3.4.16

 

Die „Generation Beziehungsunfähig“

Autor Michael Nast beschreibt in seinem Buch eine Generation, die sich nicht festlegen will. 

Darin schreibt er über selbstbezogene junge Erwachsene, die vor lauter Selbstverwirklichungsdrang nicht mehr zueinander finden.

Im vergangenen Jahr hatte Nast einen Artikel über die „Generation Beziehungsunfähig“ geschrieben, der ihm zufolge drei Millionen Leser im Netz fand. Darauf baute er sein Buch auf. Fast täglich hält Nast Lesungen.

Was Nast schildert, sind keine neuen Erkenntnisse. Unzählige Autoren haben diese Themen bereits durchgekaut. Auch Bücher über die Generationen „Golf“, „X“, „Y“ etc. sind ein alter Hut. Dennoch trifft der Autor offenbar genau das Lebensgefühl seiner Leser(innen).

„Ich schreibe nicht von oben herab, sondern aus der Generation heraus“, erklärt Nast seinen Erfolg. Sein Buch will er nicht als Beziehungsratgeber verstanden wissen. Vielmehr beschreibe er einfach nur einen Zustand, sagt er. „Die Leute denken dadurch über ihr Leben nach.“

Michael Nast

Eine ganze Generation sehnt sich heute nach einer engen, stabilen Bindung. Aber den meisten fällt es schwer, sich auf einen Partner einzulassen. Denn der muss das eigene Ich beflügeln, zunehmend perfekt sein und ins Lebenskonzept passen. Ist die Liebe noch zu retten?


Wer sich auf sich selbst beschränkt, verpasst die Liebe. So steht es in dem Buch von Michael Nast, aus dem er derzeit liest, in Bonn, Hannover oder Düsseldorf, vor mehr als tausend Menschen. "Generation beziehungsunfähig" ist der Titel dieses Buches, das ein Bestseller geworden ist. Nast, der sein Buch eine belletristische Beobachtung nennt, liest vor, was er gesehen und gehört hat. Etwa den Satz, mit dem ein Bekannter sich von seiner Freundin getrennt hat: "Ich will jetzt noch mal so richtig durchstarten, und du bist nicht die richtige Frau dafür."
In Anekdoten verpackt liest der Autor und Blogger, wie das Streben nach einem perfekten Leben Beziehungen zu Begleiterscheinungen degradiert, die das eigene Fortkommen gern befördern, aber nicht behindern dürfen. Die keine Arbeit machen sollen, keine Probleme. Nast liest vor, wie so die Beständigkeit aus Partnerschaften verschwindet und einer chronischen Unverbindlichkeit Platz macht. Die Generation beziehungsunfähig habe vor allem ein Gefühl: dass es immer noch etwas geben könnte, was das Leben besser macht. Dass es immer noch einen Partner geben könnte, irgendwo da draußen, der doch besser passt. Das Buch von Michael Nast hat einen Nerv getroffen. Eine Kolumne über Beziehungsunfähigkeit, die er online veröffentlichte, lasen Millionen. Es waren so viele, dass der Server mehrfach zusammenbrach. Nast bekam Tausende Mails von Menschen, die sich endlich verstanden fühlten, von Teenies bis hin zu Leuten in seinem Alter, um die 40. Ganz normale Leute, Singles und Menschen in Beziehungen, aus der Stadt genauso wie vom Land. "Meine Texte sind ein Spiegel", sagt er. "Extrem viele Leute halten sich oder ihr Umfeld für beziehungsunfähig." Doch ganz so stimmt diese Selbsteinschätzung nicht. Laut Wissenschaftlern gibt es eine große Sehnsucht nach der klassischen stabilen, tragfähigen Partnerschaft. Nur die Ansprüche an eine Beziehung, sowohl an das, was sie leisten soll, als auch die Art, sie zu führen, das alles hat sich sehr wohl deutlich verändert. Ihre Funktion im Leben ist eine andere geworden, sie muss mehr können, als nur Sicherheit zu bieten. Man führt eine Beziehung nicht mehr, weil man sich darin wohlfühlt. Man führt sie, weil sie einem nützt. Eine Beziehung ist etwas, das man sich leistet, wenn sie gut ist. Damit sind Partnerschaften auch Teil des Optimierungswahns. Gesucht wird der perfekte Partner, und die Auswahl ist Dank des Internets riesig.

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Interview


Offenbar trifft der 41-jährige Michael Nast mit seiner Diagnose ins Schwarze: Sein Buch «Generation beziehungsunfähig» steht seit fünf Wochen auf Platz 1 der «Spiegel»-Bestsellerliste. Der Berliner sinniert darin über die Gründe, weshalb heute so viele Menschen in un verbindlichen Zwischenbeziehungen stecken bleiben und warum uns der Selbstoptimierungswahn nicht unbedingt zu besseren Liebespartnern macht.

