14.2.16
Welt am Rande des Weltkrieges?
Das türkische Regime bemüht sich nach Kräften, den Konflikt in Syrien zu eskalieren - und so den Nato-Bündnisfall auszulösen
Am 13. Februar starteten die türkischen Streitkräfte
einen massiven Artilleriebeschuss der Stellungen der Demokratischen
Kräfte Syriens (SDF),
einer säkular-demokratischen Militärallianz kurdischer, sunnitischer
und aramäischer Gruppen, die in den vergangenen Tagen bedeutende
Geländegewinne im sogenannten Azaz-Korridor gegenüber islamistischen Militärformationen erzielen konnte.
Weshalb diese Eskalation?
Es stellt sich somit die Frage, wieso Saudi Arabien und
die Türkei eine solch unkontrollierbare Eskalation betreiben, die sehr
leicht in einen verheerenden Weltbrand ausarten könnte? Die Antwort
fällt zuerst recht banal aus: Sie sind dabei zu verlieren.
Die sunnitisch-islamistischen Kräfte in Syrien, die von
den Islamisten in Riad und Ankara unterstützt werden, sind gerade in die
strategische Defensive geraten. Nach jahrelanger Unterstützung der
heimischen und vor allem zugereisten Gotteskrieger diverser Couleur in
Syrien steht die sunnitische Achse vor einem geopolitischen
Scherbenhaufen.
Insbesondere der türkische Staatschef Erdogan ist mit
seiner neoimperialen Politik grandios gescheitert, die auf die
Errichtung eines neo-ottomanischen, islamistischen Großreiches im Nahen
Osten abzielt: Assad konnte nicht gestürzt werden, sein militärischer
Sieg ist ohne eine weitere Intervention nur eine Frage der Zeit.
Die Kurden, gegen die Erdogan einen massenmörderischen Terror-Feldzug
im Südosten des Landes entfachte, haben sich bislang zu keinen
terroristischen Aktionen hinreisen lassen. Im Gegenteil: Die SDF standen
kurz davor, den nördlichen Versorgungskorridor der Islamisten in Syrien
an der türkischen Grenze - der zwischen Azaz im Westen und Jarabulus im
Osten verläuft - gänzlich zu kappen.
Die Kurden als einzige nennenswerte säkulare Kraft in
dem syrischen Bürgerkrieg konnten dabei nicht nur auf die (vorsichtige)
taktische Unterstützung der USA zählen, sondern auch auf diejenige
Russlands - spätestens nach dem Abschuss der russischen Militärmaschine
durch türkische Flugzeuge im vergangenen November.
Es war insbesondere die Weigerung Washingtons, die
syrischen Volksverteidigungseinheiten YPG, die zu den effektivsten
Kämpfern gegen den "Islamischen Staat" gehören, zu einer "terroristische
Organisation" zu erklären, die Erdogan regelrecht in Rage versetzte:
"Ich habe euch viele Male gesagt: Seid ihr mit uns oder den
Terrororganisationen," wetterte Erdogan gegenüber Washington (vgl. Erdogan: "Wir können die Tore nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen").
Die "Terrororganisationen", das sind für den türkischen
Staatschef eben diejenigen Kurden, die dem Islamischen Staat eine
strategische Niederlage in Kobane bereiteten und die Jesiden im Nordirak
vor dem Genozid durch diejenigen Islamisten bewahrten, die von der
Türkei de facto unterstützt werden. Die USA sollen sich laut Erdogan zwischen den Kurden und der Türkei entscheiden.
Und genau dieser Logik folgt die derzeitige
Eskalationstratege der autoritären und zunehmend offen islamistisch
agierenden Führungsriege in der Türkei, die jahrelang mittels massiven
Ölschmuggels den Islamischen Staat aufbaute,
der nun kurz vor dem Kollaps steht. Wir oder sie? Dies soll durch eine
militärische Eskalation erreicht werden, die Ankara provozieren will.
Globales Kräftemessen zwischen Westen und den "eurasischen" Großmächten
Konkret sollen die USA und die NATO zu einer eindeutigen
Parteinahme für das türkischen Expansionsstreben in der Region genötigt
werden. Sollte Russland auf die Angriffe der Türkei auf das syrische
Staatsterritorium - die ja faktisch einen Kriegsakt darstellen! -
militärisch antworten, wird die Türkei Himmel und Hölle in Bewegung
setzten, um den NATO-Bündnisfall auszurufen. Hierdurch rückt ein
Großkrieg zwischen dem Westen und Russland in greifbare Nähe.
Denn selbstverständlich werden die regionalen
Konfliktlinien um die Dominanz im Nahen Osten zwischen dem
schiitisch-alawitschen Block (Syrien, Iran) und der
sunnitischen-islamistischen Achse (Golfdespotien und Türkei) überlagert
von dem globalen Kräftemessen zwischen dem Westen und den "eurasischen"
Großmächten Russland und China.
Das Va-banque-Spiel Erdogans und der saudischen Despotie
um Syrien könnte den Funken bilden, der die krisenbedingt zunehmenden
geopolitischen Spannungen in einen verheerenden Großkrieg entladen
würde. Die spätkapitalistische Welt befindet sich - angesichts des akut
drohenden abermaligen Krisenschubs - in einer Vorkriegszeit, da in
vielen Staatsapparaten die Tendenz aufkommt, die zunehmenden inneren
Widersprüche und Verwerfungen durch äußere Expansion zu kompensieren.
Parallelen zu der Vorkriegszeit in den 1930er Jahren stellen sich ein -
mit dem Unterschied, dass das Vernichtungspotenzial nun ungleich höher
ist.
Für den Westen stellt sich somit die Frage, ob er bereit
ist, für die rücksichtslose imperialistische Politik des türkischen
Regimes, das im Endeffekt eine islamo-faschistische Ideologie propagiert
und blanken Massenmord in den Kurdengebieten der Türkei begeht, einen
Weltkrieg zu riskieren. In ersten Stellungnahmen blieben Vertreter der
USA ambivalent, indem sie die Türkei aufforderten, den
Artilleriebeschuss der SDF einzustellen, und die Kurden davor warnten,
weiter im Azaz-Korridor vorzurücken.
Der türkische Artilleriebeschuss Syriens wurde dennoch
am Sonntag fortgesetzt, während der russische Präsident Putin mit seinem
amerikanischen Amtskollegen Obama per Telefon eine dringliche
Unterredung über die Lage in Syrien abhielt.
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