27.1.09

 

Die Geschichte von Dornröschen

Dornröschen wird von einer weisen Frau verflucht, sie solle sich mit 15 Jahren an einer Spindel stechen und daran sterben. Eine andere Frau kann diesen Fluch nur abmildern und in einen hundertjährigen Schlaf verwandeln. Tatsächlich ereilt sie dieses Schicksal. Das ganze Schloß schläft ein und eine dicke Dornendecke wächst darüber. Alle Prinzen, die das hübsche Mädchen befreien wollen, scheitern kläglich. Erst nach hundert Jahren gelingt es einem jungen Mann ohne Furcht und Angst, die Grenze zu überschreiten und er befreit die Prinzessin.


Was steckt dahinter?

Das Mädchen ist mit 15 Jahren seiner Sexualität begegnet. Sie hat sich daran verletzt. Sie ist noch nicht fähig, mit ihr umzugehen. Das führt dazu, daß sie eine Dornenhecke braucht. Sie möchte auf der einen Seite die Beziehung zum Mann. Auf der anderen Seite wehrt sie sich dagegen. Sie hat Angst nochmals gestochen zu werden. Daher sticht sie lieber die, die um sie werben. Manche Frauen schaffen um sich so eine Dornendecke, die Männer gerade anzieht. Doch sobald ihnen ein Mann zu nahe kommt, ziehen sie sich hinter eine undurchdringliche Mauer zurück.

Die Dornenhecke symbolisiert auch eine zeitliche Grenze. Das Mädchen ist mit 15 Jahren noch nicht reif, mit einer Spindel richtig umzugehen. Sie muß erst hundert Jahre schlafen, bevor sie zur Liebe reif ist. Hundert ist ein Bild der Ganzheit. Dornröschen muß erst ganz sie selber werden, bevor ein Freier zu ihr vordingen kann. Die Grenze der Dornenhecke gewährt ihr den Schutzraum des Reifens. Nach hundert Jahren werden die Dornen in Blumen verwandelt. Jetzt laden sie den Freier ein, zu Dornröschen vorzudringen.

Es gibt auch zeitliche Grenzen, die wir beachten müssen. Wir möchten etwas erzwingen, aber es geht nicht. Wir müssen warten, bis es an der Zeit ist. Sonst bleiben wir an den Dornen hängen und verletzen uns selbst mit unseren Grübeleien oder mit unseren gewaltsamen Versuchen, eine Entscheidung zu erzwingen.

Anselm Grün über Grenzen

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