21.10.15
Warum mußte Frère Roger diesen Tod sterben?
Manche werden sagen, daß es sich erübrigt, eine Erklärung für die
Ermordung Frère Rogers zu suchen. Das Böse hält stets jeder Erklärung
stand. Ein Gerechter im Alten Testament sagte, daß man ihn „grundlos“
haßt, und Johannes legte die selbe Aussage Jesus in den Mund: „Sie haben
mich ohne Grund gehaßt“.
Im Zusammenleben mit Frère Roger hat mich indessen eine Seite seiner Persönlichkeit immer beeindruckt, und ich frage mich, ob diese Seite nicht erklärt, warum er zur Zielscheibe wurde. Frère Roger war ein unschuldiger Mensch. Nicht, daß kein Fehl in ihm gewesen wäre. Aber für einen Unschuldigen haben die Dinge eine Offensichtlichkeit und Unmittelbarkeit haben, die sie für die anderen nicht besitzen. Für einen unschuldigen Menschen ist die Wahrheit offensichtlich. Sie hängt nicht von Überlegungen ab. Er „sieht“ sie sozusagen, und es fällt ihm schwer, sich darüber klar zu werden, daß andere einen mühevolleren Zugang haben. Was er sagt, ist für ihn einfach und klar, und er ist erstaunt, daß die anderen es nicht ebenso empfinden. Man begreift unschwer, daß er oft wehrlos dasteht oder sich verletzlich fühlt. Seine Unschuld hat im Allgemeinen jedoch nichts Naives. Für ihn ist das Wirkliche nicht von derselben Undurchdringlichkeit wie für die anderen. Er „blickt durch“.
Ich nehme das Beispiel der Einheit der Christen. Für Frère Roger war es offensichtlich, daß es möglich sein müßte, diese Einheit, wenn sie von Christus gewollt wurde, unverzüglich zu leben. Die Gegenargumente, die man ihm vorhielt, mußten ihm künstlich erscheinen. Für ihn war die Einheit der Christen zu allererst eine Frage der Versöhnung. Und er hatte im Grunde recht, denn wir, die anderen, fragen uns viel zu wenig, ob wir bereit sind, den Preis für diese Einheit zu zahlen. Verdient eine Versöhnung, die uns nicht im eigenen Fleisch trifft, überhaupt ihren Namen?
Man sagte ihm nach, er würde nicht theologisch denken. Aber sah er nicht viel klarer als jene, die dies behaupteten? Seit Jahrhunderten hielten es die Christen für nötig, ihre Spaltungen zu rechtfertigen. Sie haben die Gegensätze künstlich vergrößert. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, haben sie sich zu Rivalen entwickelt und aus den Augen verloren, was eigentlich mit ihnen geschah. Sie haben nicht „durchgeblickt“. Die Einheit erschien ihnen unmöglich.
Frère Roger war ein wirklichkeitsnaher Mensch. Er berücksichtigte, was nicht zu verwirklichen ist, insbesondere aus der Sicht der Institutionen. Aber er konnte nicht dabei stehen bleiben. Die Unschuld verlieh ihm eine ganz eigene Überzeugungskraft, eine Art Sanftmut, die sich niemals geschlagen gab. Bis zum Ende sah er die Einheit der Christen als eine Frage von Versöhnung. Versöhnung indessen ist ein Schritt, den jeder Christ tun kann. Würden sie tatsächlich alle vollziehen, wäre die Einheit ganz nahe.
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Im Zusammenleben mit Frère Roger hat mich indessen eine Seite seiner Persönlichkeit immer beeindruckt, und ich frage mich, ob diese Seite nicht erklärt, warum er zur Zielscheibe wurde. Frère Roger war ein unschuldiger Mensch. Nicht, daß kein Fehl in ihm gewesen wäre. Aber für einen Unschuldigen haben die Dinge eine Offensichtlichkeit und Unmittelbarkeit haben, die sie für die anderen nicht besitzen. Für einen unschuldigen Menschen ist die Wahrheit offensichtlich. Sie hängt nicht von Überlegungen ab. Er „sieht“ sie sozusagen, und es fällt ihm schwer, sich darüber klar zu werden, daß andere einen mühevolleren Zugang haben. Was er sagt, ist für ihn einfach und klar, und er ist erstaunt, daß die anderen es nicht ebenso empfinden. Man begreift unschwer, daß er oft wehrlos dasteht oder sich verletzlich fühlt. Seine Unschuld hat im Allgemeinen jedoch nichts Naives. Für ihn ist das Wirkliche nicht von derselben Undurchdringlichkeit wie für die anderen. Er „blickt durch“.
Ich nehme das Beispiel der Einheit der Christen. Für Frère Roger war es offensichtlich, daß es möglich sein müßte, diese Einheit, wenn sie von Christus gewollt wurde, unverzüglich zu leben. Die Gegenargumente, die man ihm vorhielt, mußten ihm künstlich erscheinen. Für ihn war die Einheit der Christen zu allererst eine Frage der Versöhnung. Und er hatte im Grunde recht, denn wir, die anderen, fragen uns viel zu wenig, ob wir bereit sind, den Preis für diese Einheit zu zahlen. Verdient eine Versöhnung, die uns nicht im eigenen Fleisch trifft, überhaupt ihren Namen?
Man sagte ihm nach, er würde nicht theologisch denken. Aber sah er nicht viel klarer als jene, die dies behaupteten? Seit Jahrhunderten hielten es die Christen für nötig, ihre Spaltungen zu rechtfertigen. Sie haben die Gegensätze künstlich vergrößert. Ohne sich darüber im Klaren zu sein, haben sie sich zu Rivalen entwickelt und aus den Augen verloren, was eigentlich mit ihnen geschah. Sie haben nicht „durchgeblickt“. Die Einheit erschien ihnen unmöglich.
Frère Roger war ein wirklichkeitsnaher Mensch. Er berücksichtigte, was nicht zu verwirklichen ist, insbesondere aus der Sicht der Institutionen. Aber er konnte nicht dabei stehen bleiben. Die Unschuld verlieh ihm eine ganz eigene Überzeugungskraft, eine Art Sanftmut, die sich niemals geschlagen gab. Bis zum Ende sah er die Einheit der Christen als eine Frage von Versöhnung. Versöhnung indessen ist ein Schritt, den jeder Christ tun kann. Würden sie tatsächlich alle vollziehen, wäre die Einheit ganz nahe.
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