10.4.20

 

CORONA-KRISE ALS CHANCE ZUR UMKEHR

"Jetzt ist die Zeit, von der Heuchelei zum Handeln überzugehen und einen grundlegenden Wandel in Politik, Wirtschaft und persönlichem Handeln einzuleiten."

Papst: Ostern zeigt, dass Gott alles zum Guten wenden kann
In dem ausführlichen Interview zeichnet Papst Franziskus die globale Virus-Krise als Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Umkehr und ruft zugleich zum Einsatz für die in dieser Zeit besonders Schutzbedürftigen auf. Die globale Krise betreffe alle Menschen und sei eine Chance für die Menschheit, ihre Zukunft grundsätzlich neu auszurichten, betont der Papst. Hierfür brauche es einen Wandel in Politik, Wirtschaft und im Leben eines jeden Einzelnen.

Gelegenheit zur Umkehr
„Diese Krise berührt uns alle: Reiche wie Arme. Sie ist ein Aufruf gegen die Heuchelei“, unterstreicht Franziskus. Und er verweist zugleich auf die Kluft zwischen Reden und Handeln von Verantwortungsträgern weltweit, die angesichts der Tragweite der aktuellen Lage alles andere als angemessen in der Krise agieren: „Mich beunruhigt die Scheinheiligkeit gewisser Politiker, die sagen, sie wollen die Krise angehen, die über den Hunger in der Welt reden, und beim Reden Waffen herstellen. Jetzt ist die Zeit, uns von dieser Heuchelei zum Handeln zu bekehren. Dies ist eine Zeit der Kohärenz. Entweder sind wir konsequent oder wir verlieren alles.“
Vieles stehe auf dem Spiel, so Franziskus, die Krise biete zugleich „eine Gelegenheit zur Bekehrung“. Mit Blick auf die Weltwirtschaft und den Umgang mit natürlichen Ressourcen betont der Papst, es bestehe jetzt die Chance, „Produktion und Konsum zu verlangsamen“, die natürliche Welt besser zu verstehen und zu bedenken und „die Verbindung zu unserer realen Umwelt wiederherzustellen“. Grundgedanken seiner Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ aufgreifend unterstreicht der Papst, es gelte „von der Nutzung und dem Missbrauch der Natur“ wegzukommen und stärker „zur Kontemplation überzugehen“.


Zuwendung und Schutz für Menschen am Rande
Dazu gehört für Franziskus auch eine unmittelbare Zuwendung zu anderen Menschen. Es gelte, sich aus der „hypervirtuellen, körperlosen Welt dem leidenden Fleisch der Armen“ zuzuwenden. „Wenn wir nicht damit beginnen, wird es keine Bekehrung geben“, warnt der Papst. Einige Regierungen der Welt hätten „beispielhafte Maßnahmen ergriffen, um die Bevölkerung zu schützen“, merkt er an. Allerdings werde in der Krise deutlich, dass sich alles um die Wirtschaft drehe. Die Welt sei „von Kopf bis Fuß“ durch eine „Politik der Wegwerfkultur“ durchdrungen, was sich auch in heute üblichen Praktiken wie vorgeburtlicher Selektion und legal praktizierter Euthanasie zeige.
In der Corona-Krise müssten gerade besonders schutzlose Menschen Unterstützung erfahren, appelliert der Papst und nennt ein Beispiel: „Die Obdachlosen bleiben Obdachlose. Ich habe vor ein paar Tagen eine Fotografie aus Las Vegas gesehen, auf der Obdachlose zu sehen waren, die auf einem Parkplatz in Quarantäne gesetzt wurden. Und die Hotels waren alle leer. Denn ein Obdachloser kann ja nicht in ein Hotel gehen. Hier sieht man die Logik der Wegwerfkultur am Werk.“
Der Papst hebt all jene Menschen positiv hervor, die sich um Kranke und Bedürftige in dieser Zeit in besonderer Weise kümmern. Erneut würdigt Franziskus etwa die vielen Ärzte, Pflegerinnen und Ordensfrauen, die im Einsatz für die Opfer der Pandemie gestorben sind.

Papst-Gebet und Angebote der Nähe
Er selbst bete in dieser Krise viel, erzählt der Papst über seinen persönlichen Umgang mit der Krise: „Ich bete mehr, weil ich glaube, ich muss das tun, und denke an die Menschen. Ich mache mir Sorgen um die Menschen, das tut mir gut und bewahrt mich vor Egoismus.“ Darüber hinaus bewege ihn die Frage: „Was wird mein Dienst als Bischof von Rom, als Oberhaupt der Kirche, in Zeiten danach sein?“ Mit dem vatikanischen Entwicklungs-Dikasterium stehe er im Austausch über die Frage der Zeit nach der Pandemie und wie die Kirche damit umgehen könne, merkt er weiter an.
Seine größte Sorge sei es, den Menschen irgendwie nahe zu sein, so Franziskus. In dieser Optik seien auch seine derzeitigen Aktivitäten im Vatikan zu verstehen, es sei für ihn „eine intensive Zeit der Präsenz“: „Das ist der Sinn meiner Morgenmesse jeden Tag um 7.00 Uhr, die im Live-Stream übertragen und von vielen Menschen mitverfolgt wird, die sich dadurch begleitet fühlen. Das ist der Sinn auch anderer meiner Gesten in dieser Zeit wie beispielweise der Segen auf dem Petersplatz vom 27. März.“ Auch mittels des päpstliche Almosenamtes versuche der Vatikan, Armut und Krankheit im Zuge der Krise zu lindern.

Kreativität des Christen
Die Krise erlebe er selbst auch als einen „Augenblick mit großer Unsicherheit“, räumt der Papst ein. Zugleich sei es „ein Moment des Erfindungsgeistes, der Kreativität“, betont Franziskus. Dies sei eine Aufgabe für die ganze Kirche und alle Menschen in der häuslichen Isolation.
Der Papst wirbt an diese Stelle für eine „Kreativität des Christen“, die sich darin zeige, „neue Horizonte und Fenster zu öffnen, eine Transzendenz hin zu Gott und zu den Menschen“, wie er formuliert. Dabei gelte es, jeden Tag mit Aufmerksamkeit und Behutsamkeit anzugehen und die Realität nicht zu verkennen.

„Tragt Sorge um euch für die Zukunft, die kommen wird. Sorgt euch um das Jetzt, aber im Blick auf das Morgen. All das mit Kreativität. Einer einfachen Kreativität, die jeden Tag etwas erfindet. In der Familie so etwas zu entdecken, ist nicht schwer. Doch man darf nicht davonlaufen und sich in fremde Welten flüchten – die sind in diesem Moment nicht nützlich.“

Papst Franziskus 


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