9.1.18

 

Komplexitätsforscher ist "Wissenschafter des Jahres"

"Wissenschafter" oder "Wissenschafterin des Jahres" - das ist eine Auszeichnung, die an Menschen geht, die ihre Forschungsarbeit leicht verständlich und spannend vermitteln können - und damit zum guten Image von Forschung und Wissenschaft in der Öffentlichkeit beitragen. Vergeben wird der Titel seit 1994 jedes Jahr vom "Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten". Heute Vormittag wurde das Geheimnis um den diesjährigen Namen gelüftet: der Komplexitätsforscher Stefan Thurner.

Ö1

Der Wissenschafter des Jahres Stefan Thurner erläutert im Studiogespräch seine Komplexitätsforschung. Im Gesundheitswesen können zum Beispiel nach der Analyse des Ist-Zustandes Ineffizienzen aufgezeigt werden. Mithilfe von Mathematik können aber auch Manipulationen bei Wahlen nachgewiesen werden. Insgesamt sieht Thurner die Menschheit am Beginn einer neuen, umwälzenden Datenära. Von der neuen Regierung fordert er, Experten aufzubauen oder ins Land zu holen, die mit der Datenfülle umgehen können.



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Vorhersagen treffen für Komplexes

Bei seiner Arbeit am Institut für die Wissenschaft Komplexer Systeme der MedUni Wien sowie dem von ihm initiierten und geleiteten „Complexity Science Hub Vienna“ sei es ihm auch wichtig zu vermitteln, „dass wir mit den vorhandenen Möglichkeiten etwas Vernünftiges machen“. Konkret nennt er etwa die Arbeit an großen Problemen wie Klimawandel, Migration, Ungleichheit, systemische Risiken, Ineffizienzen, Fairness in demokratischen Systemen, etc. „Hier wollen wir etwas verbessern“, so Thurner.

Gemeinsam ist all diesen großen Problemen, dass es sich dabei um sogenannte komplexe Systeme handelt, die man vielfach noch nicht versteht. Das Spannende an der Komplexitätsforschung sei, „dass man jetzt erstmalig die Möglichkeit hat, diese Systeme so zu verstehen, dass man Vorhersagen darüber machen kann, und wenn man das schafft, kann man sie vielleicht sogar früher oder später managen“.

Dynamische Netzwerke

Jedes komplexe System habe Netzwerke in sich, „und das Verständnis dieser Netzwerke ist die Quintessenz, um komplexe Systeme zu verstehen, wie sich diese dynamisch verhalten, auf Stress reagieren, Robustheit zeigen oder kollabieren“. Erst wenn man wisse, wie Bausteine miteinander in Beziehung stehen, könne man ein System verstehen, sagte Thurner, der beim APA-Interview ein solches Netzwerk mit seinen Knotenpunkten und Verbindungen dazwischen anhand einer Kletterspinne im Wiener Schönbornpark demonstrierte.

In den klassischen Naturwissenschaften habe man bisher immer nur mit wenigen Bausteinen umgehen können, weil man weder die Computerleistung noch die dahinter steckenden Daten gehabt habe. Mittlerweile gibt es beides und „sehr viele Datensätze kann man als Netzwerke darstellen. Sobald sie in dieser Form sind, kann man wissenschaftlich damit umgehen, kann man Mathematik verwenden, um diese Systeme zu beschreiben und Fortschritte zu machen“.


Big Data zur Problemlösung

Auch wenn die großen Datenmengen („Big Data“) zu den Grundlagen der Komplexitätsforschung zählen, „wollen wir diese nicht verwenden, um etwa Leute zu überwachen oder die Privatsphäre aufzulösen“. Vielmehr sollen die Daten genutzt werden, „um Probleme, in die wir uns im 21. Jahrhundert gebracht haben, lösen zu können, konstruktiv und wissenschaftlich - damit wir nicht darauf angewiesen sind, nur aus dem Bauchgefühl zu handeln, wenn wir komplexe Systeme managen“, sagte Thurner.

Manipulation von Wahlen aufgedeckt

Auch mit politischen Wahlen befasst sich die Komplexitätsforschung - genauer: ob Wahlen manipuliert worden sind. Stefan Thurner und Kollegen haben unter anderem die Parlamentswahl in Russland 2011 analysiert - nicht wie Wahlbeobachter an Ort und Stelle, sondern mithilfe von Mathematik und Statistik Unregelmäßigkeiten nachgewiesen. Ebenso beim Verfassungsreferendum in der Türkei 2017.

Mehr zu Arbeiten von Stephan Thurner:


Presse

Kurier

Die Vorhersage von Gesundheitsrisiken bestimmter Alters- und Bevölkerungsgruppen, die Simulation der Ausbreitung und Bekämpfung eines Waldbrandes in einer Region, das Risiko eines Wirtschaftscrashs: Die Komplexitätsforschung will sinnvolles Wissen aus großen Datenmengen generieren, in diesen Muster erkennen und wissenschaftliche fundierte Prognosemodelle entwickeln.

Neues Forschungszentrum

Der 1969 in Innsbruck geborene Thurner ist Leiter des Instituts für die Wissenschaft komplexer Systeme der Med-Uni Wien und Präsident des 2016 eröffneten „Complexity Science Hub Vienna“ (CSH) im Palais Strozzi in Wien-Josefstadt. Dieses Zentrum wird von der MedUni Wien, den Technischen Universitäten Wien und Graz, der Wirtschaftsuniversität Wien, dem Austrian Institute of Technology (AIT) sowie dem Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg getragen. Thurner will mit seinen derzeit rund 20 Kolleginnen und Kollegen Wien zu einem internationalen Zentrum dieses jungen Forschungsgebietes machen. Nach Wien kam er übrigens zunächst nicht wegen seines Studiums in Theoretischer Physik an der TU Wien (siehe auch Textende), sondern weil er als Klarinettist am Musikkonservatorium aufgenommen wurde.

Wie funktioniert das?
Für Complexity Science brauche ich drei Zutaten: Daten über die Eigen- schaften der Bauteile eines Systems und ihrer Wechselwirkungen; große Rechenleistungen und die Mathematik, um das abbilden und verstehen zu können.

 Dazu benötige ich eine ganz neue Form von mathematischen Tools, die man nicht im Lehrbuch nachblättern kann, sondern erst erfinden muss. Complexity Scientists erfinden Werkzeuge, um mit großen Datensätzen Vorhersagen über das Verhalten verschiedener Systeme machen zu können: Wie breitet sich eine Pandemie (weltweite Epidemie, Anm.) aus? Wie eine Wirtschaftskrise? Aber auch wie setzt sich eine neue Erfindung durch? Wenn die Vorhersagen dann passen, ist es ein gutes Modell.

Sie können zum Beispiel die Ausbreitung eines Brandes und die Effizienz von Löschmaßnahmen auch anschaulich in einer virtuellen Landschaft darstellen.


FFG
Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG gratuliert dem Leiter des Complexity Science Hub Vienna, Stefan Thurner, zur Wahl zum Wissenschafter des Jahres 2017.

„Ob es um Medizin, das Finanzwesen oder Naturkatastrophen geht: Die großen Herausforderungen der Gegenwart sind nur durch systemische Ansätze lösbar“, so die Geschäftsführer der FFG, Henrietta Egerth und Klaus Pseiner. „Wir freuen uns, dass die FFG Professor Thurner dabei unterstützen kann, Wien zu einem international renommierten Standort für Komplexitätsforschung auszubauen.“


Wiener Zeitung

Big Data mit Sinn: „Complexity Science Hub Vienna“ nimmt Arbeit auf

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