10.7.16

 

Ahmad Mansour: "Ich war einmal ein Islamist"

Alles fing mit einem Imam an, der in seinem Heimatdorf lehrte: Ahmad Mansour war ein schüchterner Junge und fand Sicherheit in der fundamentalistischen Ideologie. In einem Gastbeitrag erzählt er, wie er sich von den Verführungen des religiösen Fundamentalismus abgewendet hat. 

 Radikale Varianten des Islam breiten sich in migrantischen Milieus und unter einigen Deutschen so schleichend wie wirksam aus. Salafisten wie mein damaliger Imam gehen auch hier inzwischen auf Kinderfang. Prediger wie Abu Nagi oder Pierre Vogel und deren Anhänger bieten Kindern und Jugendlichen Zuflucht, Akzeptenz und Orientierung. Technisch haben sich die Methoden verändert, inhaltlich nicht. Im Internet finden junge Leute mit wenigen Klicks die Webseiten, die ihnen – auf Deutsch – einen Islam anbieten, der Reinheit verspricht. Design und Sound der Videos lehnen sich an Videospiele an. Bärtige Salafisten in langen Gewändern agieren als selbst ernannte Streetworker, die Jungen und Jugendliche von Crack und Alkohol weg zu ihrer Gemeinde holen, wo sie Religion als Ersatzdroge im Angebot haben: „Mit Allah kannst du mehr aus dir machen!“ Von Eltern deutscher Konvertiten höre ich bei Workshops Klagen, Jugendliche weigerten sich, ihren Geburtstag zu feiern, weil das haram – unrein – sei; sie wollten an Weihnachten und Ostern mit der Familie nichts zu tun haben.

Inzwischen hat das Innenministerium zwar mehrere salafistische Vereine wie „DawaFFM“ und „Islamische Audios“ wegen Verfassungsfeindlichkeit verbieten lassen und aufgelöst. Doch die Köpfe sind noch da, neue Vereine sind schnell gegründet. Zu den organisierten Salafisten werden etwa 10 000 Menschen in Deutschland gezählt, ihr sympathisierendes Umfeld muss man als mindestens zehnmal so groß einschätzen.

Haben sich Jugendliche einmal der Autorität der Salafisten ergeben, werden sie wie in einer Sekte zu willenlosen Marionetten, von eiserner Hand geführt. Kritisches Denken wird systematisch unterbunden. Der Allah, der ihnen präsentiert wird, lässt nicht mit sich reden. Zweifel sind tabu. Individuelle Gefühle sind tabu. Den Verführern nutzt es, dass meist auch das gängige Islamverständnis eines „Mustafa-Normal-Muslims“ autoritäre Züge aufweist. Eine an Kontrolle orientierte Erziehung, die auf Kollektivität und Respekt vor Autorität abzielt, verstärkt die Anfälligkeit von Jugendlichen für jene, die ihnen sagen: So und so musst du dich verhalten, das darfst du, das darfst du nicht. Bei einigen Salafisten geht das so weit, dass sie Jugendlichen vorgeben, mit welchem Fuß man die Toilette zuerst betreten soll, weil Mohammed es angeblich immer genauso gehalten habe. Demokratie ist in ihren Augen Teufelszeug, das zu Schwulenehen und anderen Sünden führt. Von „normaler“ Frömmigkeit über zwanghafte Ideologisierung bis zum gewaltbereiten Fundamentalismus sind die Übergänge fließend.

Schläge in der Erziehung sähen Gewalt

Auf dem Hintergrund meiner Erfahrungen plädiere ich dafür, den Salafismus viel genauer zu beobachten und seine Ideologien klarer zu analysieren. Die Gesellschaft sollte sich nicht in die Irre führen lassen und nur darauf achten, ob Salafisten und Islamisten das Bombenlegen preisen. Tatsächlich sind gewaltbereite Dschihadisten noch in der absoluten Minderheit, sogar unter Salafisten. Doch die Fixierung der Sicherheitskräfte auf den Jargon der Gewalt führt dazu, dass andere demokratiefeindliche Inhalte unbeachtet bleiben. Manchmal wird sogar ein Imam, der ein reines Lippenbekenntnis zur Demokratie ablegt, als deren Stütze gefeiert – da setzt der Irrtum ein. Gewalt beginnt nicht erst, wo Menschen im Namen von Religion andere töten wollen. Auch Schläge in Erziehung und Ehe säen Gewalt, auch das Propagieren von Geschlechterapartheid, der Exklusivitätsanspruch einer Religion, das Ablehnen von Rechtsstaat und Demokratie oder der Glaube, andere vor einem gottlosen Leben retten zu müssen: All das repräsentiert Facetten struktureller Gewalt, die der physischen vorgelagert und deren Bedingung ist.


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