6.6.20
Ein Wort trifft das Innere des Menschen
Auch wenn
Menschen heute einander noch nicht unbefangen wieder in die Arme nehmen können,
die Möglichkeit zum Hören und Reden bleibt, meint Stefan Gugerel, katholischer
Militärseelsorger
"Romulaner,
Kelten, Leute aus dem Amazonasgebiet und der Sahara, Zylonen, Ritter, Mongolen
und sogar Bewohner von Tuvalu, Narnia, dem Mars und Gotham City - alle können
sie in ihrer Sprache reden hören." Fabelwesen, Science-Fiction-Gestalten,
Menschen aus fernen Epochen der Geschichte und entlegenen Gegenden dieser Welt
- niemand ist ausgenommen.
In Zeiten
so vieler Stimmen und Expertisen, die in den sozialen Netzwerken kursieren, ist
ein Hinhören auf das christliche Pfingstfest ein entspannender Zwischenruf:
Nicht alle reden wirr durcheinander, sondern jede und jeder hört zu, denkt
nach, versteht und handelt dann - bei allem bleibenden Unterschied - mit den
anderen gemeinsam. So beschreibt es das Neue Testament: GEMEINSAM.
Kein noch
so hohes Gut - Gesundheit, Fortschritt, Menschenrechte, Weltfrieden, Gott - ist
in der Geschichte nicht schon als Motivation für Einschränkungen,
Gewaltanwendungen und Kriege missbraucht worden. Zumeist ging es darum, dass
Bestimmte wollten, dass nur IHRE Stimme gehört, IHRE Weltsicht geteilt und IHR
Wirtschafts- oder Wahlsystem angewandt wird.
Der
Pfingsttext aus der Apostelgeschichte beschreibt, wie zwölf ängstliche Männer
aus dem Gefolge Jesu plötzlich mutig auftreten, ihren Glauben bekennen und von
Vorbeigehenden verstanden werden. Die Erzählung nennt in ihrer
zungenbrecherischen Völkerliste nicht nur solche, die damals leben, sondern
auch solche, die damals schon in anderen Reichen aufgegangen waren. Für mich
bedeutet das: Die Botschaft des Christentums ist nicht nur einer elitären
Clique vorbehalten, einem Kultur- oder Sprachkreis, sie ist eine
Hoffnungszusage, die jede Grenze sprengt und selbst vor Zeit und Tod nicht halt
macht. Das kann jede und jeder verstehen.
Nicht
mehr die sichtbare Gestalt Jesu Christi, sondern die unsichtbare Kraft des
Heiligen Geistes wirkt. Das kann - auch mit Blick auf die Corona-Phase -
tröstlich sein, weil niemand auf einen bestimmten Ort, eine bestimmte Feierart
oder auf bestimmte Zeiten fixiert sein MUSS. Traditionen und Identifikationen
können helfen, aber sie sind Mittel zum Zweck. Das gilt für Kirche wie für
Staaten und Staatengemeinschaften wie für jede Familie. Neue Herausforderungen
erfordern auch das Verlassen alter Denkmuster, Freund-Feind-Schemata und
Verschwörungstheorien.
Dass
jeder Abschied von Vertrautem schwer ist, singt Shirley Bassey in ihrem Lied
"No good about goodbye", wo sie sagt, dass es "keinen Trost in
einer Umarmung, keine Tröstung in einem Kuss" gäbe. Physische Distanz ist
zur Zeit ein Gespenst, das durch unser Leben schleicht, aber auch hier bleibt:
Alle können sie in ihrer Sprache reden hören: Wo jede körperliche Berührung -
so schön sie auch ist - doch immer äußerlich bleibt, trifft ein Wort das Innere
des Menschen. Berührungen können aus gesundheitspolizeilichen Gründen untersagt
sein, ein liebevolles Wort gesagt oder geschrieben in Brief, Email oder per
Telefon kann Nähe eröffnen, Gräben zuschütten, Brücken bauen.
Auch wenn
Menschen heute einander noch nicht unbefangen wieder in die Arme nehmen können,
die Möglichkeit zum Hören und Reden bleibt.