6.9.16
Tschernobyl – Lehren aus dem Super-GAU
Das Erbe des Atomzeitalters
Die Katastrophe
Der Super-GAU hatte sich schon zwei Tage zuvor ereignet: Eine Notfallübung, bei der ein Stromausfall simuliert werden sollte, gerät außer Kontrolle. Reaktorblock 4 explodiert, das Dach des Reaktorgebäudes wird weggesprengt, und durch die einströmende Luft gerät das Graphit im Reaktorkern in Brand.Schnell erreicht radioaktive Strahlung die nahe gelegene Stadt Prypjat. Doch die Bevölkerung ahnt nichts von der Katastrophe. Erst über 30 Stunden nach der Explosion wird mit der Evakuierung der Bewohner von Prypjat und der umliegenden Siedlungen begonnen. Nach zweieinhalb Tagen liegt eine Pressemeldung der sowjetischen Behörden vor. Man spricht von einem Unfall, während sich am Reaktor ein dramatischer Kampf ums Überleben abspielt. Die Kraftwerksleitung spielt den Vorfall herunter, sogar der eigenen Regierung gegenüber. Erst nach zehn Tagen gelingt es, den Brand mit festen Stoffen wie Sand und Blei zu löschen.Rund um Tschernobyl wird eine Sperrzone mit einem Durchmesser von 60 Kilometern errichtet. Hier ist besonders viel radioaktives Cäsium und Jod niedergegangen. Bis heute ist die Gegend ein Niemandsland, kontaminiert und menschenleer. Immer noch sind die Böden schwer mit Cäsium 137 belastet, dessen Strahlung sich nach 30 Jahren gerade einmal halbiert hat. Trotzdem hat sich hier eine vitale Tierwelt angesiedelt. Wie sehr diese unter den Risiken und Spätfolgen der radioaktiven Strahlung leidet, darüber sind sich die Forscher noch uneins: Einerseits werden Genschäden beobachtet, zum Beispiel bei Spinnen, andererseits lässt sich feststellen, dass viele Tierarten, wie zum Beispiel Wölfe, weniger empfindlich reagieren als erwartet.
Wie dramatisch sind die Spätfolgen?
Wie groß die Auswirkungen auf den Menschen wirklich waren und sind, ist bis heute umstritten. Schätzungen über mögliche Todesopfer der nuklearen Katastrophe reichen von unter 10.000 bis weit über 100.000. Viele Helfer, die unmittelbar vor Ort der Radioaktivität ausgesetzt waren, starben innerhalb weniger Monate an der Strahlenkrankheit. Hunderttausenden drohen Spätfolgen durch die schleichende Wirkung des radioaktiven Fallouts, vor allem von Jod und Cäsium.Wann ist radioaktive Strahlung tödlich?
Eine noch größere Katastrophe lieferte den Wissenschaftlern die
Datengrundlage für ihre Arbeit: die Atombombenabwürfe über Hiroshima und
Nagasaki 1945. Bei höchster Exposition in der Nähe der Abwurfstelle
starb jeder Zehnte an den Strahlenfolgen. Die Dosis entsprach der von
20.000 Lungenröntgenaufnahmen. Weiter entfernt, bei halb so hoher
Belastung, starb noch jeder Zwanzigste. Je höher die Strahlungsdosis,
desto mehr Todesfälle – dieser Zusammenhang ist eindeutig. Aber ab einer
bestimmten Größenordnung gilt: Je geringer die Strahlendosis, desto
weniger aussagekräftig werden die Daten. Trotzdem gehen viele Annahmen
auch im Bereich geringer Strahlung von einem linearen
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang aus.
Der Nachweis
Als Teil einer
internationalen Forschungsgemeinschaft arbeitet ein Team von
Wissenschaftlern am Helmholtz Zentrum in München mit Gewebeproben aus
der Ukraine. Jahrelang wurden 13.000 Betroffene des Super-GAUs auf
Schilddrüsenkrebs untersucht.
Während der Tumortherapie wurden ihnen Proben entnommen. Normalerweise
ist Schilddrüsenkrebs bei Kindern selten, doch in den
strahlenverseuchten Gebieten trat er auffällig oft auf, auch 20 Jahre
später. Der Grund: Vor allem in der kindlichen Schilddrüse reichert sich
radioaktives Jod an. Dieses gelangte in erster Linie mit kontaminierter
Milch in den Körper der Kinder. Betroffene, die 1986 noch Kinder waren,
wurden also mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Strahlung krank.
Mithilfe der Gewebeproben wollen die Forscher in München herausfinden,
ob radioaktive Strahlung tatsächlich der Auslöser ist. Dazu vergleichen
sie Schilddrüsenkrebszellen von Kindern, die der Strahlung unmittelbar
nach dem Unfall ausgesetzt waren, mit solchen von Kindern, die erst
später geboren wurden.Die Forscher suchten im Gewebe der Schilddrüsentumore nach einem speziellen Merkmal, das nur beim strahleninduzierten Krebs auftritt. Und tatsächlich konnten sie die Vervielfältigung spezieller Chromosomenabschnitte nachweisen. Dieses Merkmal fehlt bei Schilddrüsenkrebs von Kindern, die keiner Strahlung ausgesetzt waren. Der Unterschied zeigt sich auch auf Ebene der Proteine. Für die Forscher ist das ein eindeutiger Marker für strahleninduzierten Schilddrüsenkrebs. Zwar haben sie die verräterischen Hinweise bisher nur bei Betroffenen entdeckt, die als Kinder exponiert waren. Doch die Forschung ist ein wichtiger Schritt auf der Suche nach Belegen für das Krebsrisiko durch niedrige Dosen radioaktiver Strahlung.
Leschs Kosmos
Nach "alpha centauri" ist dem Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch mit dem ZDF-Format „Leschs Kosmos“ erneut ein kleines Meisterwerk gelungen. In viertelstündigen Portionen, erklärt Lesch uns die Welt verständlich und wissenschaftlich fundiert zugleich. Wir begegnen Lesch in einem minimalistischen Studio, inspiriert vom Retrolook der 70er Jahre in weiß, schwarz und knalligem orange.
Ähnlich schlicht ist das Konzept der Sendung gehalten: Harry (Lesch) unterhält sich mit uns und Kameramann Bennie über wissenschaftliche Phänomene und schweift dabei nicht ungern in philosophische Gefilde oder humorige Anekdoten ab. Anhand spielerischer Metaphern bringt uns Lesch die Naturwissenschaft ungewöhnlich leicht nahe und macht Appetit auf mehr.