16.3.14

 

Die Psalmen beten lernen – mit Bonhoeffer


Das Problem.
Jeder, der versucht, die Psalmen zu beten, macht irgendwann die Erfahrung, dass er über Aussagen und Abschnitte stolpert, die er sich einfach nicht aneignen und zum persönlichen Gebet machen kann. Jeder gläubige Christ sieht sich jetzt vor einem Dilemma: Er kann die Psalmen nicht einfach als veraltet, überholt oder „religiöse Vorstufe“ abtun, weil sie Teil vom Wort Gottes sind. Sie sind das Gebet- und Gesangbuch der Bibel. Er kann sie aber auch nicht selber beten.
Die einfache Lösung wäre der Ratschlag, sich an die einfachen und verständlichen Psalmen bzw. Stellen zu halten. Und genau das passiert ja auch vielfach, wenn Psalmen vertont oder in den Gottesdienst integriert werden: man lässt die schwierigen, anstößigen Verse einfach aus. Aber eigentlich ist dieser Punkt in der eigenen Erfahrung der erste Blick in das Geheimnis der Psalmen: man merkt, dass hier ein anderer betet.

Die Lösung.
Nur ein Mensch kann so seine Unschuld beteuern, Gottes Gericht herabrufen, und aus einem so abgrundtiefen Leiden heraus sprechen: der Mensch Jesus Christus. Die Psalmen ergeben Sinn, wenn man sie als Gebete von Jesus liest. Jesus hat als gläubiger Jude die Psalmen gebetet und gesungen. Das NT zeugt davon: Psalm 22 am Kreuz. Jesus ist der Mittelpunkt der Bibel, die Bibel muss vom Kreuz aus gelesen werden – auch die Psalmen. Deswegen bedeutet die Psalmen zu beten, mit Jesus (in seinem Namen) zu beten. Sie sind zuerst sein Gebet. Das ist der Ausgangspunkt, die erste Ebene. Wenn ich also die Psalmen bete, betet Jesus durch mich.
Die Psalmen sind aber auch das Gebet der Kirche. Weil die Gemeinde als Ganzes (die eine, heilige, christliche Kirche) sein Leib ist, und weil sie gemeinschaftlich die beschriebenen Erfahrungen macht, ist es auch in Ordnung, wenn ich mich als einzelner Christ nicht mit allem identifizieren kann, was ich lese und bete. Ich bin als Einzelner Teil der Stimme der globalen und historischen Gemeinde. Das befreit mich a) davon, auf mein eigenes Herz hören zu müssen, um beten zu können, und b) davon, selbstzentriert zu beten.
Diese beiden Ebenen kommen zuerst, sie sind wichtiger. Am Anfang steht Jesus. Dann kommt die Gemeinschaft der Gläubigen. Und dann komme ich als einzelner Beter. Und bei all den Aussagen in den Psalmen, die nur Jesus sagen darf, oder die ich nur stellvertretend für andere Menschen beten kann – es bleibt trotzdem eine Menge an Sätzen und Psalmen, die ich so wie sie sind zu meinem Gebet machen kann. Sie geben mir vielleicht die Worte, die ich nicht finde.

Die Praxis.

Dürfen wir die Rachepsalmen beten? Nicht, wenn sie Ausdruck unserer eigenen bösen Rachegedanken sind. Aber wenn wir sie in Verbindung mit Christus bringen, der Gottes Rache stellvertretend auf sich genommen hat, um seinen Feinden vergeben zu können, ja.
Dürfen wir die Unschuldspsalmen beten, und uns selbst als unschuldig, fromm und rein bezeichnen? Nicht, wenn wir damit unsere Selbstgerechtigkeit besingen. Aber wenn wir dabei daran denken, dass Gott uns durch das Blut von Jesus seine Reinheit, Unschuld und Heiligkeit geschenkt hat, und wir damit „bekleidet“ sind – ja.
Dürfen wir die Leidenspsalmen beten? Wenn wir versuchen, uns in etwas reinzusteigern, was eigentlich keine eigene Erfahrung von uns ist, nein. Aber wenn wir dabei an Jesus denken, der alle Krankheit, alles Leid, jeden Schmerz, sämtliche Abgründe erlebt hat, um sich mit uns zu identifizieren, dann ja.

„Es bleibt in allem unserm Beten immer nur das Gebet Jesu Christi, das die Verheißung hat und das uns von heidnischem Geplapper befreit. Je tiefer wir in die Psalmen wieder hineinwachsen, und je öfter wir sie selber gebetet haben, desto einfacher und reicher wird unser Gebet werden.“ 

Dieser Artikel besteht zum Großteil aus einer Zusammenfassung von dem, was Dietrich Bonhoeffer in ‘Gemeinsames Leben’ und in ‘Die Psalmen – Gebetbuch der Bibel’ zu diesem Thema geschrieben hat.)

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