24.6.16

 

Rettung vor der Hitze

Wenn die Städte und ihre Bewohner im Sommer in der Gluthitze brüten, dann wird der Ruf nach mehr Grünraum in der Stadt wieder lauter. Baulücken sind jedoch rar, ungenützten Platz gibt es vor allem auf Dächern. Dachgärten sind die eierlegenden Wollmilchsäue für Stadtplaner: Sie reinigen Luft und Wasser, isolieren Gebäude und senken die Temperatur in aufgeheizten, dicht bebauten Grätzeln.

Das Mikroklima im Grätzel

Die sommerliche Hitze wird in der Stadt zunehmend zum Problem. Die dichte Bebauung und die Versiegelung der Böden verstärken die Hitze, speichern sie und verhindern in den Nachtstunden ein Sinken der Temperatur. Es entstehen Hitzeinseln - auch bekannt als „Urban Heat Islands“.
Stadtpolitiker rühmen sich gerne, dass die Hälfte Wiens aus Grünland besteht. Für den Unternehmer und Landschaftsplaner Gerold Steinbauer ein fadenscheiniges Argument: „Wien hat riesige Ackerflächen im 22. Bezirk und riesige Parks wie den Prater oder die Lobau. Wenn man im achten Bezirk wohnt, helfen einem diese Grünflächen wenig.“ Dass das Mikroklima von Grätzel zu Grätzel unterschiedlich sein kann, werde gern vergessen, so Steinbauer im Gespräch mit ORF.at.

Vegetation versus Dachziegel

Rot gegen Grün - hier nicht im politischen Sinn gemeint - lautet der Kampf auf den Temperaturkarten der Stadt, wo eine Farbskala zwischen Hellgrün und Dunkelrot die Temperatur angibt. Analog dazu findet man den Farbenkonflikt auch in der Stadt: das Rot der Dachziegel gegen die Grünflächen. In den Innenstadtbezirken ist der Prozentanteil des Grün am geringsten. Die Bezirke Mariahilf, Neubau und Josefstadt haben alle nur gut zehn Prozent Grünanteil.
Grafik zeigt Nettogrünflächen in Wiener Bezirken
Grafik: ORF.at; Quelle: Grünraummonitoring Wien 2005
Die Prozentanteile aller Grünflächen an der gesamten Stadtfläche inklusive Straßen zeigen, wie unterschiedlich „grün“ die Wiener Bezirke sind
Der Platz, neue Parks zu bauen, ist kaum vorhanden. Das Potenzial liegt auf den Dächern der Stadt, dort ist ungenützter Raum en masse vorhanden. Insgesamt ist die gesamte Wiener Dachfläche so groß wie die Bezirke Favoriten und Simmering zusammen, in Zahlen: 5.242 Hektar. Davon ist nur ein kleiner Teil begrünt. Nur circa fünf Prozent der Flächen beherbergen Gräser, Moos, Bäume oder sogar Teiche. Den größten Bestand an begrünten Dächern hat die Donaustadt mit 34 Hektar (Stand 2010).
Gerold Steinbauer und Vera Enzi auf ihrer begrünten Dachterrasse
ORF.at/David Tiefenthaler
Grüne Dachoase auf dem Büro des VfB: Steinbauer (l.) und Enzi (r.)
Steinbauer und Vera Enzi sind so etwas wie die Apostel der Dachbegrünung in Wien: er als Obmann des Verbands für Bauwerksbegrünung (VfB), sie als Landschaftsplanerin, die an der Universität für Bodenkultur (BOKU) lehrt, wie man richtig Dächer begrünt. Die Liste an Vorteilen, die Gründächer bieten, ist laut den beiden imposant. „Begrünung ist die einzige Variante, wie Hitze vernichtet werden kann. Mit Klimaanlagen und Isolierungen wird sie nur verlagert“, stellt Steinbauer klar.

Entlastung für die Kanalisation

Ein weiterer Effekt ist die Speicherung des Regenwassers. Ist ein Dach mit Pflanzen bedeckt, so fließen nur 30 Prozent des Niederschlags in den Kanal, der Rest wird von der Vegetation gespeichert, verdunstet oder wird verspätet abgegeben. Derzeit findet das Wasser auf den meisten Dächern seinen Weg direkt von der Dachfläche in die Kanalisation, wo es dann schleunigst die Stadt verlässt. „Eigentlich brauchten wir aber genau das Wasser, um die Stadt im Sommer zu kühlen“, so Enzi.
Wenig Verständnis bringen die beiden Landschaftsarchitekten einem Projekt der Stadt Wien in Simmering entgegen. Dort wird 2016 ein Speicherbecken fertiggestellt, das 35 Millionen Liter Regenwasser fasst. Das 30 Mio. Euro teure Rückhaltebecken soll eine Überlastung der Kanalisation verhindern. Bei einem Quadratmeterpreis von 25 Euro hätte man mit diesem Geld „120 Hektar Dachfläche extensiv begrünen können“, meint Steinbauer. Das käme einer 50-prozentigen Steigerung der Wiener Gründachfläche und der doppelten Wasserspeicherkapazität des geplanten Rückhaltebeckens gleich.

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