16.2.16

 

Auf dem Weg in den Dritten Weltkrieg

Nachdem die Türkei bereits seit zwei Tagen syrisches Territorium beschossen hat, sollen neuesten Berichten zufolge auch etwa 100 türkische Soldaten in Syrien eingedrungen sein.

Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters erklärte die syrische Regierung, bereits »am Samstag seien an die 100 Soldaten mit zwölf Kleinlastwagen, auf deren Ladefläche schwere Maschinengewehre montiert seien, im Rahmen einer laufenden Unterstützungsoperation für die Damaskus angreifenden Rebellen in Syrien eingedrungen«. Laut der Regierung Assad laufe die »Versorgung mit Munition und Waffen weiterhin über den Grenzübergang Bab al-Salameh in die syrische Region Azaz in der Provinz Aleppo«.
Um einen offenen Krieg auszulösen, müsste jetzt nur noch ein russischer Soldat durch türkisches oder saudisches Militär ums Leben kommen. Entwicklungen wie diese lassen nicht viel Vertrauen in die auf der Münchner Sicherheitskonferenz vereinbarte »Feuerpause« aufkommen. Am Samstag traf es die Weltöffentlichkeit wie ein Schock, als die Türkei begann, Aleppo mit Granaten zu beschießen. In Aleppo sind die syrischen Rebellen aufgrund einer Offensive der Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden mit Unterstützung der russischen Luftwaffe ins Hintertreffen geraten.

Es lag andererseits auf der Hand, dass Ankara und Riad schnell etwas unternehmen mussten, wenn sie die Rebellen unterstützen wollten. Ihre Stellvertreter-Kämpfer waren unter massiven Druck seitens der Milizen Hassan Nasrallahs und der Luftwaffe Wladimir Putins geraten. Aber nur wenige hatten damit gerechnet, dass es so schnell zu einer Eskalation kommen würde.

Aber der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist eben unberechenbar (um das zu verstehen, muss man nur den überlebenden Piloten des russischen Kampfflugzeugs vom Typ Su-24 fragen, das die türkische Luftwaffe im November 2015 abschoss), und an diesem Wochenende entschied er nun, jetzt sei der geeignete Zeitpunkt gekommen, den Dritten Weltkrieg auszulösen.

Offiziell begründet die Türkei ihren Beschuss Syriens mit Selbstverteidigung. Es gehe darum, die Grenze vor Feindseligkeiten zu schützen, hieß es aus Ankara. Natürlich ist die Vorstellung lächerlich, die Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen Kurden würden die Türkei angreifen. Die syrischen Kurden kontrollieren bereits eine so große Region in Syrien, dass sie einen eigenen autonomen Quasi-Staat ausrufen könnten, eine »Eroberung« türkischen Territoriums ist aus ihrer Sicht in keiner Weise erstrebenswert.

Ankara fürchtet, die Landgewinne der YPG könnten die PKK militärisch und die türkische HDP, die den Kurden nahestehende Demokratische Partei der Völker, politisch stärken. Zudem hatten die türkischen Wahlen im Juni vergangenen Jahres deutlich gemacht, dass die erstarkte kurdische Minderheit im Land durchaus das Potenzial besitzt, die innenpolitische Landschaft zu verändern.

Und daher ist die Türkei bereit, in Syrien im Namen des »Kampfes gegen den Terrorismus«, was für Erdoğan das Gleiche bedeutet wie die Auslöschung der Kurden, militärisch einzugreifen. Ankara und Riad stehen nun vor folgendem Problem: Die Türkei und Saudi-Arabien müssen nun versuchen, ihre Angriffe auf die YPG und ihre Bemühungen, die Rebellen in Aleppo zu retten, als »Kampf gegen den Islamischen Staat (IS)« auszugeben, der allerdings in der betreffenden Region kaum präsent ist.

Allerdings gibt sich die Türkei keine große Mühe, den Schein zu wahren. Man hat mit anderen Worten den Eindruck, sie sei bereit, unter dem Vorwand in den Krieg einzutreten, die Türkei müsse die YPG zurückdrängen, die allerdings, wie man sich erinnert, ausdrücklich von den USA unterstützt wird.

Diese Einschätzung ergibt in einer Hinsicht durchaus Sinn. Man kann nicht Aleppo beschießen und den IS dazu als Ausrede benutzen. Dazu ist die Präsenz des IS in der Region nicht stark genug. Man könnte allerdings behaupten, bei der PKK handele es sich um Terroristen, diese seien mit der YPG verbündet, die sich wiederum in Aleppo aufhalte. Und daher müsse man Aleppo beschießen. Einfach ausgedrückt versucht Erdoğan in Wirklichkeit, die Versorgungslinien für die Rebellen, die Russland und der Iran unterbrochen hatten, wieder zu öffnen, indem er die kurdischen Kräfte ausschaltet, die die syrische Nordgrenze zur Türkei dominieren.
Auch am Sonntag setzte sich der Beschuss aus der Türkei fort. Unter Berufung auf die umstrittene Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete Reuters: »Die türkische Armee beschießt am Sonntag am zweiten Tag in Folge Positionen, die von kurdisch unterstützten Milizen im Norden Syriens gehalten werden.« Zwei Kämpfer seien dabei ums Leben gekommen. »Die YPG kontrolliert praktisch die gesamte Nordgrenze Syriens zur Türkei und ist im Kampf gegen den IS ein enger Verbündeter der USA. Ankara betrachtet die YPG demgegenüber als Arm der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), die seit drei Jahrzehnten einen Kampf für Autonomie im Südosten der Türkei führt«, heißt es weiter.

Die Dschaisch at-Thuwwar (»Armee der Revolutionäre«), eine in die Freie Syrische Armee (FSA) integrierte Gruppe, die sich mit der YPG und dem assyrisch-aramäischen Militärrat der Suryoye zu den Demokratischen Kräften Syriens zum Kampf gegen den IS zusammenschloss, warnte die Türkei vor weiteren Angriffen. Wenn die Türkei »in unserem geliebten Land eigene Ziele verfolgt, werden wir unser Land und unser Volk verteidigen und [die Türkei] als feindliche Partei betrachten«, hieß es in einer Verlautbarung.

Noch einmal: Diese Äußerungen stammen von Gruppierungen, die von den USA offen mit Waffen und Luftangriffen unterstützt werden. Es geht also nicht um die von der CIA unterstützte Opposition. Die Türkei beschießt Kämpfer, die über die Freigabe verfügen, Luftschläge amerikanischer Kampfflugzeuge anzufordern, die dann – eine doppelte Ironie – vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus starten würden.

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