12.7.16

 

Ist Merkel schuld an Flüchtlingskrise? Wer sonst?

Der Migrationsforscher Paul Collier weist allein Angela Merkel die Schuld an der Flüchtlingskrise zu. Die deutsche Einwanderungspolitik habe niemanden gerettet – sondern "eher Tote auf dem Gewissen".

Paul Collier ist ein viel beschäftigter Mann. Der in Oxford lehrende Ökonom gehört zu den führenden Migrationsforschern weltweit. Seine Empfehlungen zur Lösung der größten Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg sind gefragt. 

Der ehemalige Direktor der Weltbank warnt vor falschen Tabus und plädiert für eine leidenschaftslose Analyse. Die Polarisierung zwischen Gegnern und Befürwortung der Einwanderung mischt er gehörig auf. Nichts verdeutlicht das mehr als sein wegweisendes Buch zum Thema Migration, das er 2014 unter dem Titel "Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" geschrieben hat.

Man muss da ganz klar unterscheiden. Wir haben es in dieser Flüchtlingskrise zum einen mit gescheiterten Staaten wie Syrien zu tun. Den Menschen, die von dort flüchten, geht es um das nackte Überleben. Da reden wir von ungefähr 14 Millionen Menschen. Und dann gibt es noch all jene, die in armen Ländern leben und sich auf den Weg in die reiche westliche Welt machen, um dort ihr Glück zu finden. Das sind Hunderte Millionen Menschen. Eine gewaltige Masse, die, wenn sie sich einmal in Bewegung setzt, kaum noch steuerbar ist.

Bis zum vergangenen Jahr waren Flüchtlinge für Europa kein großes Thema. Ich verstehe bis heute nicht, warum Frau Merkel so gehandelt hat. Sie hat Deutschland und Europa damit definitiv ein gewaltiges Problem aufgebürdet, das sich nun auch nicht mehr so einfach lösen lässt. 

Deutschland gefällt sich offensichtlich in der Retterrolle. Aber es grenzt an keines der Krisen- oder Kriegsländer. All diese Menschen, die zu Ihnen kommen, haben sich aus sicheren Drittstaaten auf den Weg gemacht. Deutschland hat keinen einzigen Syrer vor dem Tod gerettet. Im Gegenteil: Deutschland hat trotz bester Absichten eher Tote auf dem Gewissen. Die Sache ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Viele Menschen haben Merkels Worte als Einladung verstanden und sich danach überhaupt erst auf den gefährlichen Weg gemacht, haben ihre Ersparnisse geopfert und ihr Leben dubiosen Schleppern anvertraut.

Grenzen und Zäune sind sicherlich nicht die Lösung für das Problem. 


Es muss einen radikalen Schwenk in der Kommunikation geben. Europa muss klar sagen, dass sich die Wohlstandsmigranten gar nicht erst auf den Weg zu machen brauchen. Und auch die Flüchtlinge, die sich in Sicherheit bringen wollen, können das nicht länger in Europa tun, sondern in den sicheren Nachbarstaaten, ganz so, wie es völkerrechtlich festgelegt ist. Das Prinzip, dass sichere Anrainerstaaten Schutz bieten sollen, muss aus zwei Gründen zwingend gelten: Zum einen kommen die Flüchtlinge in das sichere Nachbarland am einfachsten hinein, ohne sich unnötig in Gefahr zu bringen. Und wenn wieder Frieden in ihrer Heimat herrscht, können die Flüchtlinge auch sehr einfach wieder zurück und beim Wiederaufbau helfen.

Viele Flüchtlinge in Deutschland scheinen sich allerdings langfristig hier niederlassen zu wollen. 
Das wird in der ganzen Diskussion oft vergessen. Es machen sich vor allem die vergleichsweise gut ausgebildeten und relativ Wohlhabenden auf den Weg. Genau diese Menschen werden auch nicht wieder zurückgehen, wenn sie einmal im Westen Fuß gefasst haben. Den Krisenländern fehlen dann genau jene Menschen, die sie für eine stabile Zukunft am dringendsten brauchten.


Ich habe mir eines dieser Aufnahmelager in Jordanien angesehen. Das Leben dort ist nicht großartig, aber erträglich. Und nur darauf kommt es an. Wir müssen den Menschen, die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, helfen. Aber deshalb haben sie noch lange keinen Anspruch auf einen Platz im europäischen Wohlstandshimmel.

Natürlich sollen die Schwellenländer nicht auf den Kosten der Flüchtlingsversorgung sitzen bleiben. Es ist definitiv Sache der reichen Länder, sie dafür angemessen zu entschädigen.

Dann gefällt Ihnen Schäubles Vorschlag eines Marshallplans für die sicheren Anrainerländer?
Absolut, das ist genau der richtige Ansatz. Dreh- und Angelpunkt ist es allerdings, all diese Menschen wieder in Jobs zu bringen. Momentan haben die Flüchtlinge in den großen Auffanglagern in Jordanien oder der Türkei keine wirkliche Perspektive. Bringt man sie vor Ort in Jobs, schwindet auch der Anreiz, weiter nach Westeuropa zu ziehen. Wer Jobs schafft, hat auch eine gewisse Kontrolle über die Flüchtlinge. Zäune hingegen oder Schutzgeld für die Türkei sind weniger effektiv.


Europa führt die völlig falsche Debatte. Die Europäische Union ist nicht zuständig für die Aufnahme der Flüchtlinge. Es ist aber sehr wohl zuständig dafür, seine eigenen Grenzen zu sichern, entweder gemeinschaftlich oder, wenn das nicht geht, dann eben jeder Einzelstaat für sich. Ich verstehe nicht, warum darüber überhaupt debattiert wird.


In Ihrem Buch haben Sie davor gewarnt, dass zu viele Migranten die soziale Struktur der Gesellschaft gefährden. Gerade nach den Übergriffen von Köln ist diese Gefahr doch real?

Das glaube ich nicht. Die Menschen werden erkennen, dass der Zustrom nur die Folge eines großen Politikfehlers war, der wieder behoben wird. Aber sicher wird es mit der Integration schwierig. Diese wird umso schwieriger, je mehr Migranten sich in einem Land befinden und auf engem Raum zusammenleben. Denn dann sinkt die Notwendigkeit, sich wirklich kulturell und sprachlich für das Gastland zu öffnen. In der Folge entstehen schwer steuerbare Parallelgesellschaften. 

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