5.2.16

 

Prof. Dr. Richard Heinzmann zum Tod von Eugen Biser

Wenn ein Mensch im hohen Alter von 96 Jahren stirbt, gehört sein Lebenswerk in der Regel der Vergangenheit an. Auf Eugen Biser trifft das nicht zu! Sein Schaffen war von Anfang an in die Zukunft gerichtet, es hat im Laufe seines Lebens zunehmend an Bedeutung gewonnen und kann heute höchste Aktualität beanspruchen.
Eugen Biser, ein außergewöhnlicher Mensch, ein einfühlsamer Priester und unermüdlich forschender und lehrender Wissenschaftler hat mit seinem geradezu paulinischen Charisma als Prediger die Besucher seiner Gottesdienste ebenso in seinen Bann gezogen, wie er mit seinem universalen Wissen die Hörer seiner Vorlesungen faszinierte. . . .
Am 6. Januar 1918 in Oberbergen am Kaiserstuhl geboren, verbrachte Eugen Biser seine Kindheit und Jugend in den damals bescheidenen Verhältnissen eines Lehrerhaushalts. Das in Freiburg im Breisgau begonnene Theologie-studium wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen. Eine schwere Verletzung in Rußland hatte zur Folge, daß er erst nach einem langen Prozeß der Genesung sein Studium wiederaufnehmen konnte. Im Jahre 1946 wurde er zum Priester geweiht.
Von den schrecklichen existentiellen Erfahrungen des Krieges waren Fugen Biser und sein Denken zeitlebens geprägt. Er wußte, wozu der Mensch fähig ist, und wie es um ihn in seiner Angst und Todverfallenheit steht. . . . Neben der Ausübung eines über zwanzig Jahre währenden vollen Deputats als Religionslehrer in Heidelberg promovierte er 1956 in Theologie mit einer Arbeit über Gertrud von le Fort und 1961 in Philosophie mit einer Arbeit über Friedrich Nietzsche, der ihm sein wissenschaftliches Leben lang ein geistiger Gesprächspartner blieb. Nach der Habilitation im Jahre 1965 begann seine Universitätslaufbahn als Fundamentaltheologe, die ihn von Passau über Marburg, Bochum und Würzburg schließlich 1974 nach München auf den renommierten Guardini-Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie führte.
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Die in der unmittelbaren Begegnung spürbare charismatische Ausstrahlung dieses wegweisenden christlichen Denkers gehört nun unwiederbringlich der Vergangenheit an. Generationen von Menschen, die ihn erlebt haben - ihre Zahl wird naturgemäß immer kleiner -‚ werden sich in bleibend dankbarem Gedenken seiner erinnern. Es wird, wie bei anderen großen Gestalten, auch künftig von seinem Wirken und seiner Wirkung gesprochen und geschrieben werden, es wird aber nur noch informierende Rede von endgültig Vergangenem sein, das Ereignis selbst, das performative Wort, läßt sich nicht zurückholen.
. . . Über die Aura seiner Person und deren lebenszeitliches Wirkungsfeld hinaus gilt es, den Blick auf das Werk zu richten. Dabei ist insbesondere auf jene innovativen Ansätze und in die Zukunft weisenden Elemente seiner Theologie zu achten, die geeignet sind, über die aktive Tätigkeit eines langen Lebens hinaus überkommene und verhärtete Strukturen aufzubrechen, das Christentum neu zu entdecken und dadurch den Weg in eine vom Geist Christi geprägte Zukunft freizumachen. Um diese Perspektive zu eröffnen, muß nach dem Grundanliegen und Leitgedanken der Theologie Eugen Bisers gefragt werden.
Bei aller Vielfalt der von ihm behandelten Problemfelder - Musik, Kunst und Literatur zählten ebenso dazu wie Philosophie und Theologie -‚ stand die allen Einzelproblemen vorausliegende Frage nach der Identität des Christentums im Zentrum seines unermüdlichen wissenschaftlichen Arbeitens. Er war der Überzeugung, daß die gegenwärtige Krise des christlichen Glaubens und der Kirche nicht eine zufällige und deshalb gewissermaßen von selbst vorübergehende Zeiterscheinung sei. Den eigentlichen und tiefsten Grund dafür sah er in der mangelnden Konzentration auf die Mitte des Christentums. Mit gutem Recht kann man deshalb von einer Identitätskrise sprechen. In dieser Diagnose, wonach sich das Christentum in seiner zweitausendjährigen Entwicklung in wesentlichen Punkten selbst verfehlt habe, spiegeln sich die letzten Auswirkungen eines Prozesses, der mit der Begegnung von christlicher Offenbarung und griechischer Philosophie schon sehr früh begann und im Lauf der Christentumsgeschichte zu folgenschweren Akzentverlagerungen und Verwerfungen führte. Christsein als Lebens- und Existenzvollzug wurde zunehmend zu einer begrifflich formulierten Lehre, die von der Kirche als Gegenstand des Glaubens verbindlich vorgeschrieben wird. Mit diesem Vorgang wurde Glauben unausweichlich zu einem Fürwahrhalten von Sätzen degradiert. Die für Glauben im strengen Sinn unverzichtbare Dimension der Freiheit ging immer mehr verloren, bis schließlich Glaubenszwang kirchlicherseits zu einer echten Option wurde. Im Gegenzug zu dieser Entwicklung forderte Eugen Biser die Wende vom abstrakten System, von der in sich kohärenten Doktrin zur Lebenswirklichkeit - d. h. zu Jesus als der alleinigen Bezugsperson des Christseins -‚ von der Lehre und Botschaft zum Botschafter selbst, von den satzhaften Wahrheiten des Christentums zur personalen Wahrheit Christi.
