5.2.16
Ursprung und Ziel der Theologie von Eugen Biser
Philosoph Richard
Heinzmann anläßlich des Festveranstaltung zum
90. Geburtstag von Eugen Biser in der Katholischen Akademie
Hier die wesentlichsten Aussagen in einer Zusammenfassung:
90. Geburtstag von Eugen Biser in der Katholischen Akademie
Hier die wesentlichsten Aussagen in einer Zusammenfassung:
I.
Eugen
Biser hat "ein ebenso weit ausgreifendes wie in die Tiefe gehendes
wissenschaftliches
Werk auf hohem spekulativem Niveau vorgelegt. "
Das
Werk von Eugen Biser
kann man "mit gutem Recht als
'Theologie der Zukunft'
bezeichnen."
Das
Unterscheidende und in die Zukunft Weisende der Theologie von Eugen Biser
ist, dass er
einen Neuansatz
präsentiert , "der den Ursprung,
und damit das Fundament, von Theologie und Christentum überhaupt
betrifft und der sich
deshalb auf Theorie und Praxis gleichermaßen auswirkt."
"Daß
ein solcher Neuansatz, ein solches Zurückgreifen auf den Ursprung,
erforderlich geworden
war, weist darauf hin, daß sich Theologie und Kirche im Laufe der
Jahrhunderte durch
heterogene philosophische Einflüsse ebenso wie durch innertheologische
Kontroversen, nicht zuletzt durch die Übernahme profaner Herrschaftsstrukturen,
zunehmend
von dem alleinigen und normativen Maßstab ihres
Ursprungs
wegbewegt haben. Dadurch
kam es zu einem ständig wachsenden Glaubens-
und Glaubwürdigkeitsverlust, der heute Gegenstand allgemeiner Irritation
ist."
"Nach
der Einschätzung von Eugen Biser erklärt sich ,die gegenwärtige Glaubens
und Kirchenkrise'
aus der mangelnden
Konzentration auf die Mitte des Christentums und
muß deshalb als 'Identitätskrise' verstanden werden (Einweisung, S. 11).
In
einer vergleichbaren Lage befindet sich der einzelne Mensch in seiner
konkreten, geschichtlich
bedingten Situation. Den sicheren Tod vor Augen, von der unausweichlichen
Frage nach dem Sinn seines Daseins bedrängt und der Angst
vor einem
ambivalenten Gott ausgesetzt,
steht er ständig in der Gefahr zu verzweifeln.
Der
Glaube, verstanden als ein Fürwahrhalten
von Sätzen,
bietet ihm keine Hilfe. In der
Gestalt einer zu akzeptierenden Lehre ist das Christentum nicht imstande,
auf existentielle
Probleme eine Antwort zu geben, im Gegenteil, es wird als eine zusätzliche
Fremdbestimmung und Belastung empfunden, durch die nun seinerseits
der Mensch in eine ausweglose Identitätsnot gerät."
"Die
Theologie von Eugen Biser verfolgt das Ziel, die
Offenbarung, die
Selbstmitteilung
Gottes, als Antwort
auf die Sinnfrage des Menschen
zu interpretieren,
eine Brücke zu schlagen zwischen der Heilsbotschaft Jesu und der
existentiellen Aporie
des Menschen."
Biser
" denkt nicht im Horizont griechischer
Metaphysik, die von der alles dominierenden Frage nach dem Allgemeinen
und den unveränderlichen Strukturen beherrscht wird. Er fragt nicht
nach dem Wesen des
Christentums und nicht nach dem Wesen des Menschen, sondern
danach, was für
authentisches Christsein wesentlich ist.
"
II.
Die
Wurzeln der Glaubens- und Kirchenkrise liegen in der Begegnung der
christlichen Heilsbotschaft mit der spätantiken Philosophie.
Die Offenbarung, die Selbsterschließung Gottes
in Jesus Christus, wurde als Lehre verstanden. "Sie wurde von einer
Lebenswirklichkeit zu
einem System von Wahrheiten umgestaltet, das im Mittelalter seine
volle wissenschaftliche Gestalt erhielt."
"Ohne
daß man sich dessen bewußt gewesen wäre, kam es dadurch zu einem
folgenschweren Bruch
mit dem Ursprung. .
