26.6.18

 

Der göttliche Zweifel

Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt, äußert die Hauptfigur Raskolnikow in Dostojewskis Roman "Schuld und Sühne". Es ist der Satz, in dem sich Dostojewskis Ansicht von der Moderne zur Sentenz verdichtet. Raskolnikow wird durch seine Sühne den Weg zurück zu Gott finden.
In seinem letzen großen Roman "Die Brüder Karamasow" wird Dostojewski auf dieses Thema zurückkommen. Mit dem engelhaften Aljoscha hat er eine Figur geschaffen, die in Kontrast zu fast allen anderen Protagonisten im Roman steht, insbesondere zu seinem Vater, einem moralisch verkommenen Lebemann und Egoisten, dem Zerrbild eines ethisch ungebundenen Menschen, der wie die beiden anderen Söhne ein gottloses Leben führt.

Aljoscha ist schüchtern, er befindet sich im Zustand engelhafter Unschuld. Dadurch gewinnt er die Sympathie seiner Umwelt. Die ganze Hoffnung nach allem Glaubenszweifel liegt in der Figur Jesu Christi. Der charismatische junge Mann, der vor dem lasterhaften Leben des Vaters und seiner Generation ins Kloster flüchtet, ist als Wiedergänger Christi gezeichnet, der von der düster gezeichneten Gottlosigkeit der Zeit unberührt bleibt. Einer der frommen Männer bei Dostojewski spricht davon, dass selbst die Atheisten das Antlitz Christi in sich tragen und dass das göttliche Vorbild des Menschen wieder aufgerichtet werden kann.

Aljoscha, der irrende, zuweilen auch zweifelnde und strauchelnde, aber sich stets treue neue fromme Mensch, trägt dieses Antlitz Jesu in sich, er, der Boshaftigkeit und Sünde der Welt mit Sanftmut begegnet. Was Dostojewski, dem die Erfahrung des Todes Gottes nicht fremd war, vorschwebte, war eine innere Vision Gottes, die nicht auf dem Gesetz des Vaters, sondern auf dem des Sohnes beruht. Dostojewski zweifelt nicht an Gott, sondern an der Welt.

Ö1
 

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