22.12.13

 

Marsch der Mistgabeln auf Rom


Italien erlebt in der Vorweihnachtszeit die Ankunft der „Forconi“. Eine neue, radikale Protestbewegung der Enteigneten und Verarmten. Und ihr Schlachtruf lautet: Raus aus Europa!

Zum Einkaufen in die luxuriösen Modegassen von Mailand? Ein Familienausflug auf die Christkindlmärkte in Südtirol? Oder massenhaftes Shopping in den immer beliebteren Spacci, den Geschäftsdörfern voller verbilligter Markenware an der Autobahn? Den Italienern werden ihre adventlichen Konsumbräuche dieses Jahr von einer rabiaten Volksbewegung erschwert.
„Forconi“ (Mistgabeln) nennen sich die aufgebrachten Kleinbürger, die seit dem 9. Dezember mit großem Erfolg und chaotischen Folgen Autobahnen blockieren, allerorten Widerstandscamps errichten und sich in Großstädten wie Rom, Turin und Vicenza heftige Schlägereien mit den Ordnungskräften liefern. Das politische Programm der selbsternannten Widerständler lässt sich auf zwei Kernpunkte reduzieren: Weg mit der Regierung! Und raus aus dem Euro und der EU!
Wer sind diese Leute, die in Umfragen bei den Italienern auf Sympathiewerte von über vierzig Prozent kommen? Zuallererst wird mit der Mistgabelbewegung die Misere von Millionen deutlich, die angesichts von Arbeitslosigkeit, Steuern und Schulden gar nicht erst auf die Idee kämen, fröhlich zu konsumieren. Italien zählt heute Hunderttausende von Kleinfirmen, die unter der Last von Hypotheken und mangelnder Binnennachfrage pleitegingen und von Konkursverwaltern übernommen wurden.

Es sind diese Bauern mit überteuerten Maschinen oder Gewächshäusern, diese Schreiner mit improvisierten Werkstätten, diese fahrenden Ramschhändler, die im Brachland von Neubauvierteln für Centbeträge ihre Klamotten feilbieten, die jetzt wütend selbstgemalte Transparente in die Fernsehkameras recken: „Italien zu verkaufen!“, „Scheiß-Europa“, „Wir fordern nationale Souveränität“. Ihr Land ist nicht das Italien der historischen Prachtplätze, sondern eine Welt der Vorstädte, Zuwanderung und Armut, die mehr an den Neorealismo der fünfziger Jahre als an einen prosperierenden Wohlfahrtsstaat denken lässt. Wenn der Industriellenverband jetzt gigantische Verluste im Export- und Weihnachtsgeschäft durch die Blockaden vorrechnet, ist das den „Forconi“ egal.

Die staatliche Pfändungsbehöre „Equitalia“ zählt auch daher zu den Feinden der „Forconi“, weil sich hier die notorische Ineffizienz der Verwaltung mit gnadenloser Härte verbindet. Während die Behörde für die Abwicklung von Prozessen oft Jahre braucht, werden die Betroffenen währenddessen von festgesetzten Wucherzinsen erwürgt. Der Zorn vieler Enteigneter und Arbeitsloser, die seit Jahren mit sechhundert Euro Stütze auskommen müssen und deren Kinder keine Stelle finden, hat sich derart aufgestaut, dass Innenminister Alfano bereits vor einer Volksrebellion warnte. Und auch das katholische Bistumsblatt „Avvenire“ appellierte an die Politik, Wut und Hoffnungslosigkeit nicht einfach abzutun.

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