. . Die Lehre, die Dogmen
eingeschlossen, ist deshalb nicht die Primärquelle der Wahrheit. In diesem
Kontext unterscheidet
Eugen Biser ausdrücklich zwischen der „Wahrheit des Christentums“,
die in der Lehre ihren Niederschlag findet, und der „Wahrheit Christi“,
die in der Lebenswirklichkeit gründet und durch
personale
Erfahrung dialogisch
vermittelt wird
(Dialog, 366f). Das
Wesen des Christentums ist also nicht
eine
formulierbare Wahrheit, sondern eine Person, nämlich der Offenbarer selbst.
"
"Der
Dialog ist deshalb im
Rückgriff auf den Ursprung ebenso wie in der Vermittlung und
der Verkündigung die allein adäquate Methode. .
. . Das Neue Testament ist nicht die Offenbarung. Es kommt nicht auf
die Worte an . .
. sondern auf die Person selbst, die hinter diesen Worten steht, und von
der das Neue Testament
spricht. Die Irrtumslosigkeit der Schrift wird davon nicht tangiert,
denn diese bezieht sich nicht auf den Modus der Bezeugung, sondern auf die
bezeugte Wirklichkeit
(Erweckung, 137)."
"Die
Mitte und die Norm des Evangeliums ist Jesus Christus selbst mit seiner
'revolutionären' Botschaft von Gott
als dem bedingungslos liebenden Vater.
Biser
" korrigiert damit den anderen gravierenden Bruch der
Christentumsgeschichte mit der Grundbotschaft des Neuen
Testamentes: die
Pervertierung des Gottesbildes. Nicht
zuletzt unter dem Einfluß
des späten Augustinus war aus dem Gott der Liebe ein Angst und Schrecken
verbreitender Willkürgott
geworden, der die Mehrheit der Menschen verdammt und nur
wenige rettet."
"Die
in Christus bleibend präsente Botschaft von der Güte und Menschenfreundlichkeit
Gottes ist das allein verbindliche Auslegungsprinzip des Neuen
Testamentes und aller normativen Texte des Christentums."
"Die Gerichts- und Drohworte der Evangelien können dagegen nicht geltend gemacht werden; diese müssen nach Biser als „Übertextungen“der Jesus-Botschaft durch Konflikte in der Urgemeinde verstanden werden (Erweckung, 286)."
"Die Gerichts- und Drohworte der Evangelien können dagegen nicht geltend gemacht werden; diese müssen nach Biser als „Übertextungen“der Jesus-Botschaft durch Konflikte in der Urgemeinde verstanden werden (Erweckung, 286)."
Der
alleinige Grund, das
Christentum und die Kirche überhaupt gibt, "ist die Auferstehung
Jesu von den Toten. Gegen die Zuschreibung einer derart fundamentalen
Bedeutung der Auferstehung könnte man einwenden, daß die Auferstehungsberichte
zu widersprüchlich sind, um eine sichere Basis für diese zentrale
Funktion des Auferstehungsglaubens abzugeben. Dem ist entgegenzuhalten,
daß die Widersprüche
im Bereich der Darstellung liegen, die nicht beschreibend, sondern
bildlich zu verstehen ist. Das zugrunde liegende Zeugnis wird davon nicht
betroffen."
Aber
wohin ist er auferstanden? Biser betont: "In
die Mitte der in
seinem Namen Versammelten (Mt 18,20), und damit in die Herzender
Seinen."
"Mit
diesem Gedanken setzt Eugen Biser die von ihm vollzogene Wende zurück zum
Zentrum des
Christentums mit der Wende von der Vergegenständlichung zur Innerlichkeit
fort. Ostern . . . 'ist unverkennbar die Wende von der Lebens-
zur Wirkungsgeschichte Jesu, der
Umschlag
von seiner historischen zu seiner
mystischen Biographie,
das
Ende seines Wirkens für die Seinen und der
Anfang
seiner Einwohnung in ihnen'(Antlitz,
254).
"In
dieser Sicht der Auferstehung findet nicht nur das Christentum wieder zu
seiner Identität
zurück, durch die Einwohnung Christi wird auch die Heteronomie des
Menschen überwunden."
"Damit
wird der Blick auf das Phänomen der christlichen
Mystik geöffnet. Nach dem Urteil von Biser hat die Mystik bei der Lösung
der anstehenden
Probleme des Christentums „höchste Priorität“(Erweckung, 191). Alle
Verobjektivierungen
und Vergegenständlichungen wie sie in der Lehre, den Dogmen, im
Ethos, im Kult und in der Institution Kirche selbst begegnen, werden auf das
in ihnen
anwesende Mysterium hin durchbrochen und überstiegen. "
Aus
dieser Reflexion auf die Auferstehung resultiert mit zwingender
Notwendigkeit eine
„Glaubenswende“(1986), die nach Biser in unseren Tagen bereits zu
erkennen ist.
