10.10.15

 

Ab einer gewissen Zahl bricht jedes Asylwesen zusammen

Toni Stadler arbeitete während Jahren in Flüchtlingslagern in Krisenherden auf der ganzen Welt.
Heute sagt er, Migration löse die Krisen nicht, sondern verschärfe sie.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel beschwört ihr Volk, dass die Flüchtlingskrise zu meistern sei.
Ich weiss nicht genau, was die Kanzlerin schaffen will.
Die Flüchtlingskrise ist nicht eine Aufgabe, die man lösen kann und dann ist sie erledigt.
Flüchtlinge, Kriegsvertriebene und Arbeitsmigranten sind heute so mobil wie nie zuvor. Wenn man sie alle willkommen heisst, namentlich auch illegale Migranten, dann zieht das auch jene an, die sich nach einem Leben in der Wohlstandsgesellschaft sehnen. Wenn Angela Merkel jetzt eine Million Migranten willkommen heisst, dann verschiebt sie die Lösung des Problems einfach auf den Moment, an dem die zweite Million an der Grenze steht.
Ab einer gewissen Zahl von Migranten bricht das Asylwesen jedes Landes zusammen.
Ausserdem kann es bei einem Krieg nicht darum gehen, möglichst viele Menschen an einen Ort möglichst weit vom Kriegsgebiet entfernt zu versetzen. Dieses Narrativ stört mich.
Das Ziel muss sein, den Krieg zu beenden und die Kriegsvertriebenen zu repatriieren.
Menschen in Not zu helfen und sich für die Beilegung eines Konfliktes zu engagieren, schliesst sich nicht aus.
Doch, bis zu einem gewissen Grad schon. Es sind immer die aktivsten und gebildetsten Menschen, die aus Bürgerkriegen flüchten, Tausende Kilometer reisen und dabei ihr Leben riskieren. Damit wird der Opposition Kraft entzogen. Ausserdem fehlen diese Menschen später, um nach dem Krieg wieder einen Rechtsstaat zu installieren und das Land wiederaufzubauen.
Dieses Problem löst man indem man im betroffenen Land oder möglichst nahe am Land Schutzzonen einrichtet.
Wenn sich Menschen drei Jahre in einem Flüchtlingslager aufhalten, bleiben sie mit dem Heimatland in Kontakt und werden auf die Rückkehr nach dem Kriegsende vorbereitet.
Wenn sie drei Jahre in Berlin leben, werden sie auf ein Leben in der Wohlstandsgesellschaft vorbereitet.
Ein Flüchtlingslager für vier Millionen Syrer?
Das Konzept ist erprobt. Im Golfkrieg 1991 errichtete man erfolgreich eine Schutzzone für Kurden im Nordirak. Bereits heute sorgt das UNHCR für die Sicherheit und den Unterhalt von 2 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei und in Jordanien. Sie wohnen zum Teil in Lagern, zum Teil bei Privaten. Ausserdem verwahre ich mich gegen das Klischee, dass Flüchtlingslager Orte sind, in denen Menschen per se leiden oder gar sterben. In einem gut geführten Flüchtlingslager können die Menschen in Würde leben und die Kinder zur Schule gehen. Flüchtlingslager kosten Geld, nicht die Türkei soll dafür aufkommen müssen, sondern die Golfstaaten und die OECD-Länder.
Bei einem Problem dieser Grösse und Komplexität kommt die Internationale Gemeinschaft nicht darum herum, Regeln festzuschreiben und Kategorien zu schaffen. Es gibt Menschen, die gemäss der Definition der Flüchtlingskonvention verfolgt sind und unseren Schutz brauchen. Es gibt Menschen, die vor Kriegshandlungen fliehen. Und es gibt Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben sind.
Man muss diese drei Kategorien separat behandeln.
Vor allem wegen der Sogwirkung auf Nachahmer der dritten Kategorie. Menschen, die gemäss Völkerrecht Anspruch auf Asyl haben, gibt es nicht in beliebiger Zahl. Damit kann Europa umgehen. Arbeits-Migranten gibt es theoretisch Milliarden. Wenn man sie mit der gleichen Grosszügigkeit aufnimmt, ziehen sie weitere nach.
Migration kann die grundlegenden Unterschiede zwischen Armen und Reichen, zwischen Kriegsversehrten und Kriegsverschonten, nicht beseitigen. Diese Unterschiede müssen mit Entwicklungshilfe und politischen und wirtschaftlichen Reformmassnahmen in den betroffenen Ländern abgebaut werden. Nicht indem man möglichst viele Arme in reiche Länder umsiedeln lässt.
Bei der Diskussion um Flüchtlinge fokussiert die SVP auf Missbräuche und die Grenzen der Kapazität, die SP auf Solidarität und die humanitäre Tradition der Schweiz. Was halten Sie von diesen Diskussionen?
Max Frisch sagte treffend: Wir wollten Arbeitskräfte, es kamen Menschen.
Heute wollen wir nur echte Flüchtlinge, doch es kommen Menschen, unter denen einige lügen und Pässe fälschen.
Es scheint mir wichtig, die Migrationsproblematik weniger mit dem Gefühl und mehr mit dem Verstand anzugehen.
Auf die aktuelle Situation bezogen hiesse dies, dass wir auf technische Probleme mit technischen Lösungen reagieren sollten, auf menschliche Probleme mit Menschlichkeit.
Hilfreich dafür wäre natürlich, wenn man das Thema Migration so weit als möglich aus dem Links-rechts-Schema heraushalten könnte.

Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?