27.4.17

 

SS-Richter und "Gerechtigkeitsfanatiker". Der Fall Konrad Morgen.

Heinrich Himmler sprach im Oktober 1943 vom "moralischen Recht" das jüdische Volk umzubringen und sagte: "Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern". Der deutsche SS-Richter Konrad Morgen hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Unterschlagung, Veruntreuung und Schwarzhandel in den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands zu bekämpfen. Er bezeichnete sich selbst als "Gerechtigkeitsfanatiker" und brachte hochrangige Nationalsozialisten vor Gericht, wie den KZ-Buchenwald-Lagerkommandanten Karl Otto Koch und dessen Frau Ilse. Morgen ermittelte auch gegen den Organisator der Judenvernichtung Adolf Eichmann, - wegen der Unterschlagung von Juwelen.

Die Philosophin Herlinde Pauer-Studer von der Universität Wien hat acht Jahre lang den Fall Konrad Morgen untersucht und gemeinsam mit dem US-amerikanischen Philosophen J. David Velleman ein Buch über das Rechtssystem, das Gerechtigkeitsempfinden und die Moral im Unrechtsregime des Nationalsozialismus geschrieben: "Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin" ist vor kurzem im Suhrkamp Verlag erschienen.
Buch:
Herlinde Pauer-Studer, J. David Velleman: Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin. Der Fall des SS-Richters Konrad Morgen. Suhrkamp.

Ö1

Es sind noch viele Fragen offen Standard Interview

Ihr Projekt heißt „Transformationen normativer Ordnungen".

Beim Projekt geht es darum zu analysieren, wie politische Systeme in totalitäre oder diktatorische Ordnungen abgleiten. Der spezielle Fokus liegt dabei auf den gesetzlichen Verschiebungen im NS-System.

Ich habe mich schon seit vielen Jahren mit dem NS-System beschäftigt, aber eher aus allgemeinem Interesse. Mit meinen fachwissenschaftlichen Arbeiten zu Fragen der Ethik und der Moralphilosophie hatte das lange Zeit nichts zu tun. Das änderte sich erst durch meine Forschungsaufenthalte an der Harvard Universität und der New York Universität. Da sah ich, dass es in der rechts- und moralphilosophischen Aufarbeitung des NS-Systems viele Lücken in der aktuellen angloamerikanischen Diskussion gibt. Im Grunde war Hannah Arendt die letzte, die sich aus philosophischer Perspektive eingehender damit beschäftigt hat.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass auf der abstrakten Verfassungsebene in Nordamerika die Grundwerte von Freiheit und Gleichheit in den letzten zwei Jahrhunderten nie infrage gestellt wurden. Das NS-Rechtssystem hat man deshalb aus rechtsphilosophischer Perspektive einfach als das plakative Gegenteil eines rechtsstaatlichen Systems gesehen - ohne die Binnenstruktur zu analysieren, wie es zu den radikalen Verschiebungen und letztlich zum Holocaust kommen konnte.

Aus der Perspektive der Zeitgeschichte ist das mittlerweile bestens aufgearbeitet. In der Rechtsphilosophie sind aber noch viele Fragen offen und viele Dokumente unaufgearbeitet. Es ist davon auszugehen, dass es im NS-System eine Art Doppelstruktur gab: einerseits Bereiche, die nach rechtsstaatlichen Verfahren funktionierten und wo nicht immer im Sinne des Regimes entschieden wurde. Andererseits existierten Strukturen, um ideologisch in diese Bereiche eingreifen zu können. Verblüffend ist, dass die NS-Juristen die Rechts- und Staatskonzeptionen von Kant und Rousseau perfekt kannten, diese aber in einen „politischen Totalitätsgrundsatz" und letztlich in Richtung Führerwillen uminterpretiert haben. Die Sprache blieb freilich die einer normativen Rechtfertigung.

Es gibt bis heute Diskussionen darüber wie etwa mit Wehrdienstverweigerern umzugehen ist, die vom NS-Regime verurteilt wurden. Was ist da aus rechtsphilosophischer Warte der Stand der Dinge? 

Unmittelbar nach dem Krieg gab es diesbezüglich eine sehr kontroversielle Diskussion. Auf der einen Seite standen die so genannten Rechtspositivisten wie Hans Kelsen, der Vater der österreichischen Verfassung. Der meinte noch in den 1960er Jahren, dass man zur Kenntnis nehmen müsse, dass auch das Recht vor 1945, also auch jenes im Nationalsozialismus, gültiges Recht war. Auf der anderen Seite gab es Rechtsphilosophen wie Gustav Radbruch, die argumentierten, dass nicht als Recht gelten kann, was derartig eindeutig Unrecht ist. Es gibt mittlerweile differenziertere Diskussionen, die zwischen einer rechtsdogmatischen und einer fundamentaleren rechtstheoretischen Ebene, auf der moralische Werte relevant sind, trennen. Die genaue Interaktion dieser Ebenen wird Teil des Forschungsprojekts sein, bei dem ich mit Instituten in Deutschland und den USA zusammenarbeiten werde.
Beim Projekt geht es darum zu analysieren, wie politische Systeme in totalitäre oder diktatorische Ordnungen abgleiten. Der spezielle Fokus liegt dabei auf den gesetzlichen Verschiebungen im NS-System. - derstandard.at/1263705514189/Interview-Es-sind-noch-viele-Fragen-offen

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