9.1.18

 

Handarbeiten für die Seele


Vom therapeutischen Nutzen alter Techniken 



Was wie eine Programmiersprache anmutet, ist der Titel des Schlagers "Zwei Glatt, Zwei Verkehrt" von Maria Andergast aus dem Jahr 1949 in Strickschrift. In den Nachkriegsjahren wurde gestrickt, genäht, getischlert und eingekocht, um jedes vorhandene Material nutzbringend zu verwenden. Nicht wenige Frauen verdienten ihren Lebensunterhalt mit Handarbeiten wie beispielsweise die Lyrikerin Christine Lavant. Diese Erzeugungsformen wurden mittlerweile von einer globalen Massenproduktion abgelöst, im Internet aber finden sich unzählige Anleitungen für textiles Gestalten, Holzbearbeitung und andere handwerkliche Fertigkeiten. Welchen Zweck erfüllen diese Tätigkeiten in der sogenannten Wegwerfgesellschaft? 

Hand und Hirn haben einander in der Evolution wechselseitig beeinflusst und händische Tätigkeiten wirken sich auf den Zustand und die Aktivität unseres Gehirns aus. Ein Zusammenhang, der schon in der Antike durch Beobachtungen hergestellt wurde. Der Arzt Galenos von Pergamon formulierte im zweiten Jahrhundert nach Christus über die Behandlung mentaler Erkrankungen: "Die Arbeit ist der beste Arzt, den die Natur gegeben hat". 1793 wurde dieser Gedanke vom Psychiatriereformer Philippe Pinel wieder aufgenommen und 1908 mit der Gründung der ersten Schule für Beschäftigungstherapie in Chicago institutionalisiert. Nach dem ersten Weltkrieg gewann sie als Arbeitstherapie zur Wiedereingliederung der Kriegsinvaliden in den USA und Europa eine zusätzliche Bedeutung. 

Die positive Wirkung handwerklicher Tätigkeiten auf Koordinationsfähigkeit, Selbstvertrauen und Regeneration, ja sogar auf körperliche Symptome wie den Blutdruck, findet heute in der Rehabilitation physisch und psychisch Kranker, der Ergotherapie und der kreativen Freizeitgestaltung Anwendung. Christa Nebenführ hat Erfahrungsberichte und wissenschaftliche Erkenntnisse gesammelt und dabei unter anderem die vielfältigen gesellschaftlichen Spuren des Strickhandwerks entdeckt.

Gestaltung: Christa Nebenführ 


Lutz Staacke: Maleknitting. Stricken ist männlich. Handfeste Strickprojekte für echte Kerle, Edition Michael Fischer 2015
Dave Fougner: The Manly Art of Knitting, Stricken für Männer, Suhrkamp Verlag 2016
Ruth Aspöck: (S)trickspiel, Edition die Donau hinunter 2003
Manfred Spitzer: Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen, Droemer HC 2012
Frank R. Wilson: Die Hand, Geniestreich der Evolution, Klett-Cotta 2000
Herbert Benson: The Relaxation Response, HarperTorch 1976




Comments: Kommentar veröffentlichen

<< Home

This page is powered by Blogger. Isn't yours?