19.2.17

 

Die Rituale der Macht

Das Handwerk der Recherche und des Schreibens lernte Robert Harris als Reporter. Aber Harris war nicht irgendein Reporter, der sich in einem Pulk von Nachrichtenlieferanten einordnen musste. Er bewegte sich in den Vorzimmern der Macht, war mit den Mächtigen befreundet. Das Material zum Sachbuch "Selling Hitler" über die kriminelle Farce der Hitler-Tagebücher lieferte den Stoff für den ersten Roman "Vaterland", der 1992 in 30 Sprachen übersetzt eine Weltauflage von sechs Millionen erreichte.
Wenn schon die Tagebücher des Führer so begierig begrüßt wurden, lag das Gedankenspiel nahe, was wäre gewesen, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten, zumal es exakte Pläne für eine Nachkriegsordnung gab. Das war ein Befreiungsschlag, denn "Fiktion erlaubt es mir", sagt Harris, "meine Vorstellungskraft zu nutzen, um über Dinge zu schreiben, die mich beschäftigen". Mit dem Wechsel in die Belletristik blieb Harris bei der Recherche politischer Sujets, um die Rituale der Macht und düstere Abgründe der Zivilisation zu ergründen, wobei er gleichermaßen in Antike und Gegenwart fündig wird. In drei Romanen beschäftigte sich Harris mit Cicero, um "den Zusammenbruch eines etablierten demokratischen Systems" zu beschreiben. In seinem Thriller "Angst" profitiert die Finanzbranche von der Furcht der Menschen, in seinem von Roman Polanski verfilmten Roman "Der Ghostwriter" gibt ein britischer Ex-Premierminister seine Memoiren in Auftrag, um von seinen Kriegsverbrechen abzulenken. In "Intrige" bringt sich der Oberstleutnant Georges Picquart in Lebensgefahr, als er das Komplott hinter der Dreyfus-Affäre aufdeckt.
Das beständigste Machtritual findet jedoch in unregelmäßigen Abständen in Rom statt, wenn "sich 120 Männer in eine Kirche einschließen lassen", um einen neuen Papst zu wählen. "Konklave" ist das aktuelle Buch des Bestseller-Autors, der in einem Pfarrhaus in Kintbury westlich von London lebt und bedauert, von einem Ritual ausgeschlossen worden zu sein: Er wurde nie getauft.

Ö1
 

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