14.6.20
Eine Vollbremsung für die Welt
Die exponentielle Ausbreitung des Coronavirus ähnelt der immer
schneller werdenden Veränderung der Welt, meint Paul Sailer-Wlasits. In der nun verordneten gesellschaftliche Vollbremsung
ortet der Philosoph auch eine Chance zur Umkehr.
Wenn ungeordnete Bewegung und unvorhergesehene, bedrohliche Ereignisse mit ihrer kaum kontrollierbaren Geschwindigkeit auf zerbrechliche Systeme des Gleichgewichts und der Entwicklung treffen, bewirkt dieses Zusammenstoßen keine Fortsetzung evolutionärer Prozesse, sondern zieht disruptive, erratische Veränderungsprozesse nach sich: Chancen für einige, Katastrophen für viele.
Der niemals mehr versiegende digitale Neuheitenstrom mit seiner unaufhörlichen Verkürzung der Zeithorizonte macht auch und insbesondere vor sozialen Beziehungen nicht halt. Die Geschwindigkeitserhöhung „verkürzt“ Entfernungen, Ziele rücken näher, indem sich der zeitliche Abstand zu diesen verringert; doch selbst durch die völlige Beseitigung des Abstandes zum Ziel entsteht keine Nähe. Die Ferne als eine ihrem Wesen nach unörtliche Differenz bleibt unverändert bestehen, obwohl die Wegstrecke nachweislich verringert wurde.
Menschliche Nähe entsteht stets durch das Interpersonelle, niemals aufgrund von Abstandslosigkeit; daher ist die digitale Vernichtung der Distanz nur in unzureichendem Maße in der Lage, zwischenmenschliche Anteilnahme zu erhöhen. Uneigentlichkeit als Existenzform des dritten Jahrtausends wird sich im Unterschied zur kopernikanischen Wende nahezu unsichtbar, schleichend und unentrinnbar vollziehen. Spuren zu den Ursprüngen drohen in der digitalisierten Informationswelt verloren zu gehen, milliardenfach überschrieben und zu beliebigen Anfängen degradiert zu werden.
Sobald in Ausnahmesituationen der Entzug äußerer Sinnesreize zunimmt und der Stillstand geradezu mit Händen gegriffen werden kann, steigert sich die Last des weitgehenden Abhandenseins von Leben auf erbarmungslose Weise zur Unerbittlichkeit. Symptome der Belastung, von Langeweile über Widerwillen bis zur Depression lassen die Gefahr des Überdrusses, des Nicht-Ertragenkönnens von Stillstand wachsen.
Die zurzeit politisch verordnete gesamtgesellschaftliche Entschleunigung könnte – sieht man von der erheblichen Gefahr illiberale Tendenzen zu begünstigen ab – auch positive Langzeiteffekte nach sich ziehen. Bereits in der Vorstellung vom Danach der Krise, in einer wiedererlangten Ordnung der Welt nach der Instabilität, liegt mehr als nur allgemein formulierte Hoffnung. Es liegt darin ein besonderes Verweisen, das seinerseits auf ein Ziel, auf einen Zweck und einen Sinn deutet. Das Ende eines belastenden Zustandes kommt allmählich in Sicht und jene Argumente, welche die Krise stets als Chance für eine Wende bezeichnen, könnten die Oberhand behalten.
In einer unserer ältesten Prophetien, dem Buch Jesaja (Jes. 30, 15-16), findet sich eine gütige Aufforderung samt unmissverständlicher Warnung: „Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke.“ Diese Aufforderung beinhaltet drei Metaphern: Es gibt eine Chance, die Krise zu bewältigen: durch Umkehr.
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Wenn ungeordnete Bewegung und unvorhergesehene, bedrohliche Ereignisse mit ihrer kaum kontrollierbaren Geschwindigkeit auf zerbrechliche Systeme des Gleichgewichts und der Entwicklung treffen, bewirkt dieses Zusammenstoßen keine Fortsetzung evolutionärer Prozesse, sondern zieht disruptive, erratische Veränderungsprozesse nach sich: Chancen für einige, Katastrophen für viele.
Der niemals mehr versiegende digitale Neuheitenstrom mit seiner unaufhörlichen Verkürzung der Zeithorizonte macht auch und insbesondere vor sozialen Beziehungen nicht halt. Die Geschwindigkeitserhöhung „verkürzt“ Entfernungen, Ziele rücken näher, indem sich der zeitliche Abstand zu diesen verringert; doch selbst durch die völlige Beseitigung des Abstandes zum Ziel entsteht keine Nähe. Die Ferne als eine ihrem Wesen nach unörtliche Differenz bleibt unverändert bestehen, obwohl die Wegstrecke nachweislich verringert wurde.
Menschliche Nähe entsteht stets durch das Interpersonelle, niemals aufgrund von Abstandslosigkeit; daher ist die digitale Vernichtung der Distanz nur in unzureichendem Maße in der Lage, zwischenmenschliche Anteilnahme zu erhöhen. Uneigentlichkeit als Existenzform des dritten Jahrtausends wird sich im Unterschied zur kopernikanischen Wende nahezu unsichtbar, schleichend und unentrinnbar vollziehen. Spuren zu den Ursprüngen drohen in der digitalisierten Informationswelt verloren zu gehen, milliardenfach überschrieben und zu beliebigen Anfängen degradiert zu werden.
Sobald in Ausnahmesituationen der Entzug äußerer Sinnesreize zunimmt und der Stillstand geradezu mit Händen gegriffen werden kann, steigert sich die Last des weitgehenden Abhandenseins von Leben auf erbarmungslose Weise zur Unerbittlichkeit. Symptome der Belastung, von Langeweile über Widerwillen bis zur Depression lassen die Gefahr des Überdrusses, des Nicht-Ertragenkönnens von Stillstand wachsen.
Die zurzeit politisch verordnete gesamtgesellschaftliche Entschleunigung könnte – sieht man von der erheblichen Gefahr illiberale Tendenzen zu begünstigen ab – auch positive Langzeiteffekte nach sich ziehen. Bereits in der Vorstellung vom Danach der Krise, in einer wiedererlangten Ordnung der Welt nach der Instabilität, liegt mehr als nur allgemein formulierte Hoffnung. Es liegt darin ein besonderes Verweisen, das seinerseits auf ein Ziel, auf einen Zweck und einen Sinn deutet. Das Ende eines belastenden Zustandes kommt allmählich in Sicht und jene Argumente, welche die Krise stets als Chance für eine Wende bezeichnen, könnten die Oberhand behalten.
In einer unserer ältesten Prophetien, dem Buch Jesaja (Jes. 30, 15-16), findet sich eine gütige Aufforderung samt unmissverständlicher Warnung: „Durch Umkehr und durch Ruhe werdet ihr gerettet. In Stillsein und in Vertrauen ist eure Stärke.“ Diese Aufforderung beinhaltet drei Metaphern: Es gibt eine Chance, die Krise zu bewältigen: durch Umkehr.
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