31.7.18

 

Online-Museum für analoge Geräusche

Die surrende Wählscheibe bei alten Telefonen, eine ratternde Rechenmaschine aus den 50er Jahren oder das mechanische Aufziehen und Klicken eines Fotoapparats - diese Geräusche und viele andere Sounds, die aus unserem Alltag langsam verschwinden oder nicht mehr zu hören sind, kann man im Online-Archiv "Conserve the Sound" anhören. Das Projekt, das zwei Kommunikationsdesigner initiiert haben, wird von der Film- und Medienstiftung NRW gefördert. 

Conserve the Sound 

Ö1

Interview Olaf Mierau

Olaf Mierau ist u.a. Supervisor für Sounddesign bei Film-, Fernseh- und Werbeproduktionen. Er ist Mitglied im Art Directors Club Deutschland und seit 2007 Dozent für Sounddesign am Institut Fuer Musik und Medien der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf.
Welchen Stellenwert haben Geräusche für Sie im täglichen Leben?
Als Soundsupervisor sind sie die Grundlage meines Berufs. Sie inspirieren mich.
Ich kann sie ein- und ausschalten, einzeln oder zusammen hören. Übrigens kann
das jeder, wenn er es ein wenig übt.
Was ist Ihr Lieblingsgeräusch und warum?
Oh, das würde ebenso den Rahmen sprengen, als würde ich nach meiner Lieblingsmusik gefragt. Grillen erzählen mir warme Nächte in Los Angeles, Salzwasserwellen schicken mich in die Bretagne, das nächtliche entfernte Quietschen von Straßenbahnschienen nach Berlin, ein langsamer Schiffs-
dieselmotor zu den Tintenfischfischern nach Kroatien… Diese Liste könnte
ich unendlich fortsetzen.
Welches Geräusch erinnert Sie an Ihre Kindheit? Was verbinden Sie damit?
Eine Ledernähmaschine und das Hämmern auf Schuhsohlen von Schuster Theiß
in Mecklenburg, dem ich in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts
tagelang bei der Arbeit zugesehen habe und dabei auf seinem Werkstattthresen sitzen durfte.
Welches verschwindende Geräusch sollte konserviert werden und warum?
Mal ganz abgesehen den Geräuschen aller bedrohten Tierarten, alle Verbrennungsmotoren. Es sind größtenteils wunderschöne Klänge, die es bald nicht mehr geben wird. Ich hoffe übrigens sehr, dass die Tiere länger überleben. Und natürlich alle mechanischen Wunderwerke, wie Uhren, Druckmaschinen, Waffen – alles was eben noch so „analog“ ist und bald sterben wird.
Welchen Sinn hat Sounddesign?
Der Klang macht die emotionale Wirkung, im Film, in der Werbung, an Produkten des täglichen Bedarfs, im Leben. Sound steuert ursächlich unser Wohlbefinden. Die meisten Menschen, ich schätze so etwa 50%, haben leider verlernt zu hören oder sind sehr visuell-intellektuell und hören überhaupt nicht bewusst. So verhält es sich auch mit den Beispielen der Frage: Etwa die Hälfte davon sind sorgfältig und verantwortungsvoll produziert – die andere Hälfte achtlos und meistens einfach nur laut. Und ja, Sounddesign ist meine Lebensgrundlage.
Sollte man Geräusche konservieren? Warum?
Man sollte unbedingt. Wir tun das ohnehin beruflich für Filme. Aber es sollte auch Bibliotheken geben, in denen jedermann sie sich anhören kann. Wie könnte mir sonst eine 20jährige Sounddesignerin das Geräusch eines Dritter-Klasse-Eisenbahnwaggons mit Dampflokomotive produzieren, denn sie konnte diesen Klanggenuss nie selbst erleben. Das rhythmisch-einschläfernde Rattern der Räder auf den Schienenanschlüssen, den Wasserstopp der Lokomotive auf freier Strecke, das Schnaufen der Lokomotive am Berg, die durchdrehenden Räder, „Blumen pflücken währen der Fahrt verboten.“ Aber auch für Kinder wäre es sehr lehrreich und Senioren hätten ihre helle Freude daran: „Ach weißt Du noch damals, als der Bierkutscher nachts an unserem Haus vorbeigefahren ist? Das leise Klirren der leeren Flaschen in den Bierkästen, das Rattern der Räder auf dem Kopfsteinpflaster, das Wiehern des Ackergauls…..hach..“
Wie nehmen Sie den Wandel der Geräusche war?
Gibt es überhaupt einen Wandel, kann man ihn beschreiben?
Den ersten Flash hatte ich 1981, als ist von Ost-nach Westberlin kam. Schaltete man damals mal alle Zweitakter aus, kam man sich vor als hätte man Watte im Ohr. Heute verschiebt es sich wirklich von Mechanik zu Elektronik, von Holz/Naturstoffen zu Plastik, von mechanisch erzeugten zu synthetisch und designten Geräuschen. Leiser wird es leider noch nicht, weil immer noch jeder/s der/das Lauteste sein möchte. Aber es gibt wohltuende Inseln. In urbanen Räumen gibt es keine Stille mehr. Das wurde mir erst klar, als ich ganz alleine im Joshua Tree-Nationalpark in der kalifornischen Wüste stand und mich das Geräusch einer Fliege zu Tode erschreckte.
Kann man Rückschlüsse vom akustischen Wandel auf die Gesellschaft
bzw. deren Wandel ziehen? In wie weit beeinflussen sich akustischer
und Gesellschaftlicher Wandel?
Je mehr Industrialisierung, Globalisierung – umso lauter und übrigens auch schneller wird es. Die Gesellschaft beeinflusst also die Akustik. Und wenn es der industrialisierten Gesellschaft zu viel wird, fährt sie dorthin, wo es (noch) leise ist, erholt sich dort und macht dort ordentlich Lärm, bis der Zwang zum Wachstum den wirtschaftlichen Erfolg und den Lärm der Industrialisierung auch dorthin bringt. Wir müssen alle wieder lernen zu hören. Licht schaltet man ja auch aus, wenn es zu hell wird. Oder man macht die Augen einfach zu, wenn es zu viel wird. Der Mensch hat aber keine Ohrenlider. Warum nur?
Olaf Mierau, Berlin, 24. Januar 2013

JU 52
Schreibmaschine

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