5.12.17
Erstmals Hochaltrigenstudie in Österreich
Das Bild von hochaltrigen Menschen in Österreich muss neu gedacht werden
Das öffentliche Bild hochaltriger Menschen und die Einstellung zu ihnen
zu korrigieren, hat sich die Gesundheits- und Sozialpolitik zum Ziel
gesetzt. Die Basis dafür liefert die erste Österreichische
Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie (ÖIHS), die gängige
gesellschaftliche Klischees widerlegt. Hohes Alter ist demnach
keineswegs nur mit Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit, sondern sehr
wohl auch mit Selbstbestimmung und Vitalität verbunden.
"Die
Gruppe der hochaltrigen Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten
signifikant zunehmen. Laut Eurostat wird sich der Anteil von Menschen
über dem 80. Lebensjahr in Europa bis 2030 fast verdoppeln", erläutert
Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. "Ich sehe es als Aufgabe der
Gesundheitspolitik, für die steigende Zahl der hochaltrigen Personen in
Österreich notwendige gesundheitspolitische Strategien zu entwickeln",
so Oberhauser weiter.
410 Personen zwischen 80 und 85 Jahren befragt
Die
Österreichische Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie (ÖIHS) untersucht
erstmals in Österreich die Gesundheits-, Lebens- und Betreuungssituation
hochaltriger Menschen. Trotz zunehmender demografischer und
gesundheitspolitischer Relevanz liegen bis dato nur sehr wenige Daten
vor. Die Studie ist ein Kooperationsprojekt, das vom Bundesministerium
für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, dem Bundesministerium für
Gesundheit, dem Ressorts für Wissenschaft & Forschung, Gesundheit
und Pflegemanagement des Landes Steiermark und dem Hauptverband der
österreichischen Sozialversicherungsträger finanziert und von der
Österreichischen Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen (ÖPIA)
durchgeführt wurde. Befragt wurden 410 Personen in Wien und in der
Steiermark im Alter zwischen 80 und 85 Jahren.
"Nicht
das Altern ist das Problem unserer Zeit, sondern unsere Einstellung
dazu", betont Mag. Christopher Drexler, Landesrat für Wissenschaft und
Gesundheit in der Steiermark. "Wir haben diese Studie in ihrer
Pilotphase seitens des Landes Steiermark bewusst unterstützt, da
erstmals die Lebenswelt der Hochaltrigen nicht nur wissenschaftlich
beleuchtet wird, sondern die betroffene Zielgruppe direkt eingebunden
wurde. Dieser Umstand und diese Herangehensweise haben derzeit
sicherlich noch hohen Ausnahmecharakter. Dadurch sind die Ergebnisse und
Erkenntnisse für unsere zukünftigen strategischen Planungen von enormer
Wichtigkeit. Die Altersgrenzen werden ‚verrückt‘, das ist die Sachlage
und wir haben die Verantwortung ein lebendiges, dichtes
Unterstützungsnetzwerk für künftige Generationen zu knüpfen, heute für
morgen", so Drexler weiter.
Selbstbestimmung, Teilhabe und Gesundheit
Mit
den gewonnenen Daten sollen Bund, Länder und Gemeinden sowie private
Dienstleister in ihren Entscheidungen und in der Entwicklung von
Maßnahmen unterstützt werden. Ziel ist es, die Selbstbestimmung,
Teilhabe und Gesundheit bis in das höchste Alter zu sichern. Die Studie
zeigt bemerkenswerte Ressourcen im Leben hochaltriger Menschen. Im
Widerspruch zu gängigen gesellschaftlichen Altersbildern, in denen
Hochaltrigkeit hauptsächlich mit körperlichem und kognitivem Verfall
sowie mit Pflegebedürftigkeit verbunden wird, befinden sich viele Frauen
und Männer über 80 Jahre immer noch in relativ guter gesundheitlicher
und körperlicher Verfassung und führen ein recht aktives Leben ohne
nennenswerten Hilfe- oder Pflegebedarf.
Das
gesellschaftliche Bild von Hochaltrigkeit erweist sich eindeutig als zu
negativ und entspricht der Lebenssituation vieler hochaltriger Menschen
nicht. Um die Ressourcen hochaltriger Menschen zu erhalten und zu
stärken, braucht es zukünftig soziale, gesundheitliche und
bildungsbezogene Strategien, die darauf zielen, bestehende Kompetenzen
möglichst lange zu erhalten.
