7.9.17

 

Unbezahlbare Pillen

Ein Patient ist unheilbar krank. Medikamente können sein Leben verlängern. Der Preis dafür ist extrem hoch. Das deutsche Gesundheitssystem ist das solidarischste der Welt. Wie lange noch?

Die Diskussion darüber, welche Behandlung zu welchem Preis durchgeführt werden kann, ist längst überfällig. Darf man Patienten personalisierte Medizin verweigern und gleichzeitig Kettenraucher kostenlos behandeln? Wer verursacht welche Kosten?

Eine Monatsration zur Bekämpfung von Leberkrebs beispielsweise kostet 5000 Euro und bringt eine durchschnittliche Lebensverlängerung von knapp drei Monaten. Die Kostenfrage bei Krebsleiden wirft weitere Fragen auf: Was ist mit Lifestyle-Erkrankungen wie Adipositas oder Bluthochdruck? Muss die Gesellschaft deren Behandlung bezahlen? Und Risikosportler? Finanzieren wir das Verletzungsrisiko bei teuren Freizeithobbies mit? Ist das Leben eines 30-jährigen Familienvaters mehr wert als das eines 80-Jährigen, der sein Leben lang in das Gesundheitswesen einbezahlt hat?

In England hat die Regierung das Problem ganz pragmatisch gelöst, mit dem QALY-Konzept – dem Quality Adjusted Life Year. Nach einem Punktesystem wird entschieden, wie hoch die gesundheitliche Lebensqualität und die Lebenserwartung des Patienten sind. Unternehmerisch gesprochen: Eine "Balanced Scorecard" des Lebens. Je höher desto besser. Ein gut verdienender Vater von zwei Kindern würde dann noch behandelt. Wenn man aber schon älter ist oder Vorerkrankungen hat und eine Therapie nur wenig Besserung bringen würde, könnten die Ärzte von einer Behandlung absehen - wie bei einem alten Auto. Kritiker sehen darin eine Diskriminierung von älteren Menschen.

Kann man die Behandlung von Krankheiten von den Kosten abhängig machen? Vielleicht müssen wir das in Zukunft, denn immer mehr Wirkstoffe werden für den Patienten maßgeschneidert. Eine Untersuchung der EU empfahl 2013, QALY nicht anzuwenden, da dies kein "wissenschaftlicher Ansatz zur Bewertung und Priorisierung von Medikamenten" und zudem die Punkteberechnung mathematisch fragwürdig sei.

Wie viel ist eine Gesellschaft bereit zu geben? Was ist der Wert des Lebens? Das Dilemma ist offensichtlich: Für den Patienten zählt die reine Statistik nicht, wenn es ums Überleben geht. Er hofft, dass er derjenige ist, bei dem das Mittel anschlägt, und sei die Chance noch so gering. Für die Allgemeinheit geht es um die Finanzierung aller medizinischen Leistungen. Für die Mediziner um sinnvolle Behandlungen. Individuelle, gesamtgesellschaftliche und medizinische Interessen prallen aufeinander.

 In 3sat steht der Donnerstagabend im Zeichen der Wissenschaft: Um jeweils 20.15 Uhr beleuchtet eine Dokumentation relevante Fragen aus Natur- und Geisteswissenschaften, Kultur und Technik. Im Anschluss, um 21.00 Uhr, diskutiert Gert Scobel über ein verwandtes Thema.

 3sat

 


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