Herr Nast, wer ist die Generation beziehungsunfähig?
Michael Nast: Als ich vor einem Jahr einen Blogeintrag mit diesem Titel veröffentlicht habe, dachte ich, dass es sich vor allem um mein Umfeld handelt, also um relativ wenig Menschen zwischen 25 und 35, die in Medien­berufen arbeiten. Doch dann wurde der Blog von Millionen von Menschen angeklickt, und ich habe Tausende E-Mails bekommen.
Was haben Ihnen die Leute geschrieben?
Viele meinten, dass sie entweder ihr Umfeld oder sich selbst für beziehungsunfähig halten. Es waren Menschen zwischen 15 und 50 Jahren. Offenbar handelt es sich also um eine allgemeine Befindlichkeit. Allerdings hatte ich in jenem Blog nicht die Absicht, ein Krankheitsbild auf eine ganze Generation zu legen.
Was genau verstehen Sie unter beziehungsunfähig?
Es gibt den schönen Satz: Heutzutage beendet man eine Beziehung, bevor die Liebe überhaupt beginnen kann. Das klingt drastisch, aber offenbar haben viele Leute Angst, sich zu öffnen, weil sie dadurch riskieren, verletzt oder auf ihrem Weg negativ beeinflusst zu werden.
Negativ beeinflusst?
Heute ist unser Leben in erster Linie Ausdruck unseres Egos. Ob ich mich vegan ernähre, eine bestimmte hippe Teesorte trinke, in welcher Bar ich verkehre, all das sind Statements, aus denen viele von uns ihr Leben zusammenstellen. Das betrifft auch Menschen, mit denen sie sich umgeben, und Liebespartner, mit denen sie zusammen sein wollen. Man denkt nicht mehr in einem Wir, wenn man mit jemandem zusammenkommt. Man überlegt primär: Wie passt der oder die zu meinem Leben?
Immerhin scheint Onlinedating die Suche nach dieser Art des «passenden» Partners sehr zu ­erleichtern.
Nicht unbedingt. Online haben Sie die grosse Herausforderung, dass die Auswahl an potenziellen Partnern, die noch besser zu Ihnen passen könnten, nie versiegt. Das Datingportal liefert täglich neue Vorschläge. Sobald die ersten Abweichungen von Ihrem Idealbild des Partners auftauchen, können Sie Ihr Glück beim nächsten Kandidaten suchen. Wozu also sollten Sie sich da noch auf einen Menschen einlassen? Onlinedating fördert vor allem eines: die Unverbindlichkeit.
Aber den meisten ist doch klar, dass diese Unverbindlichkeit auf Dauer nicht befriedigen kann.
Da bin ich mir nicht sicher. Wir sind eine Konsumgesellschaft. Unser Wirtschaftssystem ist auf unendliches Wachstum ausgerichtet. Kleiderstücke werden heute so produziert, dass sie eine Saison lang halten. Und genauso gehen wir heute mit Menschen um. Die Dating-Apps sind wie Onlineshops aufgebaut, und wir werden immer mehr zu Konsumenten, auch im zwischenmenschlichen Bereich. Allerdings ist Konsum kein nachhaltiges Erlebnis. Deshalb brauchen wir immer etwas Neues und Besseres.
Bei Umfragen sind aber Werte wie Sicherheit, Intimität und Treue nach wie vor zuoberst auf der Wunschliste, wenn es um Beziehungen geht.
Und doch ist die gelebte Realität sehr oft eine andere. Ich befasse mich mit dem Thema Beziehungen vor allem als Beobachter, und ich stelle fest, dass viele Leute zwischen zwei Leben hängen, zwischen der Vergangenheit und dem Idealbild der Zukunft mit dem perfekten Partner. Leider richten sich sehr viele in diesem unverbindlichen Zwischenleben viel länger ein, als sie wollten. Das Warten wird zum Normalzustand. Frauen sagen mir an Lesungen oft, dass sie von Männern enttäuscht sind, weil diese überhaupt nicht mehr greifbar sind.
Nicht greifbar?
Sie treffen keine Entscheidungen, sie weichen aus, wenn Frauen wissen wollen, was es denn genau sei, was sie da miteinander hätten. In der Kennenlernphase trauen sich viele inzwischen gar nicht mehr, solche grundlegenden Fragen zu stellen, um die andere Person nicht einzuengen. Deshalb werden nun auch neue Beziehungskonzepte erfunden, damit die Leute das, was sie miteinander haben, etikettieren können.

An welche Beziehungskonzepte denken Sie?
Ein Modewort ist ja der Mingle – eine Kreation aus «mixed» und «single». Beim Mingle-Konzept entscheiden sich zwei Singles, eine Beziehung zu führen, aber eigentlich bleibt ihr Status Single. Sprich: Sie gehen miteinander aus, schlafen miteinander, fahren gemeinsam in die Ferien, aber sie haben keine Verpflichtungen dem anderen gegenüber. Leider wird das komplett missverstanden: Die Leute nennen sich ­Mingle, wenn sie in der Kennenlernphase sind und keiner mehr zu fragen wagt, obs dem anderen nun ernst ist. Beide sind dann beruhigt, und man kann gemütlich weitermachen.

