15.1.17
Die vier Krankheiten des Kapitalismus
Die größte Sorge der Elite sind fallende Börsenkurse -
normalerweise. Doch beim Wirtschaftsforum in Davos ist 2017 alles
anders. Was Manager und Politiker diesmal umtreibt, ist viel schlimmer.
Schon bemerkenswert: Über Jahre sorgten sich die Top-Leute vor allem um die Weltwirtschaft selbst. Inzwischen jedoch, so die Umfragen des WEF, fürchten sie sich vor den Folgen des Wirtschaftens. Seit 2011 stehen regelmäßig die Einkommensungleichheit und der Klimawandel ganz oben auf der Agenda. Und eben auch die wacklige geopolitische Lage - kaum verwunderlich angesichts eines US-Präsidenten (der am Freitag offiziell ins Amt eingeführt wird), der Zweifel an der Rolle der USA als Schutzmacht in Europa und Asien aufkommen lässt und damit Spekulationen über ein neues Wettrüsten schürt.
Die Umfragen zeigen, dass die Wirtschaftselite inzwischen erkennt, dass es nicht weitergeht wie bisher. Die Weltwirtschaft steckt in einer Sackgasse. Herauskommen kann sie nur mit einem kollektiven Kraftakt. Doch der ist nicht in Sicht. Rund um den Erdball begibt sich die Politik wieder auf nationale Alleingänge, die letztlich in die Irre führen.
Wie kaputt ist der globale Kapitalismus? Vier Faktoren spielen zusammen: Wirtschaft, Sicherheit, Umwelt und Demografie.
So düster das Problemszenario wirken mag: Die Auswege sind offensichtlich. Erforderlich wäre eine neue Stufe der internationalen Zusammenarbeit. Ein weltweiter Schuldendeal dürfte machbar sein. Die erforderlichen Investitionen in eine klimaschonende Energie- und Verkehrsinfrastruktur böten die Chancen auf einen nachhaltigen Wachstumsschub. Eine neue globale Sicherheitsarchitektur könnte zumindest das erhöhte Risiko bewaffneter Großkonflikte eindämmen. Die Geburtenzahlen könnten rasch sinken, so dass die Menschheit zur Mitte dieses Jahrhunderts zu wachsen aufhören und der demografische Stress nachlassen würde.
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Schon bemerkenswert: Über Jahre sorgten sich die Top-Leute vor allem um die Weltwirtschaft selbst. Inzwischen jedoch, so die Umfragen des WEF, fürchten sie sich vor den Folgen des Wirtschaftens. Seit 2011 stehen regelmäßig die Einkommensungleichheit und der Klimawandel ganz oben auf der Agenda. Und eben auch die wacklige geopolitische Lage - kaum verwunderlich angesichts eines US-Präsidenten (der am Freitag offiziell ins Amt eingeführt wird), der Zweifel an der Rolle der USA als Schutzmacht in Europa und Asien aufkommen lässt und damit Spekulationen über ein neues Wettrüsten schürt.
Die Umfragen zeigen, dass die Wirtschaftselite inzwischen erkennt, dass es nicht weitergeht wie bisher. Die Weltwirtschaft steckt in einer Sackgasse. Herauskommen kann sie nur mit einem kollektiven Kraftakt. Doch der ist nicht in Sicht. Rund um den Erdball begibt sich die Politik wieder auf nationale Alleingänge, die letztlich in die Irre führen.
- Die
Weltwirtschaft produziert nicht mehr die gewohnten
Wohlstandszuwächse vergangener Jahrzehnte. Deshalb werden die
Verteilungskämpfe schärfer - innerhalb von Gesellschaften, zwischen
Kulturen und Religionen, zwischen Staaten. Weltweit gesehen steigen die
Schulden von Unternehmen, Bürgern und Staaten immer noch weiter.
Deutschland ist die einzige große Volkswirtschaft, die Überschüsse im
Staatshaushalt ausweist, weshalb die Große Koalition nun über die
Verwendung von Haushaltsüberschüssen streitet.
Global ergibt sich ein anderes Bild: Bei 140 Billionen Dollar liegen die Verbindlichkeiten inzwischen, mehr als das Doppelte des globalen Sozialprodukts hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich kalkuliert. Die Folgen der Schuldenlogik sind Finanzlabilität, zumal in den Schwellenländern (achten Sie auf die Türkei, die derzeit auf eine Währungskrise zusteuert, und auf Mexiko, wo Trumps wirtschaftspolitische Ankündigungen bereits jetzt einen Verfall des Pesos und steigende Inflation ausgelöst haben), schwaches Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, zumal in Europa.
