16.3.16

 

Fragwürdig: Ehemalige EU-Parlamentarier wechseln in TTIP-Lobbyjobs


Wie die Debatte um die umstrittenen Schiedsgerichte in der vergangenen Woche zeigte, wird auch im Europäischen Parlament (EP) heftig um das TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA gestritten. Umso praktischer ist es für Unternehmen, wenn sie ehemalige Abgeordnete des Parlaments in ihren Reihen haben, die für sie Lobbyarbeit machen. Eine Studie unserer Partnerorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) liefert einen Überblick über aktuelle Fälle dieser Art. Unter den ehemaligen Abgeordneten sind auch zwei deutsche FDP-Politiker, Holger Krahmer und Silvana Koch-Mehrin.

Silvana Koch-Mehrin: Vom Europäischen Parlament zur Lobbyagentur gplus

Silvana Koch-Mehrin (FDP) war von 2004 bis 2014 Abgeordnete im EU-Parlament, fünf Jahre davon bekleidete sie das Amt der Vize-Präsidentin der Europäischen Liberalen (ALDE). Koch-Mehrin hat sich im Parlament vor allem mit Handelsfragen befasst, insbesondere mit dem Handel mit Russland und Kanada. Zumeist als Schattenberichterstatterin veröffentlichte sie mehrere Studien zu russischen Exporten von Rohstoffen, Holz- und Stahlprodukten. Aber auch mit CETA, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, befasste sich sich, u.a. durch Anfragen im Parlament, aber auch durch die Veröffentlichung von Kommentaren, in denen sie das Abkommen verteidigte.

Koch-Mehrin: Berichterstatterin bei umstrittenen Schiedsgerichten

Außerdem war sie Schattenberichterstatterin zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Zuständigkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten (ISDS) vor Schiedsgerichten, welche durch völkerrechtliche Übereinkünfte eingesetzt wurden, deren Vertragspartei die Europäische Union ist. In ihrem Bericht schlussfolgerte sie, dass die finanzielle Zuständigkeit bei den EU-Institutionen oder individuell bei den Mitgliedstaaten liegt. ISDS ist einer der umstrittensten Aspekte der TTIP– und der CETA-Verhandlungen.

gplus bejubelt Einstellung von Koch-Mehrin

Im November 2014 hat die PR- und Kommunikationsfirma gplus europe Koch-Mehrin als politische Beraterin (Senior Policy Advisor) eingestellt. Im April veröffentlichte die Agentur ein kurzes Statement dazu: „gplus europe ist erfreut, Silvana Koch-Mehrin, bis vor kurzem deutsche liberale Abgeordnete im EP, als neuesten Senior Policy Advisor in ihren Reihen begrüßen zu können […] In Brüssel ansässig, bringt Silvana ihre fantastischen und aktuellen Erfahrungen aus dem Europäischen Parlament mit.“
Die PR-Agentur rühmt sich damit, ehemalige Abgeordnete anzustellen und behauptet: „Unsere Mitarbeiter haben unterschiedliche berufliche Hintergründe. Sie hatten zuvor hohe Ämter in EU-Institutionen, Brüsseler Medien und Lobbygruppen inne. Dies ermöglicht uns, unseren Klienten informiertes und frisches strategisches Denken und ein exzellentes Netzwerk in Brüssel und Straßburg anzubieten.“

Holger Krahmer: Vom Europäischen Parlament zu Opel und General Motors


Holger Krahmer war von 2004 bis 2014 deutscher Abgeordneter der FDP im EU-Parlament. Wenige Monate nachdem er das Parlament verließ, nahm Krahmer eine Stelle bei der Beratungsfirma Hanover Communication an, wo er sechs Monate lang  als Berater für Europapolitik arbeitete. Im Jahr 2014 hatte Hanover laut Angaben im EU-Transparenzregister einen Lobbyumsatz von € 500.000 bis € 999.999 und gibt TTIP als eines der Hauptinteressen an. Zu den Klienten gehörten Anglo American, der Biotech-Lobbyverband EuropaBio sowie weitere an TTIP interessierte Unternehmensverbände.
Im April 2015 begann Krahmer für den Automobilkonzern Opel zu arbeiten. Bei dem europäischen Ableger von General Motors (GM) übernahm er die Stelle als Direktor für Europäische Angelegenheiten, Politik und Regierungsbeziehungen. Es gibt wenige Informationen über sein genaues Jobprofil. Aber Medienberichten zufolge wird Krahmer zu allen Marken von GM arbeiten. Die Stelle wurde exklusiv neu dafür geschaffen.
Die Opelgruppe – zu der auch Vauxhall gehört – ist die dritt-meisten verkaufte Automarke in Europa und dafür verantwortlich, die Interessen von GM in Europa zu vertreten. Laut der Angaben im EU-Transparenzregister hat Opel im Jahr 2014 zwischen € 900.000 und € 999.999 für Lobbyarbeit bei den EU-Institutionen ausgegeben.

