14.7.09

 

Trotzdem lieben

Röm 12,17-21
17 Vergeltet niemandem Böses mit Bösem.
Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18 Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen
Frieden.
19 Rächt euch nicht selbst, meine Lieben,
sondern gebt Raum dem Zorn Gottes;
denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35):
»Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
20 Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken.
Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«

Sprüche 25,21-22
21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern überwinde das Böse mit Gutem.


Liebe auf der Grenze:
Ich kann nicht mehr lieben
Du tust mir nicht gut.

Tust mir nur weh.
Machst mich kaputt.

Das Böse ist nicht abstrakt, sondern immer konkret.
Es ist ein Du, das dem Ich, das mir weh tut.
Es gefährdet mich.
Es stellt mich in Frage!
Es zerstört, beschädigt mich.
Es verursacht in mir Dunkelheit und Tränen.
Es lässt mich verstummen und verzweifeln.
Es bringt an den Rand.
Es bringt das Ich an die eigenen Grenzen.

Soweit!

Soweit bis die Seele schreit, Stopp schreit,
dass es aufhöre, weh zu tun, anzufeinden.
Soweit bis in mir selbst aufsteigt und hochkommt Wut und Hass.
Bis man das Du, das mir weht tut,
nicht mehr sehen, nicht mehr ertragen will, kann.
Bis es selbst auch zerstören, vernichten will.
Bis zumindest all dieser Schmerz, all diese Verachtung,
all das, was angetan wird, zurückgegeben, zurückgezahlt wird.
Auch wenn es im Grunde sinnlos ist,
weil dadurch der Schmerz nur etwas kleiner wird,
aber nicht wirklich verschwindet.

Trotzdem

Soweit bis mitten im Ich,
mitten in ihm,
der Wunsch nach Rache, nach Vergeltung,
danach, dass Bösen jetzt doch selbst anzutun, ist.

Die Liebe kommt an ihre Grenze!

Soweit.
Keine theoretische, keine abstrakte,
sondern eine furchtbare, eine dramatische Grenze.
Eine Grenze, die dann Siegen oder Besiegtwerden bedeutet,
gewinnen oder verlieren,
weiter lieben oder hassen,
festhalten oder verletzen.

Die Liebe kommt an ihre Grenze,
wenn Böses ihr wirklich widerfährt.

Liebe kann umschlagen in Hass, in Zorn,
in Nicht-Liebe, in Gleichgültigkeit, in Kälte.

Will verletzten, was es eigentlich schützt.
Will verlieren, was es eigentlich sucht.
Will vernichten, was es braucht.

Bleibe jenseits der Grenze!

Dieser Liebe auf der Grenze möchte man am liebsten zurufen:
Bleib, verliere dich nicht.
Gehe nicht über deine Grenze,
lass das, was dich anfeindet,
was dir Böses tut, nicht über dich siegen, über deine Liebe.

Gehe nicht auf die Seite der Nicht-Liebe,
beginn nicht das Gefühl des Hasses zu denken,
beginn nicht kalt zu werden,
beginn nicht an Vergeltung zu denken,
geh nicht diesen Weg!

Man möchte dieser Liebe auf der Grenze zurufen:
Glaube doch an die Kraft deiner Liebe,
an das in dir von Gott.

Vertraue, dass die Liebe stärker ist als alles,
was letztlich Tod bringt.

Sammle in dir alle Liebesmomente, dass sie dich stärken zur Liebe.
Halte daran fest
und überwinde alles, was in dir hoch kommt an dunklen Gedanken,
besiege das Böse, was dir so nahe geht
und sich gefährlich um deine Liebe zwingt.

Entrüste dich, aber schlage nicht zurück.
Sei traurig, aber lass deine Tränen nicht zu Waffen werden.
Fühle dich wie am Kreuz, gekreuzigt, unschuldig,
aber steig nicht herab und kreuzige nicht zurück,
sondern: warte, warte, bis Gott dir doch Recht verschafft, Soweit!

Bis er dir den Sieg verschafft.
Bis er an deiner statt - für dich - die Liebe siegen lässt.

Was kann ich noch tun?

Liebe auf der Grenze, die kommt selbst an die Grenzen ihrer Möglichkeiten!