Notdürftig stabilisiert wird das Finanzkartenhaus bislang durch die freigiebige Politik der Notenbanken. Doch die angekündigten Zinserhöhungen in den USA haben das Zeug, Schuldner in aller Welt in die Bredouille zu bringen. Neue Hinweise darauf, inwieweit sich die Europäische Zentralbank (EZB) dem Trend zu Zinserhöhungen entgegenzustellen vermag, wird EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag nach der EZB-Ratssitzung geben. Eigentlich bräuchte es einen koordinierten Plan zum weltweiten Schuldenabbau. Aber davon ist nichts zu sehen.
- Zu dem Problemszenario, das in Davos eine Rolle spielen wird, gehört auch die
weltweite Sicherheitslage
. Die Bedrohung kommt nicht nur von international agierenden
Terrorgruppen wie dem "Islamischen Staat". Auch die internationale
Sicherheitsarchitektur gerät ins Wanken.
Während der neue US-Präsident offen lässt, inwieweit er sich an bestehende Bündnisse gebunden fühlt, verschärft sich das Ringen um Macht und Einflusssphären. China und Russland weiten ihre Aktionsradien aus. Es passt ins Bild, dass Chinas Präsident Xi Jinping dieses Jahr das Weltwirtschaftsforum mit einer Rede eröffnen wird. Politische Schwergewichte aus dem Westen hingegen machen sich rar.
- Das
Weltklima verändert sich spürbar, ein Prozess, bei dem viele
auf der Verliererseite enden werden. Wasserknappheit und Ernteausfälle
bedrohen gerade jene Gebiete, die die größten Bevölkerungszuwächse
aufweisen. Der Klimagipfel von Paris Ende 2015 hat beschlossen, die
Nutzung von fossilen Brennstoffen langfristig zu beenden, um einen
ökologischen Zusammenbruch des Planeten zu verhindern. Das wäre möglich,
aber nur, wenn die Menschheit bisher unbekannte Effizienzsprünge
vollführt.
Um das Sieben- bis Achtfache müsste die Klimaintensität des Wirtschaftens in den kommenden 35 Jahren zurückgehen, kalkuliert der britische Ökonom Nicholas Stern. Wie dieses große Ziel erreicht werden kann, ist unklar. Nationale Regierungen und Parlamente sind hoffnungslos überfordert, wenn sie sich um globale Emissionsziele kümmern sollen.
- Die
Weltbevölkerung wächst weiter, aber regional höchst
ungleichmäßig, sie ist besser informiert und wird immer mobiler.
Migrationsströme und die damit verbundenen kulturellen Reibungen nehmen
deshalb zu - innerhalb von Gesellschaften, zwischen Staaten, zwischen
Kontinenten. Sollte das Bevölkerungswachstum gerade in den ärmsten
Ländern nicht wie erhofft abflachen, droht in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts eine dramatische Zuspitzung.
Würden die Geburtenziffern auf heutigem Niveau verharren, leben im Jahr 2050 knapp 11 Milliarden Menschen auf der Erde, wie Vorausberechnungen der Vereinten Nationen zeigen. Bis 2100 würde die Bevölkerungszahl auf weit mehr als 20 Milliarden anwachsen. Dass die natürlichen Ressourcen genügen sollten, um eine so große Zahl von Menschen auch nur halbwegs hinreichend zu ernähren, ist aus heutiger Sicht unvorstellbar.
So düster das Problemszenario wirken mag: Die Auswege sind offensichtlich. Erforderlich wäre eine neue Stufe der internationalen Zusammenarbeit. Ein weltweiter Schuldendeal dürfte machbar sein. Die erforderlichen Investitionen in eine klimaschonende Energie- und Verkehrsinfrastruktur böten die Chancen auf einen nachhaltigen Wachstumsschub. Eine neue globale Sicherheitsarchitektur könnte zumindest das erhöhte Risiko bewaffneter Großkonflikte eindämmen. Die Geburtenzahlen könnten rasch sinken, so dass die Menschheit zur Mitte dieses Jahrhunderts zu wachsen aufhören und der demografische Stress nachlassen würde.
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