29.11.17
Johannes Calvin
st er der Inbegriff religiöser Intoleranz,
ein Fundamentalist und Tugendtyrann? Oder doch ein mutiger Erneuerer,
der das Christentum von papistischen Gräueln reinigt und der Heilslehre
die von Gott gemeinte Gestalt wiedergibt?
Johannes Calvin spaltet die Geister. Für die einen
ist er eine immerwährende Reiz- und Hassfigur, ein rigider Vordenker
autoritärer Gesellschaften, die das Leben der Menschen hinein in den
privatesten Winkel durchleuchten und kontrollieren. Ein freudloser
Zuchtmeister des Gewissens, der jeden Fehltritt unnachgiebig und
brachial ahndet; der engstirnige Prediger eines unnahbaren,
rachsüchtigen, kalten und unbegreiflichen Gottes; der willfährige
Wegbereiter einer kapitalistischen Leistungsideologie, in der die
Starken siegen und die Schwachen keinen Platz mehr haben.
Lichtgestalt und Finsterling
Für die anderen ist Johannes Calvin ein bis in die
Gegenwart wirkender, erfolgreicher Reformator, der den verwirrenden
Spitzfindigkeiten katholischer Kasuistik ein klares und verlässliches
Gottesbild entgegenstellt. Ein frommer Eiferer, der die Bibel und das
offenbarte Wort Gottes zur alleinigen Richtschnur des Glaubens erhebt;
ein entschlossener Kämpfer, der die Reinheit der Lehre mutig gegen
Ablasshandel und Bilderkult, gegen Heiligen- und Reliquienverehrung,
gegen alle Entartungen papistischer Götzendienerei und vor allem gegen
die gottvergessene Anbetung des Menschen verteidigt.
Ein ewiger Streitfall
Dem Wesen und Wirken des Genfer Reformators gerecht
zu werden, ist ein schwieriges Unterfangen. Vieles in seinem Leben, in
seiner Lehre und seinem Handeln erscheint aus heutiger Sicht
unverständlich, bizarr, kalt, starr, lust- und lebensfeindlich. Das
maßgeblich von Stefan Zweig geprägte Bild des skrupellosen Tyrannen,
Gewissensschnüfflers und Gesinnungsdiktators hält sich hartnäckig. Auf
der anderen Seite ist Calvin unbestritten einer der wichtigsten
Gestalter der westlichen Zivilisation. Er hat Luthers Reformation so
erfolgreich weitergeführt wie kein anderer. Sein Wirken prägte den
nordeuropäischen Protestantismus und strahlte bis in die Vereinigten
Staaten von Amerika aus, wo die ihres Glaubens wegen verfolgten
Pilgerväter den Grundstock einer noch heute äußerst lebendigen und
einflussreichen freikirchlichen Szene legten.
Unterricht im Christenglauben
Die Flucht aus Paris ist ein vollständiger Bruch mit
der katholischen Kirche. Und ein Bruch mit seiner französischen Heimat,
die so unnachgiebig wie gewalttätig gegen Protestanten vorgeht. Calvin
findet Zuflucht in Basel, das 1529 zur Reformation übergetreten ist und
viele aus Frankreich geflohene Protestanten beherbergt. Im Baseler Exil
entsteht sein frühes Hauptwerk, das 1536 unter dem Titel "Christianae
religionis institutio" im Druck erscheint und sofort eine immense
Breitenwirkung entfaltet.
Ein Katechismus als Vermittlungsversuch
Die Vorrede dieses "Unterrichts in der christlichen
Religion" ist an den französischen König Franz I. gerichtet, der in
einem Edikt vom 29. Januar 1535 die Vernichtung der protestantischen
Häretiker angeordnet hatte. Calvin verteidigt den Protestantismus gegen
die römisch-katholische Polemik und versucht, die vielen diffamierenden
Vorurteile gegen die "Lutheraner" auszuräumen. Insbesondere wendet er
sich gegen den politisch instrumentalisierten Vorwurf, dass sie Aufruhr
im Königreich und einen politischen Umsturz planten.