In der Tradition wurde christlicher Glaube primär unter dem Gesichtspunkt
der Autorität
und des Gehorsams entfaltet. Mit der Einwohnung Christi tritt dieses
Verständnis in den
Hintergrund. Der
Akzent liegt jetzt auf dem Erfahren und
Verstehen.
In der Beziehung zwischen Mensch und Gott fungiert
Christus
als der „inwendige
Lehrer“(1994),
der dem Menschen in einem dialogischen Geschehen sich
selbst und damit die Wahrheit des Glaubens mitteilt. Seine Bewährung findet
solcher Glaube in der
Tat der Nächstenliebe. Damit wendet sich der Glaubende wieder
der konkreten Wirklichkeit zu.
In
dieser Selbstmitteilung Jesu werden der Lehrer zur Lehre, der Botschafter
zur Botschaft und der Helfer zur Hilfe (Kierkegaard) – und das nicht nur
in individuellem Verständnis.
"Die
Erörterungen über die Einwohnung Christi münden unmittelbar in die
christliche Anthropologie.
Die personale, dialogisch zu verstehende Wirklichkeit der Einwohnung
des Geistes erhebt den Menschen zur Gotteskindschaft
und führt ihn
dadurch zu seiner
eigenen Identität. Die mit Zeit und Raum gegebenen Differenzen werden
dabei gegenstandslos."
III.
"
Wer gewohnt ist,
die Glaubenssätze für den Gegenstand des Glaubens zu halten, wird sich
zumindest anfänglich
schwertun, die Differenz zwischen der Wirklichkeit und der Rede
von der Wirklichkeit zu realisieren. Es ist der Schritt, so formuliert es
Eugen Biser,
von der Fassade am Dom des Glaubens in den Innenraum dieses Domes selbst."
"Dabei
geht nichts verloren, aber es erscheint alles in einem völlig neuen Licht,
weil das
Ganze auf Gott zentriert ist (Einweisung, 421f). So
wird sich zeigen, daß manche theologische Kontroverse mehr ein Streit um
vorausgesetzte
philosophische Konzeptionen als ein Ringen um die Sache selbst war."
"Insbesondere
im ökumenischen Gespräch wird diese Innenperspektive der Mysterien
des Glaubens über strittige
Formulierungen und Vergegenständlichungen hinaus zur Sache
selbst und dadurch leichter zu einem Konsens führen.
"
An
vorderster Stelle notwendiger Selbstkorrekturen nennt Biser . . . die
Vorstellung, daß Gott, der vorbehaltlos liebende Vater, als Sühne den
grausamen Tod des
eigenen Sohnes fordere, damit ihm selbst Genugtuung für die Schuld
der Menschen geschehe: Diese Ansicht, ist "in sich widersprüchlich und
muß mit aller Entschiedenheit
als unchristlich, wenn nicht gar als antichristlich zurückgewiesen
werden. Damit ist
zugleich gesagt, daß der Tod Jesu in keinem Fall als Sühneopfer
interpretiert werden
darf, er muß vielmehr als letzte Liebeshingabe erkannt werden."
"Von
dem Motiv der Einwohnung her muß bei allen Sakramenten der
personaldialogische Aspekt
mit Nachdruck herausgearbeitet werden. Dabei ist immer zu bedenken:
Das Heil
Gottes ist weder an Institutionen noch an Kulthandlungen
gebunden. Alle magischen Assoziationen
sind sorgfältig zu vermeiden."
"Schließlich
muß auch die traditionelle Sichtweise der Strukturen der Kirche hinterfragt
und einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Die Erhebung des
Menschen zur
Gotteskindschaft impliziert eine fundamentale Gleichheit, die tiefgreifende
Korrekturen des tradierten Kirchenverständnisses erforderlich macht."
IV.
"Die
. . . gewonnenen Einsichten verweisen nicht nur auf erforderliche
Selbstkorrekturen der
kirchlichen Lehre und Praxis. Sie eröffnen zugleich . . . Perspektiven, die
geeignet sind, die derzeitigen Verwerfungen in
Kirche und Gesellschaft zu überwinden und solchermaßen den Weg in die
Zukunft freizumachen.
"
Ohne die Glaubensinformation zu
vernachlässigen (Erweckung, 282), zeigt seine existentielle Theologie den
Weg nach
innen, und damit in die Zukunft. Um den Titel eines seiner Hauptwerke zu
zitieren: Er weist den
Menschen ins Christentum ein."