Hohe Lebenszufriedenheit, ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein
Auch
zeigt die Studie eine überwiegend hohe Lebenszufriedenheit unter den
hochaltrigen Menschen. Mehr als drei Viertel der Befragten geben an, mit
ihrer Lebenssituation insgesamt zufrieden oder sogar sehr zufrieden zu
sein. "Die Ergebnisse der Studie sind für die Sozialversicherung eine
wichtige Grundlage für den weiteren Ausbau von Maßnahmen zur Stärkung
der Gesundheit von älteren Menschen. Positiv ist dabei, dass hochbetagte
Menschen ein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein und eine hohe
Motivation besitzen, die eigene Gesundheit zu erhalten. Überdies müssen
wir auch das vorherrschende Bild von älteren Menschen grundsätzlich
überdenken und die Potenziale besser nutzen. Im Rahmen des Schwerpunkts
Seniorengesundheit werden wir unseren Beitrag für ein längeres
selbstbestimmtes Leben bei guter Gesundheit leisten", hält Mag. Peter
McDonald, Vorstandsvorsitzender im Hauptverband der österreichischen
Sozialversicherungsträger fest.
Gleichzeitig
gibt es eine Gruppe hochaltriger Menschen, die bereits in
unterschiedlich hohem Ausmaß von Gesundheits- und
Funktionseinschränkungen betroffen und infolgedessen auf Hilfe im Alltag
oder körperliche Pflege angewiesen sind. Darüber hinaus deuten die
Studienergebnisse auf eine steigende Wahrscheinlichkeit für
altersassoziierte Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit mit weiter
zunehmendem Alter hin. Es gibt Hinweise auf eine wachsende emotionale
Verletzlichkeit - vor allem bei chronischen Schmerzzuständen, bei
Pflegebedürftigkeit, bei stärkeren kognitiven Einbußen und beim Verlust
nahestehender Menschen.
"Angesichts
dieser enormen Heterogenität", so die ÖIHS-Studienleiter Dr. med. Georg
Ruppe und Mag. Andreas Stückler, "erfordert das hohe Lebensalter
entsprechend differenzierte Zugänge und Angebote. Verallgemeinernde
Sichtweisen zu den Lebensumständen, den gesundheitlichen Verhältnissen
oder Bedürfnissen hochaltriger Menschen erweisen sich als irreführend."
Vielfalt der Lebenskonzepte und Alltagsgestaltungen
Insgesamt
kann festgestellt werden, dass Merkmale der physischen, psychischen und
kognitiven Gesundheit, des individuellen Lebensstils, der sozialen
Netzwerke und der finanziellen Situation in der Gruppe der hochaltrigen
Menschen in einer engen Wechselwirkung stehen. Daher sollte bei der
Entwicklung von Interventionsstrategien ein möglichst umfassender und
ganzheitlicher Ansatz gewählt werden. Auch biografische Merkmale spielen
eine große Rolle, weshalb schon früh im Lebenslauf präventive
Strategien entwickelt gehören, die sich positiv auf Lebensqualität,
Kompetenz und Teilhabe im hohen und sehr hohen Alter auswirken.
"Zu
den interessantesten Studienergebnissen gehört für mich die große
Vielfalt der Lebenskonzepte und Alltagsgestaltungen hochaltriger
Menschen. Als Sozialminister gehe ich davon aus, dass diese Vielfalt
zunehmen wird. Daher will ich auch weiterhin Maßnahmen und Initiativen
unterstützen, die den Diskurs zur Hochaltrigkeit vorantreiben und die
Lebensqualität der älteren und hochbetagten Menschen zum Ziel haben",
hält Sozialminister Rudolf Hundstorfer abschließend fest.
Die
Österreichische Interdisziplinäre Hochaltrigenstudie ist als nationale
Längsschnittstudie konzipiert, die in den kommenden Jahren schrittweise
ausgeweitet wird. Die Studie ist unter www.oepia.at verfügbar.Mehr
ÖPIA ist die Österreichische Plattform für Interdisziplinäre Alternsfragen
Sie wurde 2009 als nationale Wissenschaftsplattform von führenden österreichischen WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen gegründet, die sich mit Fragen des Alter(n)s und den Perspektiven der gesellschaftlichen Alterung befassen.
Seit 2016 koordiniert die ÖPIA im Auftrag des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) das nationale Netzwerk Altern,
Netzwerk Altern
Altern und demografischer Wandel als Herausforderung und Chance