5.2.16
TEILHARD DE CHARDIN
Als
einer der kühnsten Theologen des 20. Jahrhunderts
hat der französische Naturwissenschaftler und
Jesuit Pierre Teilhard de Chardin erstmals Forschung
und Anbetung zu einer Synthese gebracht, die sowohl
der Theologie als auch der Naturwissenschaft neue
Denkmodelle aufzeigt.
Jeder
Mensch prägt im Laufe seiner wechselvollen
Lebensgeschichte auch seine eigene religiöse
Biographie. Vorliegende Studie zeigt an der
konkreten Vita Pierre Teilhard de Chardins auf, wie
kohärent Theologie und Naturwissenschaft in einer
Biographie miteinander verwoben sein können und
leistet dadurch einen wichtigen Beitrag zur Überbrückung
der Kluft zwischen den Disziplinen und zum weiteren
Ausbau der noch jungen Biographieforschung.
Besonderen
Wert erhält die Studie durch die Präsentation des
facettenreichen aktuellen
Biographie-Forschungsstands von Soziologie,
Anthropologie und Theologie,
Entwicklungspsychologie, Geschichte, Biologie und
Genetik. Es ergibt sich ein disziplinübergreifendes
Selbstverständnis der Biographieforschung.
Dabei
handelt es sich um eine höchst aktuelle
praktisch-theologische Fragestellung. Vorliegende
lebensgeschichtliche Untersuchung lässt erstmals
ein biographisch-lebendiges Bild von der Dynamik
einer Persönlichkeit, die dem Leser zugleich als
"Sohn des Himmels" und als "Sohn der
Erde" begegnet, gewinnen. Sie hebt prägende
Elemente in dem seit Kopernikus anfanghaft, seit
Galilei verstärkt und seit Darwin dramatisch
angespanntem Verhältnis von Naturwissenschaft und
Glauben ans Licht.
"Seit Aristoteles hat man kaum aufgehört, die Gottes-'Modelle' vom Typ eines äußeren, von den Ursprüngen (von hinten - a retro) wirkenden ERSTEN BEWEGERS zu konstruieren. Seitdem in unserem Bewußtsein der 'evolutive Sinn' emergiert ist, ist es uns physisch nicht mehr möglich, etwas anderes als einen Gott, der der organische Erste Beweger der uns von vorn anzieht (ab ante) ist, uns vorzustellen oder anzubeten. Nur ein funktionell und totel 'Omega' seiender Gott kann uns von nun an zufriedenstellen. Wo aber sollen wir einen solchen Gott finden? Wer also wird der Evolution endlich Ihren Gott geben?"
Wie
können wir uns vorstellen und hoffen, dass sich auf Erden die
menschliche Einmütigkeit verwirklicht?
1950
(Paris) schrieb Teilhard
de Chardin einen Essay mit diesem Titel.
Er
fragt, ob es nicht trotz allen gegenseitigen Anscheins positive
Anzeichen gibt, "dass die Menschheit als Ganzes tatsächlich
auf dem Wege wirklicher Einmütigkeit ist." Gibt es
"in der Erfahrung bereits definierbare und spürbare
planetare Energien", "die unbezwinglich dahin streben,
die bestürzende Vielzahl von Milliarden denkender Bewußtheiten
einander näherzubringen und in sich zu organisieren"?
Er
beschreibt zwei Wirkformen, "die so universell in der uns
umflutenden menschlichen Atmosphäre verbreitet sind, daß wir häufig
Gefahr laufen, sie ebensowenig wie die Luft oder das Licht zu spüren-
und die doch so einhüllend und nah sind, daß ihnen keine
unserer Gebärden zu entgehen vermag."
a)
Geographische Krümmung
Die
menschliche Gruppe entwickelt sich auf der geschlossenen
Kugeloberfläche der Erde. Die wachsende Menschheit führt
dazu, "als ob sie auf einer sich ständig zusammenziehenden
Erde wachse, was zu einem immer heftigeren Zusammendrängung in
sich selbst führt. Das erste Ergebnis dieser furchtbaren
ethnischen Kompression ist offensichtlich, daß sie
unbezwinglich die Körper einander nähert. Doch diese
Verdichtung des menschlichen Stoffes, so materiell sie auch in
ihren Ursprüngen ist, hat tiefgreifende Folgen für die Seelen.
Denn um vital, 'bequem', auf den um sie herum steigenden Druck
zu antworten - um zu überleben und um gut zu leben -, reagiert
die Vielzahl der denkenden Wesen auf natürliche Weise, indem
sie sich wirtschaftlich und technisch bestmöglich in
sich selbst anordnet. "-
Und das führt sie schließlich dahin, sich um einen Grad mehr
in sich zu reflektieren - also das über zu entwickeln, was am
spezifischsten und höchsten menschlich in ihr ist." ...
"Durch
das brutale Wirken der planetaren Kompression erwärmt und
erhellt sich die menschliche Masse geistig."
b)
Geistige Krümmung
"Zunächst
denken, um zu überleben, dann leben, um zu denken: das erweist
sich als das grundlegende Gesetz der Anthropogenese. Doch
nachdem der Denkvorgang einmal ausgelöst ist, zeigt er ein außerordentliches
Vermögen, sich gleich einem Organismus fortzusetzen und
auszudehnen, den, nachdem er einmal entstanden ist, nichts mehr
davon abhalten kann, zu wachsen, sich auszubreiten und alles mit
seinem Netz zu umgeben."
"Das
physische reflektierte Milieu, in das wir eingetaucht sind, ist
von Natur aus so eingerichtet, daß wir in ihm nicht
fortbestehen können, ohne voranzuschreiten; und daß wir in ihm
nicht voranschreiten können, ohne uns einander zu nähern und
ohne uns einander zu unterstützen. Als ob all unser
individuelles Sich-Emporschwingen zu mehr Wahrheit im Innern
einer geschlossenen geistigen 'Kuppel' ablaufe,
deren Wände unsere Intelligenzen unerbittlich einander näher
bringen!"