Wo ist also das Problem?
Einer von beiden wird früher oder später verletzt, weil er oder sie sich mehr erhofft. Leiden werden darunter beide. Ich sehe in meinem Umfeld, dass die meisten von diesen beziehungsmässigen Zwischenlösungen eben doch enttäuscht sind. Und ich kenne Leute, die verkrampft stolz von sich sagen: «Ich bin beziehungsunfähig» oder «Ich bin ein ­Mingle». Hinter all diesen hippen Labels verbergen sich meiner Meinung nach aber Menschen, die schon aufgegeben haben, die an ihren Ansprüchen verzweifelt sind.

Welchen Einfluss haben soziale Medien auf unsere Bindungs­fähigkeit?
Soziale Medien befeuern das omnipräsente Streben nach Selbstoptimierung. Auf sozialen Medien inszenieren wir uns selbst und betrachten die idealisierten Ichs anderer. Wir leben immer mehr in Perfektionsbildern. Wir sind Popstars unserer selbst.
Was stört Sie daran?

Ich finde es bedenklich, dass die Jüngeren auf sozialen Medien immer mehr eine Rolle kultivieren, aus der sie ihren gesamten Selbstwert beziehen. Wenn ein Mädchen bearbeitete Fotos von sich auf Instagram hochlädt, dann ist ihr Freundeskreis ja nicht wirklich ein Freundeskreis, sondern ein Publikum. Die Statussymbole der heutigen Zeit sind die Anzahl Follower, Abonnenten und Likes.
Was bedeutet das auf die Liebe übertragen?

Dass auch die Liebe sehr narzisstisch geworden ist. Es geht gar nicht wirklich um den anderen, es geht um uns selber, dass wir von anderen wahrgenommen werden. Gleichzeitig idealisieren wir viel mehr als früher. Mir ist aufgefallen, dass viele Menschen wochenlang auf Whatsapp chatten, ohne je miteinander telefoniert, geschweige denn sich getroffen zu haben. In so einem Chat entsteht eine Vertrautheit, bei der manche das Gefühl haben, sie seien kurz davor, zusammenzukommen. Und dann begegnet man sich, und es ist, als würden sich zwei völlig Fremde gegenüber­sitzen. Das hat mir kürzlich ein 17-Jähriger erzählt. Er konnte überhaupt nicht verstehen, was da passiert ist.

Blog

 Ich kenne nicht wenige Leute, die den Impuls spüren, ihr Leben zu ändern. Denen es nicht unbedingt schlecht geht, aber eben leider auch nicht gut. Eigentlich haben sie andere Pläne. Eigentlich! Es sind „eigentlich“-Sätze, mit denen sie ihr Leben beschreiben. Ein Gefühl, das mir nicht fremd ist.
Die meisten kennen sicherlich das Gefühl, noch einmal neu anfangen zu wollen. Auszubrechen. Seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Man blickt auf sein Leben und fragt sich: „War's das? Soll es das gewesen sein? Bin ich der Mensch, der ich eigentlich sein wollte?“ Es sind Momente, in denen man begreift, dass man seine Träume in den letzten Jahren irgendwie aus den Augen verloren hat. Ganz unbemerkt.

Mit unseren Träumen ist es ja so eine Sache. Jeder träumt davon, erfolgreich zu sein, etwas Bedeutendes schaffen, etwas zu hinterlassen. Man will der Welt etwas hinzufügen.
Wir sind auch alle ein wenig degeneriert, weil wir ja durch das Fernsehen in dem Glauben aufgezogen, dass wir alle mal Millionäre werden, Filmgötter oder Rockstars. Das sagt zumindest Brad Pitt zu Edward Norton in dem wunderbaren Film „Fight Club“. Dann fügt er hinzu: „Werden wir aber nicht – und das wird uns langsam klar!“

Wir interpretieren und interpretieren und interpretieren

Einmal habe ich in der Sesamstraße eine Episode gesehen, die mich damals schon beeindruckt hat. Ich weiß gar nicht mehr, ob Ernie oder Grobi die Hauptfigur war, aber das ist auch gar nicht so wichtig. Beeindruckt hat mich die tiefe Wahrheit der Episode. Sie ist mir auch heute noch nah.
Ernie steht gutgelaunt vor der Wohnungstür eines Freundes, mit dem er verabredet ist. Er klingelt, doch sein Freund öffnet nicht. Er klingelt immer wieder, während er laut überlegt, warum sein Freund ihre Verabredung nicht eingehalten hat. Er stellt immer neue Hypothesen auf. Seine Gedankengänge werden immer absurder, sie verselbstständigen sich. Er hinterfragt ihre Freundschaft und kommt zu immer neuen, immer negativeren Schlussfolgerungen, bis sie nur noch ein einziger großer Vorwurf sind. Ernies Freund scheint irgendwann nur noch ein ziemlicher Arsch zu sein. Als sein Freund dann endlich doch die Tür öffnet, entlädt sich Ernies Wut, er brüllt ihn an, kündigt ihm die Freundschaft und verlässt die Szene, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Freund blickt ihm ratlos nach. Er begreift nicht, was hier gerade passiert ist.


Video (Buchtrailer)    MDR 


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