25.12.16
Wie die US Wahl gewonnen wurde
Der Psychologe Michal Kosinski hat eine Methode entwickelt, um Menschen
anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. Und
verhalf so Donald Trump mit zum Sieg.
Der 34-jährige Forscher ist für einen Vortrag am Risikocenter der ETH angereist, zu einer Tagung über die Gefahren von Big Data und des sogenannten digitalen Umsturzes. Solche Vorträge hält Kosinski ständig, überall auf der Welt. Er ist ein führender Experte für Psychometrik, einen datengetriebenen Nebenzweig der Psychologie. Als er an diesem Morgen den Fernseher einschaltet, sieht er, dass die Bombe geplatzt ist: Entgegen den Hochrechnungen aller führenden Statistiker ist Donald J. Trump gewählt worden.
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Der 34-jährige Forscher ist für einen Vortrag am Risikocenter der ETH angereist, zu einer Tagung über die Gefahren von Big Data und des sogenannten digitalen Umsturzes. Solche Vorträge hält Kosinski ständig, überall auf der Welt. Er ist ein führender Experte für Psychometrik, einen datengetriebenen Nebenzweig der Psychologie. Als er an diesem Morgen den Fernseher einschaltet, sieht er, dass die Bombe geplatzt ist: Entgegen den Hochrechnungen aller führenden Statistiker ist Donald J. Trump gewählt worden.
Wie gefährlich ist Big Data?
Jeder, der nicht die letzten fünf Jahre auf dem Mond
gelebt hat, kennt den Begriff «Big Data». Big Data bedeutet auch, dass
alles, was wir treiben, ob im Netz oder ausserhalb, digitale Spuren
hinterlässt. Jeder Einkauf mit der Karte, jede Google-Anfrage, jede
Bewegung mit dem Handy in der Tasche, jeder Like wird gespeichert.
Besonders jeder Like. Lange war nicht ganz klar, wozu diese Daten gut
sein sollen – ausser dass in unserem Facebook-Feed Blutdrucksenker
beworben werden, weil wir grad «Blutdruck senken» gegoogelt haben.
Unklar war auch, ob Big Data eine grosse Gefahr oder ein grosser Gewinn
für die Menschheit ist. Seit dem 9. November kennen wir die Antwort.
Denn hinter Trumps Onlinewahlkampf und auch hinter der Brexit-Kampagne
steckt ein und dieselbe Big-Data-Firma: Cambridge Analytica mit ihrem
CEO Alexander Nix. Wer den Ausgang der Wahl verstehen will – und was auf
Europa in den nächsten Monaten zukommen könnte –, muss mit einem
merkwürdigen Vorfall an der britischen Universität Cambridge im Jahr
2014 beginnen. Und zwar an Kosinskis Department für Psychometrik.
Psychometrie, manchmal auch Psychografie
genannt, ist der wissenschaftliche Versuch, die Persönlichkeit eines
Menschen zu vermessen. In der modernen Psychologie ist dafür die
sogenannte Ocean-Methode zum Standard geworden. Zwei Psychologen war in
den 1980ern der Nachweis gelungen, dass jeder Charakterzug eines
Menschen sich anhand von fünf Persönlichkeitsdimensionen messen lässt,
den Big Five: Offenheit (Wie aufgeschlossen sind Sie gegenüber
Neuem?), Gewissenhaftigkeit (Wie perfektionistisch sind Sie?),
Extraversion (Wie gesellig sind Sie?), Verträglichkeit (Wie
rücksichtsvoll und kooperativ sind Sie?) und Neurotizismus (Sind Sie
leicht verletzlich?). Anhand dieser Dimensionen kann man relativ genau
sagen, mit was für einem Menschen wir es zu tun haben, also welche Bedürfnisse und Ängste er hat, und aber auch, wie er
sich tendenziell verhalten wird. Das Problem aber war lange Zeit die
Datenbeschaffung, denn zur Bestimmung musste man einen komplizierten,
sehr persönlichen Fragebogen ausfüllen. Dann kam das Internet. Und
Facebook. Und Kosinski.