„So viel an euch liegt!“

So viel wir können.
Was können wir noch?
Was steht an der Grenze noch in der Macht der eigenen Liebe?
Hat sie noch Liebes-Spielraum?
Kann sie das Gute noch denken?
Kann sie sogar im radikal Bösen noch das Gute erblicken?
Kann sie im Extremfall sich selbst noch daran besinnen,
was jetzt das Gute, das Leben Bewahrende wäre?

Wie schwer muss dieser Blick fallen,
wie extrem schwer muss er fallen,
dann im Bösen noch das Gute zu sehen.

Und wie schwer, ja unmöglich wird für uns,
dann noch Frieden mit diesem Jedermann, der wehtut, zu halten?

Da, wo der andere nur Unfrieden stiftet,
alles wie vergiftet erscheint,
dann noch Frieden in sich tragen,
und Frieden dem anderen zubilligen, zusprechen?
Auf der Grenze sind wir auch als Liebende kaum Helden.

Im Grunde sind wir auf tragische Weise Hilflose,
aller Möglichkeiten beraubt.

Wenn auf der Grenze der Liebe
dieser letzte Raum zu lieben noch genommen ist,
dann bleibt der Liebe nur der Schritt über die Grenze,
hinein ins die Nicht-Liebe,
ins Böse selbst.

Dann triumphiert das Böse.
Oder es bleibt der Liebe das andere:
zitternd still zu stehen und einem anderen, Gott, Raum zu lassen.

Kein beruhigter Raum,
sondern mehr ein verzweifelter Schrei,
der gleichsam kurz Luft verschafft
und einen anderen anruft, Hilfe zu sein,
auf der Grenze.

„Gebt Raum dem Zorn Gottes.“

Das meint nicht, das
wir das uns überlegen könnten,
sondern das ist an der Wand stehen!

Unsere Liebe endet,
wir können einfach nicht mehr.

Bevor wir hassen,
soll Gott für uns einstehen!
An unserem Ort stehen!

Und selbst, dass er da dann liebt, wo wir nicht mehr können,
ist noch zu viel für uns.

Wir können höchsten denken,
dass er jetzt endlich uns Recht verschafft,
dass er womöglich, für uns über die Grenze geht,
das Böse besiegt,
ja fast geheimnisvoll das Böse umliebt, die Liebe siegen lässt.

Auf die Verwandlung des Bösen hoffen.

Trotzdem lieben wird dann zur schier unmöglichen Möglichkeit für uns. Irgendwie auf der Grenze dennoch leben,
dennoch überleben
und dennoch lieben.

Nicht das Böse, nicht den Feind umbenennen,
oder besser reden, oder gar sich mit ihm arrangieren.

Das hieße alles, die Liebe, ihre Macht, zu verraten.
Aber ihn trotzdem als Feind, als Böses sehen
- und am Leben erhalten,
als wäre er ein anderer,
nämlich den, den ich lieben könnte.

Das ist der Sieg der Liebe!
Sie widersteht dem Bösen und liebt es trotzdem.

Trotzdem lieben
ist die unmögliche Hoffnung auf wunderbare Verwandlung der Dinge,
der Lage,
der Situation,
von mir selbst.

Wir geben dennoch dem Feind zu essen und zu trinken,
stillen Hunger und Durst,
haben Nahrung in den Händen,
nur das Beste,
nur, was Leben erhält
und was Zeichen der Liebe ist,
Zeichen dafür, dass der andere dennoch leben soll
- und diese Nahrung verwandelt sich,
wenn sie unsere Hände verlässt.

Sie wird zu feurigen Kohlen.
Eine merkwürdige Verwandlung auf der Grenze,
die wir nicht gemacht haben.

Wir haben mit letzter Kraft dennoch geliebt,
Nahrung ausgeteilt,
die feurigen Kohlen aber haben sich gelegt auf das Haupt des Feindes
und erinnern ihn daran, dass er nicht geliebt hat.

Und vielleicht verwandelt das ihn.
Eine letzte Hoffnung,
dass er wirklich und würdig von mir geliebt werden kann.

Vielleicht ist das etwas,
wonach es ihn sehnte,
nach der Liebe in ihm und zu ihm.

Dann verwandelt wunderbar sich,
was die Liebe auf die Grenze führte.

Du tust mir gut.
Kommst mir nah.
Machst mich heil.

Amen.

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias (20.1.08)

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