18.2.17

 

Großzügigkeit

Wie wohltuend ist es, einem großzügigen Menschen zu begegnen!

Sie kennen diese Erfahrung vielleicht auch:
Wir machen einen kleinen Fehler – und andere Menschen sehen bewusst darüber hinweg.

Das erleichtert das Zusammenleben:
in der Familie, am Arbeitsplatz – und auch im öffentlichen Raum.

Wenn wir Zeit, Geld, Kontakte und Beziehungen, unsere Bücher und Unterlagen
– ja all das, worum wir gebeten werden, ohne Absicht geben:
das ist großzügig.

Von Hermann Gmeiner, dem Gründer der SOS-Kinderdörfer, stammt der Satz:
Alles Große in unserer Welt geschieht nur, weil jemand mehr tut als er muss.

Das ist eine treffende Definition der Großzügigkeit: mehr tun als wir müssen.

Gegen die Großzügigkeit steht die Kleinlichkeit.
Jede Schwäche wird entdeckt und ohne Zögern sichtbar gemacht.
Gerade in der Öffentlichkeit gibt es eine unbarmherzige Kleinlichkeit.
Ob Sportler oder politisch Verantwortlicher:
Du darfst dir keinen Fehler leisten. Sonst wirst du in den Leserbriefen und Internet-Kommentaren
vor das Standgericht gestellt.

Gegen die Großzügigkeit steht auch die Angst, ausgenützt zu werden.
Und tatsächlich gibt es solche Fälle.
Aber wenn wir uns nur danach ausrichten, dann wird unser Leben bitter.
Überall schleicht sich dann der Verdacht in unser Leben:
Du wirst da vielleicht ausgenützt – pass auf!
Das kann dann ziemlich anstrengend werden,
auch für die Umgebung.


Gegen die Großzügigkeit stehen auch Systeme und Vorschriften, die ein Eigenleben bekommen.
Interne Regeln, Qualitätshandbücher, Compliance-Vorschriften:
das sind oft Anleitungen zum Unglücklich-Sein.
Der Grundgedanke war einmal gut, nur ist er jetzt oft nicht mehr zu erkennen.
Es geht nur noch um „die Vorschrift“.

Die Bereiche unseres Lebens, die uns wirklich leben lassen, die brauchen unsere Großzügigkeit:
Zuneigung, Freundschaft, Zärtlichkeit, Verzeihung, Liebe.
Darauf haben wir keinen Rechtsanspruch.
Wir können uns das nur großzügig schenken und schenken lassen.

Meine persönliche Erfahrung ist: Großzügigkeit bringt Großzügigkeit hervor.
Je großzügiger ich bin, desto mehr Großzügigkeit kommt mir entgegen.
Im Einzelfall habe ich mich auch schon getäuscht – aber die große Linie stimmt.
Großzügigkeit kann man einüben.
Wir können uns an Vorbildern orientieren.
Wir können schauen, wie wir uns Bettlern gegenüber verhalten.
Wir können unseren Umgang mit Zeit und Geld anschauen.
Oder wenn man eine neue Aufgabe beginnt oder übersiedelt:
alles Zeiten, um Großzügigkeit zu erfahren und selbst einzuüben.

So kann Großzügigkeit zu einer inneren Einstellung,
zu einer Haltung werden:
zu einer kraftvollen Charaktereigenschaft.

Dabei ist es auch wichtig, großzügig gegen sich selbst zu sein:
„Heute gönne ich mir eine Cremeschnitte!“.

P. Christian Marte SJ, Kardinal König Haus

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