18.1.16
Realitätsverweigerung ruiniert unsere Demokratie
Auch wenn
jetzt alle davon reden, man dürfe nichts „unter den Teppich kehren“. Der
so hochmoralische wie unehrliche Umgang mit der Flüchtlingsfrage droht
uns um die Ohren zu fliegen.
Die skandalösen Vorfälle der Silvesternacht in Köln,
Hamburg, Stuttgart und Bielefeld markieren eine Zäsur. Mit der Wucht
eines Tsunami kehrte die Realität zurück und fegte die Denk-, Sicht- und
Sprachbarrieren weg, die eine parteiübergreifende Gemeinde von
Politikern und selbst ernannten Meinungspolizisten rund um das
Problemfeld "Flüchtlinge" errichtet hatte.
Seit ein paar Tagen stimmen so gut wie alle Parteien und
die Talkshowdauergäste darin überein, es dürfe "nichts unter den
Teppich gekehrt werden", "alles müsse auf den Tisch", "die Täter, gleich
welcher Herkunft", müssten die "volle Härte des Gesetzes" spüren. Etwas
mehr Ehrlichkeit, sagte ein Minister, wäre vielleicht ein Anfang.
Allerdings hat es fünf Tage
gedauert, bis die Tatsachen ans Licht kamen. Die Pressestelle des
Polizeipräsidiums von Köln sprach zunächst von weitgehend "friedlich
verlaufenen Feiern" und einer "entspannten Einsatzlage".
Erst nachdem Hunderte von Anzeigen eingegangen waren,
die sexuelle Übergriffe und Taschendiebstähle zu Protokoll gaben, trat
der Polizeipräsident von Köln zurück. Die Frage bleibt, wer ihm die
Weisung zur Vertuschung gegeben hat. Waren es womöglich dieselben
Politiker, die jetzt sagen, es dürfe "nichts unter den Teppich gekehrt
werden"?
Leider kann ich nicht ganz an diese versöhnliche Bilanz glauben. Nicht erst seit dem Sommer letzten Jahres hatte sich eine Kultur des Wahrnehmens und des Sprechens hinter vorgehaltener Hand herausgebildet – und sie geht weiter. Unliebsame Tatsachen werden verdreht und einem rassistischen Weltbild zugeordnet, bevor sie erkannt und benannt sind.
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Kommentar:
Wenn der Flüchtlingsstrom in diesem Ausmaß mehrere Jahre weitergeht und das wird er, gibt's zwei Möglichkeiten: die totale kulturelle, soziale und wirtschaftliche Überforderung und damit Destabilisierung unserer Gesellschaft. Oder, im Falle einer ernsthaften und massiven Grenzsicherung, verzweifelte, verletzte und tote Flüchtlinge. Denn wenn Grenzsicherung wirksam sein soll kann man nicht tausende Flüchtlinge aus dem Mittelmeer herausfischen und erst recht nach Europa bringen, wo man sie nicht haben will und von wo sie nie wieder weg gehen. Menschlich wäre das eine Katastrophe. Möglichkeit 1 oder Möglichkeit 2? Pest oder Cholera?