Gottes Allmacht und ewiger Ratschluss
Inhaltlich präsentiert sich das stark an Luthers
"Kleinen Katechismus" angelehnte Werk als kurzgefasste Darstellung der
wesentlichen Grundwahrheiten des reformierten Glaubens, der Sakramente,
Gebete und Heilshandlungen. Im Zentrum steht das Postulat der absoluten
Allmacht Gottes. Erst wenn der Mensch die majestas domini
begreift, kann er sich selbst und seinen Platz in der Schöpfung
erkennen. Auch der für den Calvinismus grundlegende
Prädestinationsgedanke ist bereits im Kern angelegt: Weil die Erbsünde
den Menschen zu Gottes ewigem Schuldner macht, kann er sich nicht durch
gute Taten rechtfertigen und sein Seelenheil verdienen. Das Heil des
Menschen fließt daher allein aus der Gnade Gottes und aus Jesus
Christus. Und einzig Gottes ewige Vorhersehung entscheidet darüber, ob
ein Mensch bei ihm Gnade findet oder verdammt ist. Der Mensch kann diese
Vorbestimmung zu Erwählung oder Verwerfung nicht beeinflussen, sie ist
vollständig der unbeschränkten, letztlich auch unbegreiflichen
Souveränität Gottes anheimgestellt. Er muss beides, sowohl die Erwählung
als auch die Nichterwählung, gläubig annehmen. Gewissheit, wer zu den
Verdammten oder Angenommenen zählt, gibt es zwar nicht, wohl aber mit
aller Vorsicht doch deutbare Anzeichen: Die Fähigkeit, ein frommes,
gottesfürchtiges, sittlich einwandfreies Leben zu führen, ist eine Gnade
Gottes und deutet so auf die Erwählung hin.
Der Weg zum Genfer Gottesstaat
Im Juli 1536 legt Calvin auf dem Weg von Basel nach
Straßburg einen Zwischenaufenthalt in Genf ein. Hier trifft er auf den
Prediger Guillaume Farel (1489-1565), der ihn beschwört, zu bleiben und
die Sache der Reformation gemeinsam voranzutreiben. Calvin willigt ein.
Er unterrichtet zunächst am Gymnasium und ist ab Februar 1537
ordentlicher Prediger mit festem Gehalt. Bereits gegen Ende 1536 gehen
Calvin und Farel daran, eine "Kirchenzucht" als verbindliches Regelwerk
für das Gemeindeleben auszuarbeiten. Sie fällt streng aus. Theater- und
Glücksspiele, liederliche Gesänge, prunkende Feste und Kleider sind nach
den Vorstellungen der Reformatoren zu untersagen, weil sie nicht der
Ehre Gottes als dem ausschließlichen Zweck des Gemeindelebens dienen.
Dagegen sind der regelmäßige Besuch des Gottesdienstes, der Empfang des
Abendmahls, ein intensives Bibelstudium sowie Gehorsam gegen die
Obrigkeit zentrale Pflichten des gläubigen Christen und unbedingt
einzuhalten.
Himmlischer Lohn und irdische Strafen
Mit der Kirchenzucht verfügen sowohl der weltliche
als auch der geistliche Arm über ein scharfes Instrument zur
Durchsetzung einer "gottgefälligen" Gemeindeordnung. Wenn brüderliche
Ermahnungen nicht ausreichen, um Verstöße zu ahnden, drohen den
Beschuldigten empfindliche Strafen bis hin zum Pranger, zur
Exkommunikation und zum Verlust des Bürgerrechts.
Das Regiment der Pfarrer stößt auf Widerstand
Beim Rat finden die Anfang 1537 vorgelegten Entwürfe
der Reformatoren eine zwiespältige, eher reservierte Aufnahme. Sowohl
der Entwurf einer strengen Kirchenzucht als auch der Vorschlag, alle
Bürger per Eid auf ein gemeinsames Glaubenskenntnis zu verpflichten,
werden abgeschmettert. Als ein Teil des Magistrats im November 1537
dennoch beschließt, jeden auszuweisen, der den Eid nicht leistet, erhebt
sich ein Proteststurm gegen die Pläne Calvins und Farels. Im Februar
1538 spitzt sich die Lage zu. Vehementer als zuvor weisen die
Stadtverantwortlichen den Anspruch Calvins zurück, die Organisation der
Kirche und vor allem die Kirchenzucht vollständig den Pfarrern zu
überlassen. Der Magistrat besteht darauf, die in der Kirchenzucht
ausgestaltete Disziplinargewalt über die Gemeindemitglieder nebst allen
säkularen und geistlichen Strafen als Angelegenheit der weltlichen
Obrigkeit zu betrachten. Nachdem sich Calvin und Farel den Wünschen des
Magistrats verschließen, ist das Maß voll. Beide werden am 23. April
1538 ihrer Ämter enthoben und aus der Stadt gewiesen.