Fälle Koch-Mehrin und Krahmer werfen Fragen auf

Koch-Mehrin und Krahmer haben sich in der Tat an die vorgegebenen Regeln des EU-Parlaments gehalten. Denn was den Wechsel in Lobbytätigkeiten betrifft, gibt es kaum Regeln für die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Es lässt sich aber kaum leugnen, dass die Kunden von gplus sowie das Unternehmen Opel vom Insiderwissen der Ex-Abgeordneten profitieren.
Ihr Wissen über Inhalte und Abläufe, ihre Erfahrungen und ihre Kontakte aus ihrer Zeit im Europäischen Parlament verkaufen die beiden nun gewinnbringend an private Interessen. Diese Seitenwechsel verstärken die Machtungleichgewichte in Brüssel, aufgrund derer sich die Profitinteressen von Untenehmen so oft gegenüber dem Allgemeinwohl durchsetzen. Wir fordern, dass das EU-Parlament über dieses Problem eine offene Diskussion führt und sich auf angemessene Regeln einigt.
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Kommentare:
Diesem Artikel ist uneingeschränkt zuzustimmen. Ich bedaure sehr, dass die deutsche Bevölkerung kaum begreift was mit TTIP wirklich alles abläuft. Nach meiner Ansicht, müssten die Proteste gegen TTIP viel intensiver, häufiger und auch mit mehr Nachdruck geführt werden. Dieses Abkommen ist eine Katastrophe für die Demokratie.

Milliardenschwerer Grund gegen TTIP
Abgesehen von den Fragen der demokratischen Legitimation, der Schiedsgerichte oder des Sozialabbaus gibt es einen milliardenschweren Grund gegen TTIP: Die massiven Mehrkosten der GKV für patentgeschützte Medikamente. In den USA läuft der Patentschutz sehr viel länger als in der EU bzw. in Deutschland. Für patentgeschützte Medikamente darf der Hersteller sich eigene Preise ausdenken – und seien sie noch so hoch. Die GKV muss zahlen.
Generika werden über TTIP vom Markt verdrängt und dann wird es eine Kostenexplosion in der GKV geben, die es noch nie gegeben hat. Beitragssteigerungen und weitere Leistungskürzungen werden die Folge sein. Aber darüber liest man außer beim GKV-Spitzenverband überhaupt nichts.

Hier handelt es sich offenbar um Personen die nur ihrer persönlichen Bereicherung und Karriere Vorschub leisten und jede wie auch immer geartete Verpflichtung der Gesellschaft als nicht existent und hinderlich empfinden. In ihrer Argumentation aber sicher davon überzeugt sind ethische und hochanständige Ziele zu verfolgen. Das Problem ist natürlich das hier persönliche Eitelkeit und in Verbindung mit Geld jede Einsicht in den wahren Sachverhalt ihnen die Wirkung ihres Handelns unmöglich macht und damit diese Menschen völlig ungeeignet sind Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen außer natürlich in ihren eigenen Zirkeln und das auch nur aus finanziellen wie Prestigegründen.

Nett war auch der Fall Sharon Bowles, führende Strippenzieherin für Finanzregulierung in Europa, die gleich nach der Wahl 2014 in die Finanzindustrie, in den Vorstand der London Stock Exchange, wechselte.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/lobbyismus-eu-politikerin-sharon-bowles-wechselt-zur-londoner-boerse-a-988070.html

Prägnanter kann man Fakten nicht verdeutlichen. Aber ich fürchte, dass sich der Lobbyismus bereits innerhalb Deutschlands, aber auch der EU wie eine Krake ausbreitete. Am widerlichsten finde ich persönlich, dass sich „solche Typen“ als Vorbilder für nachfolgende Generationen meint präsentieren zu können. Das Schlimmste an dieser Einstellung ist meiner Meinung, dass diese Individuen auch noch fest an sich glauben und der Meinung sind, sich im Rechtsraum zu bewegen . Also auch hier trifft das „Peter-Prinzip“ voll zu. Armes Deutschland, arme EU und arme Demokratie.
 

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