Mitte und Norm des Evangeliums muß Jesus Christus selbst sein mit seiner „revolutionären Botschaft" vom bedingungslos liebenden Gott. Mit diesem Gottesverständnis kommt der andere gravierende Bruch der Christentumsgeschichte mit der Grundbotschaft des Neuen Testaments in den Blick: die Pervertierung des Gottesbildes. Nicht zuletzt unter dem Einfluß des späten Augustinus (354-430) war aus dem Gott der Liebe ein Angst und Schrecken verbreitender Willkürgott geworden. Die verheerenden und die Menschen traumatisierenden Folgen dieses zutiefst unchristlichen Gottesbildes wirken in vielfachen Brechungen bis in die Gegenwart nach. Dieser besonders verhängnisvollen Fehlentwicklung steht der theologische Ansatz von Eugen Biser diametral entgegen. Biser versteht Glauben als dialogische Relation zu Christus und durch ihn zu Gott. Dadurch werden alle Vergegenständlichungen in Zeichen, durch Sätze und Lehren auf deren Innendimension hin durchbrochen. Die „Einwohnung des Geistes" erhebt den Menschen zur Gotteskindschaft - ein Thema, mit dem sich Eugen Biser noch in einer seiner letzten Monographien befaßte - und kann den Menschen damit zu seiner eigenen Identität führen. Diesen Prozeß der Neuentdeckung der Mitte des Christentums versteht Eugen Biser als „Christomathie". Allein dadurch kann das Christentum von seinem „Selbstmißverständnis" befreit werden.
Im Kontext dieser Überlegungen zeigt Eugen Biser überzeugend, daß das Christentum keine asketische, sondern eine mystische Religion der inneren Erfahrung ist und als solche therapeutische Funktion hat. Mit der Überwindung der Angst vor Gott überwindet Christsein auch die Todesangst und beantwortet dadurch die den Menschen ständig bedrängende und sein Dasein belastende Sinnfrage. Eugen Biser versteht die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus als Antwort auf die existentielle Not des Menschen und darin als sinnvermittelnde Heilstat. Diese in sich schlüssige Deutung von Christsein hat, soll sie nicht in sich selbst zusammenbrechen, eine unverzichtbare Voraussetzung: die Auferstehung Jesu als das zentrale Heils- und Glaubensereignis, und zwar verstanden als „Auferstehung in die Herzen der Seinen".
In traditionskritischer Rückbesinnung auf die Mitte und den Ursprung des Christentums hat Eugen Biser Fehlentwicklungen namhaft gemacht, die schwerwiegende Konsequenzen hatten und auch fü die aktuelle Krise des Christentums mitverantwortlich sind. In Auseinandersetzung mit den großen Christentumskritikern des 19. Jahrhunderts, insbesondere mit Friedrich Nietzsche, sowie dem anonymen Atheismus der Gegenwart hat Eugen Biser zu seinem Ansatz gefunden. In der Rückwendung auf die Mitte des Evangeliums hat er die Wirklichkeit von Christsein neu entdeckt und in seiner Theologie unter verschiedenen Gesichtspunkten reflektiert. Er selbst sprach von seiner „Neuen Theologie" oder der „Theologie der Zukunft". Aus seinem Gesamtwerk ergeben sich Konsequenzen von großer Tragweite. In erster Linie ist davon das Lehrgebäude der Kirche betroffen, aber auch das Verständnis der Strukturen der Kirche selbst muß von seinem Ursprung her befragt und einer kritischen Prüfung unterzogen werden.
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Eugen Biser hat sich selbst und die Wirkungsgeschichte seines Werks folgendermaßen charakterisiert: „Ich bin kein Revolutionär, aber ich bin der Meinung, daß die Kirche, im besten Sinne des Wortes, durch eine größere Wahrheit, nämlich die ursprüngliche Wahrheit, unterwandert werden muß, und daß das Gebäude der Kirche, um dieser Wahrheit Rechnung zu tragen, irgendwann nachgeben muß, um so diese Wahrheit zur Geltung kommen zu lassen." Das Grundanliegen seiner Theologie besteht darin, das Zentrum der christlichen Botschaft wieder zu entdecken mit dem Ziel, diese Botschaft aufs Neue als Kunde von der „Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes" zur Geltung zu bringen.

 

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