gespräch mit. Der soziale Kontakt mittels
Telekommunikationsmedien ist in Argentinien überaus wichtig.
Neben all
diesen Problematiken ist das Gehalt jedoch das größte Problem. Die
unterirdische Bezahlung der leidgeplagten Mitarbeiter argentinischer
Call-Center steht in keinem Vergleich zu den Arbeitsbedingungen. Oftmals werden
nur wenige Cent bezahlt, ein Lohn, der nach langen, harten Arbeitstagen gerade
so zum Überleben reicht. Direkt danach folgen Gesundheitsprobleme: Die Palette
reicht von Rückenschmerzen über psychische Probleme hin zu Hör- oder
Sehproblemen. Darüber hinaus werden die Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten
psychisch unter Druck gesetzt.
Die
Arbeitsmittel sind dazu oft veraltet, langsam und verdreckt. Viele Mitarbeiter
haben keinen festen Arbeitsplatz, sondern müssen jeden Tag aufs Neue sehen, an
welchem Platz sie sitzen können. Unabhängig, ob der Kollege vorher krank war
oder alles verdreckt hinterlassen hat. Wer das Glück hat, einen festen
Arbeitsplatz zu bekommen und sich mit der Arbeit insgesamt zu arrangieren, der
muss trotzdem jederzeit den Leistungsdruck durch Arbeitgeber fürchten.
Permanente Kontrolle der Telefonate und Arbeitszeiten gehört zum täglichen
Leben in argentinischen Call-Centern dazu, ebenso regelmäßiges Anschreien, so
Celia Báez, die einer Gruppe von Arbeitnehmervertretern angehört.
Einen
Lichtblick gibt es übrigens: Einige Mitarbeiter verschiedener Call-Center in
Argentinien haben sich zusammengeschlossen, um einen transparenteren und
würdigeren Arbeitsalltag zu schaffen. Sie finden weitere Informationen auf der
Webseite der Gruppe „Movimiento Libres de Call Center“ oder bei „Telemarketers
en lucha“.