Für den Warschauer Studenten Michal
Kosinski begann ein neues Leben, als er 2008 an der ehrwürdigen
Cambridge University in England aufgenommen wurde: am Zentrum für
Psychometrie, im Cavendish Laboratory, dem ersten Psychometrie-Labor
überhaupt. Mit einem Studienkollegen stellte Kosinski eine kleine App
ins damals noch überschaubare Facebook: Auf MyPersonality, so hiess die
Applikation, konnte man eine Handvoll psychologischer Fragen aus dem
Ocean-Fragebogen ausfüllen («Lassen Sie sich bei Stress leicht aus der
Ruhe bringen?» – «Neigen Sie dazu, andere zu kritisieren?»). Als
Auswertung erhielt man sein «Persönlichkeitsprofil» – eigene Ocean-Werte
–, und die Forscher bekamen die wertvollen persönlichen Daten. Statt,
wie erwartet, ein paar Dutzend Studienfreunde hatten schnell Hunderte,
Tausende, bald Millionen ihre innersten Überzeugungen verraten.
Plötzlich verfügten die beiden Doktoranden über den grössten jemals
erhobenen psychologischen Datensatz.
Das Verfahren, das Kosinski mit seinen Kollegen über die
nächsten Jahre entwickelt, ist eigentlich recht einfach. Zuerst legt man
Testpersonen einen Fragebogen vor. Das ist das Onlinequiz. Aus ihren
Antworten kalkulieren die Psychologen die persönlichen Ocean-Werte der
Befragten. Damit gleicht Kosinskis Team dann alle möglichen anderen
Onlinedaten der Testpersonen ab: was sie auf Facebook gelikt, geshared
oder gepostet haben, welches Geschlecht, Alter, welchen Wohnort sie
angegeben haben. So bekommen die Forscher Zusammenhänge. Aus einfachen
Onlineaktionen lassen sich verblüffend zuverlässige Schlüsse ziehen. Zum
Beispiel sind Männer, die die Kosmetikmarke MAC
liken, mit hoher Wahrscheinlichkeit schwul. Einer der besten
Indikatoren für Heterosexualität ist das Liken von Wu-Tang Clan, einer
New Yorker Hip-Hop-Gruppe. Lady-Gaga-Follower wiederum sind mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit extrovertiert. Wer Philosophie likt, ist eher
introvertiert.
Kosinski und sein Team verfeinern die
Modelle unablässig. 2012 erbringt Kosinski den Nachweis, dass man aus
durchschnittlich 68 Facebook-Likes eines Users vorhersagen kann, welche
Hautfarbe er hat (95-prozentige Treffsicherheit), ob er homosexuell ist
(88-prozentige Wahrscheinlichkeit), ob Demokrat oder Republikaner (85
Prozent). Aber es geht noch weiter: Intelligenz, Religionszugehörigkeit,
Alkohol-, Zigaretten- und Drogenkonsum lassen sich berechnen. Sogar, ob
die Eltern einer Person bis zu deren 21. Lebensjahr zusammengeblieben
sind oder nicht, lässt sich anhand der Daten ablesen. Wie gut ein Modell
ist, zeigt sich daran, wie gut es vorhersagen kann, wie eine Testperson
bestimmte Fragen beantworten wird. Kosinski geht wie im Rausch immer
weiter: Bald kann sein Modell anhand von zehn Facebooks-Likes eine
Person besser einschätzen als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. 70
Likes reichen, um die Menschenkenntnis eines Freundes zu überbieten, 150
um die der Eltern, mit 300 Likes kann die Maschine das Verhalten einer
Person eindeutiger vorhersagen als deren Partner. Und mit noch mehr
Likes lässt sich sogar übertreffen, was Menschen von sich selber zu
wissen glauben. Am Tag, als Kosinski diese Erkenntnisse publiziert,
erhält er zwei Anrufe. Eine Klageandrohung und ein Stellenangebot. Beide
von Facebook.
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