Lehrjahre eines Reformators
Calvin folgt einem Ruf nach Straßburg, wo er bis
1541 bleibt. Er predigt, legt die Evangelien aus, betreut geflohene
Protestanten, reformiert das Gemeindeleben, korrespondiert mit anderen
Reformatoren und entfaltet eine reiche schriftstellerische Tätigkeit. Da
er nun auch auf Französisch schreibt, kann er über die lateinkundigen
Gelehrten hinaus neue, bislang nicht erreichte Laienkreise ansprechen.
Die Confessio Gallicana
Im Mai 1559 versammeln sich die Vertreter von 50
reformierten Gemeinden zur ersten französischen Nationalsynode in Paris.
Sie wollen ein gemeinsames Glaubensbekenntnis und eine einheitliche
Kirchenordnung aushandeln. Johannes Calvin kann persönlich nicht
teilnehmen. Aber er schickt den Entwurf eines Glaubensbekenntnisses, das
die Gesandten mit einigen Ergänzungen übernehmen. Ihr gemeinsames
Bekenntnis erscheint 1560 im Druck und wird dem König überreicht. 1571
nimmt die Nationalsynode eine abermals ergänzte Fassung endgültig als Confessio Gallicana
an. Sie zählt zu den maßgeblichen reformierten Bekenntnisschriften und
fasst die Lehren Calvins im Sinne eines Vermächtnisses zusammen.
- Die Heilige Schrift ist allein maßgebende Richtschnur des Glaubens. Die Bücher der Heiligen Schrift, des Alten und Neuen Testaments, sind die Summe der einzigen untrüglichen Wahrheit, die aus Gott hervorgegangen ist und keinerlei Widerspruch duldet.
- Der nach dem Ebenbild Gottes geschaffene Mensch ist nach dem Sündenfall gänzlich in der Erbschuld gefangen. Alle Menschen sind mit dieser Erbsünde behaftet, die immer neue Früchte der Bosheit hervorbringt. Gerettet werden ausnahmslos jene Menschen, die Gott durch seine Güte und Barmherzigkeit schon vor Erschaffung der Welt dazu vorherbestimmt hat.
- Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, er bietet alles, was zum Heil nötig ist. Gott erzeigt den Menschen in Christus seine Liebe, sodass sie durch Christi einmaliges Opfer mit Gott versöhnt und ihnen ihre Sünden vergeben sind. Anders kann man vor Gott nicht gerecht werden. Der Gerechtigkeit wird man teilhaftig im Glauben.
- Die Ordnung der Kirche, das Predigeramt und die Sakramente, sind heilig und unverletzlich. Die wahre Kirche ist die Gemeinschaft, die dem Worte Gottes folgt, nicht aber das Papsttum.
- Ämter gehören zum Wesen der Kirche. Deren Inhaber müssen ordentlich gewählt werden.
- Die Sakramente sollen das Wort bestätigen und unterstützen, wobei nur die Taufe und das Abendmahl als Sakramente anerkannt werden. Christi Fleisch und Blut werden im Abendmahl geistlich (symbolisch), aber dennoch wahrhaftig empfangen.
- Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt und zu seiner Ehre sowie zur Abwehr der Sünde geschaffen. Sie ist zu ehren und verdient Gehorsam, solange die Oberherrschaft Gottes unverletzt bleibt.
Während sich die politischen
Auseinandersetzungen beruhigen, nehmen die gesundheitlichen Probleme des
lebenslang kränklichen Reformators zu. Er leidet unter Kopfschmerzen,
rheumatischen Beschwerden, Gicht und Nasen- und Nierenkoliken und ist
wiederholt für Wochen und Monate ans Bett gefesselt. Am 27. Mai 1564
stirbt Jean Cauvin, genannt Johannes Calvin, in Genf.