14.10.18

 

1918, 1938 und die Kirche

Symposium in Wien. Für gerechte Beurteilung und gegen verkürzte Sichtweisen.

Für Zurückhaltung bei moralischen Urteilen und beim Verteilen von „Haltungsnoten“, was das Verhältnis der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus betrifft, hat sich der Wiener Kirchenhistoriker Rupert Klieber ausgesprochen. Ähnliche Plädoyers für Behutsamkeit äußerten beim Symposium „Katholische Kirche zwischen 1918 und 1938/,Christus ist euer Führer‘“ am 5. Oktober im Wiener Erzbischöflichen Palais auch andere Referenten, etwa Kurt Scholz als Vertreter des Zukunftsfonds der Republik Österreich oder die Wiener Archivarin Annemarie Fenzl. Anlass der Veranstaltung waren der 80. Jahrestag der Feier des Rosenkranzfestes am 7. Oktober 1938 im Wiener Stephansdom – es handelte sich um die größte kirchliche Widerstandsmanifestation gegen das NS-Regime – und der 100. Jahrestag der Proklamation der Republik (12. November 1918).

Verkürzte Sicht. Kurt Scholz vom Zukunftsfonds der Republik Österreich kritisierte, dass der damalige Wiener Erzbischof, Kardinal Theodor Innitzer, von einer oft „reduktionistischen“ zeitgenössischen Geschichtsschreibung meist nur als Verantwortlicher für die „Feierliche Erklärung“ der österreichischen Bischöfe mit dem Ja zum „Anschluss“ an Hitlerdeutschland und für das handschriftlich daruntergesetzte „Heil Hitler“ gesehen werde und nicht mit seinem ganzen Lebenswerk.
Annemarie Fenzl, frühere Büroleiterin von Kardinal Franz König, erinnerte dazu an die von Innitzer errichtete „Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“, die Fluchthilfe für hunderte NS-Verfolgte leistete. Aus der Geschichte zu lernen muss nach den Worten der langjährigen Wiener Diözesanarchivarin bedeuten, Verständnis für die jeweiligen Zeitumstände aufzubringen und sich selbstkritisch zu fragen: „Wie hätte ich gehandelt?“

1918: Geburtshilfe für die Republik. Die Grazer Kirchenhistorikerin Michaela Sohn-Kronthaler schilderte den bemerkenswerten Kurswechsel der „de facto von Kaiser Franz Joseph ernannten“ Bischöfe von „unentwegter Treue“ zur Habsburgermonarchie hin zu einem Loyalitätsaufruf zugunsten der Demokratie im November 1918. Noch am Tag der Republik-Proklamation mahnte der Wiener Kardinal Friedrich Piffl seinen Klerus und die Gläubigen zur unbedingten Treue gegenüber dem nun rechtmäßigen Staat Deutschösterreich. 1918 und dann aber auch 1938 habe die Kirche jenen „Pragmatismus“ gezeigt, der ihr ein möglichst unbeeinträchtigtes seelsorgliches Wirken sichern sollte.
Warum es unter der NS-Herrschaft seitens der kirchlichen Hierarchie zu einer beschwichtigenden „Appeasement-Politik“ kam, begründete die Grazer Kirchenhistorikerin zum einen mit der auf den paulinischen Römerbrief zurückgeführten katholischen Tradition, der jeweiligen staatlichen Obrigkeit Gehorsam zu leisten, zum anderen mit dem Bestreben, trotz vieler Schikanen die Seelsorge abzusichern. Die Bischöfe wie der von den Nazis sogar kurzzeitig inhaftierte Grazer Oberhirte Ferdinand Pawlikowski seien im Zuge des „Anschlusses“ unter enormem Druck gestanden, dem Diktat von Gauleiter Josef Bürckel Folge zu leisten. Bereits ab dem 
12. März 1938, dem Tag der NS-Machtübernahme, wurden Priester und Laien verhaftet, die Caritas, Klöster und kirchliche Schulen und Organisationen beschlagnahmt oder 
aufgelöst.

Widerstand beim Rosenkranzfest. Dass es am 7. Oktober 1938 nach dem Rosenkranzfest im Wiener Stephansdom zu einer Manifestation christlichen Widerstands gegen das Regime kam, war nach den Worten des Wiener Kirchenhistorikers Klieber untypisch für das sonst öffentlich unspektakuläre Verhältnis zwischen Kirche und Nationalsozialismus. Kardinal Innitzer löste damals mit seiner Predigt vor rund 7000 begeisterten jungen Katholiken und dem Satz „Euer Führer ist Christus“ eine ungeplante Kundgebung vor dem Erzbischöflichen Palais aus, die tags darauf ein gewaltsames Eindringen der Hitlerjugend ebendort zur Folge hatte. Bei einer NS-Massenkundgebung mit 200.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz eine Woche später machte Gauleiter Bürckel gegen Innitzer und die Kirche Stimmung, etwa mit Spruchbändern „Die Pfaffen an den Galgen“ oder „Innitzer und Jud, eine Brut“.

Übersehene Opfer. Nach Kriegsende verfolgte die katholische Kirche in Österreich eine Politik des „Verzeihens um jeden Preis“, die jedoch auf die theologisch geforderte Reue der vormaligen Nazis verzichtete. Darauf wies die ORF-Redakteurin und Buchautorin Eva Maria Kaiser („Hitlers Jünger und Gottes Hirten“) beim Symposium hin.
Kaiser stieß bei Recherchen in allen österreichischen Diözesanarchiven auf einen heute befremdlich ignoranten Umgang der Kirche mit den von den Nazis verfolgten Geistlichen: Immerhin 700 Priester wurden inhaftiert, 110 kamen ins KZ, von denen 83 überlebten – und nach ihrer Heimkehr oft auf Ignoranz oder gar Ablehnung aus schlechtem Gewissen stießen.

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